Sollte der Asylkompromiss, auf den sich die EU-Institutionen jetzt verständigt haben, so Gesetz werden, dann wäre das immer noch weit entfernt von einer Abschottung des Kontinents. Im Kern verabschiedet sich Europa von der statistisch vielfach widerlegten Illusion, dass praktisch jeder, der hier einen Asylantrag stellt, ein Schutzbedürfnis hat. Die Anerkennungsquote in der EU betrug im Oktober 49 Prozent.

Die Grenzverfahren, die nun eingeführt werden sollen, sind ein erster Schritt, um schon bei der Einreise wenigstens diejenigen auszusortieren, die aus Ländern kommen, in denen es wenig Verfolgung gibt. Der Bundeskanzler hat recht, wenn er sagt, dass damit auch Deutschland auf Entlastung hoffen kann, vor allem die hiesigen Kommunen.

So menschenunwürdig, wie die Flüchtlingsverbände diese Kurskorrektur darstellen, ist sie nicht. Es ist nichts human daran, dass Europa seit Jahren dabei zusieht, wie kriminelle Schlepperbanden viel Geld damit verdienen, dass sie Migranten auf lebensgefährliche Reisen locken, und das nicht nur übers Mittelmeer.

Die wichtigste Wirkung, die von den neuen Grenzverfahren ausgehen kann, ist, dass die Sogwirkung der bisherigen Praxis gemindert wird. Die EU muss der Erwartung entgegenwirken, dass eine gelungene Ankunft am Ende fast immer zu einem Aufenthaltsrecht führt. Dass die Grünen Kinder und Familien vom Grenzverfahren ausnehmen wollten, war da gerade aus menschenrechtlicher Sicht höchst problematisch. Zum Glück hat man in Brüssel erkannt, dass das eine Einladung zur Mitführung von Minderjährigen gewesen wäre.

Funktionieren wird das neue System nur, wenn die Länder an der Außengrenze es durchsetzen und die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern klappt. In beidem war die EU bisher nicht gut.

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Diese Reform war sicher nicht die letzte. Sollte sie keine Früchte tragen, dann wird es beim nächsten Mal um die Frage gehen müssen, ob das individuelle Asylrecht in der EU noch zu halten ist.

QOSHE - Abschied von einer Illusion - Nikolas Busse
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Abschied von einer Illusion

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20.12.2023

Sollte der Asylkompromiss, auf den sich die EU-Institutionen jetzt verständigt haben, so Gesetz werden, dann wäre das immer noch weit entfernt von einer Abschottung des Kontinents. Im Kern verabschiedet sich Europa von der statistisch vielfach widerlegten Illusion, dass praktisch jeder, der hier einen Asylantrag stellt, ein Schutzbedürfnis hat. Die Anerkennungsquote in der EU betrug im Oktober 49 Prozent.

Die Grenzverfahren, die nun eingeführt werden sollen, sind ein erster Schritt, um schon bei der Einreise wenigstens diejenigen auszusortieren,........

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