Das ist mal eine Neuigkeit: Die „Berliner Zeitung“ sieht die Pressefreiheit bedroht. Warum? Weil der ukrainische Botschafter Oleksij Makejev es sich erlaubt, die Zeitung wegen ihres seiner Meinung nach moskauhörigen Kurses zu kritisieren und zu fragen, wieso ein früherer Mitarbeiter des von der EU sanktionierten russischen Propagandasenders RT für die „Berliner Zeitung“ wirkt.

Regelmäßig markiere ihn das Blatt in Posts auf X (vormals Twitter) mit Artikeln, „die selbst die russische Botschaft gerne teilt — so sehr werden dort Realität und Wahrheit über den russischen Angriffskrieg verdreht“. Ob die „Berliner Zeitung“ wohl „das neue Radio Moskau“ sei?

So fragt der Botschafter. Als Freunde der polemischen Zuspitzung würden wir sagen: Das kann man so sehen – im Blatt, oder man sah es im Mai vergangenen Jahres, als sich der Verleger Holger Friedrich und der Herausgeber Michael Maier in der illustren Gesellschaft fanden (Gerhard Schröder, Egon Krenz, Klaus Ernst, Alexander Gauland, Tino Chrupalla), die dem russischen Botschafter in dessen Berliner Residenz zum Tag des Sieges über die Nationalsozialisten gratulierte.

Dass man dem Kreml zu sehr zugeneigt sei und den Vernichtungskrieg in der Ukraine verharmlose, will sich die „Berliner Zeitung“ aber doch nicht nachsagen lassen, wobei sie in ihrer Replik weit übers Ziel hinausschießt. Man verwahre sich „entschieden gegen die persönliche Diffamierung von einzelnen Redakteuren und Autoren der ,Berliner Zeitung‘“ durch den Botschafter der Ukraine. Man sehe „die völlig unbegründeten Attacken gegen namentlich genannte Redakteure und Autoren als versuchte Einschüchterung und mithin als Eingriff in die Pressefreiheit“ und erwarte, „dass der ukrainische Botschafter die Pressefreiheit in einer europäischen Demokratie respektiert“.

An der Stelle möchten wir mit dem Putin-Freund Hubert Seipel fragen: Geht’s noch? Ein Blatt, dessen Verleger (Ex-Stasi-IM) den einstigen „Bild“-Chef Julian Reichelt an Springer verpfiffen und den Informantenschutz zersetzt hat, das ein Interview mit Roger Waters um entscheidende judenfeindliche Einlassungen kürzt, hält diese Kritik für einen „Eingriff in die Pressefreiheit“?

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Dasselbe Blatt, das mutmaßt, Makejevs Entrüstung habe mit einem zuvor erschienenen Artikel über die angeblich kritische wirtschaftliche Lage des vom Botschafter in seinem Post erwähnten „Tagesspiegels“ (mit dem sich die „Berliner Zeitung“ eine Schlammschlacht liefert) zu tun? Das ist so bigott und quergedacht, dass es einen schaudert. Hallo, Radio Moskau, geht’s noch?

QOSHE - Die „Berliner Zeitung“ dreht hohl - Michael Hanfeld
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Die „Berliner Zeitung“ dreht hohl

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04.04.2024

Das ist mal eine Neuigkeit: Die „Berliner Zeitung“ sieht die Pressefreiheit bedroht. Warum? Weil der ukrainische Botschafter Oleksij Makejev es sich erlaubt, die Zeitung wegen ihres seiner Meinung nach moskauhörigen Kurses zu kritisieren und zu fragen, wieso ein früherer Mitarbeiter des von der EU sanktionierten russischen Propagandasenders RT für die „Berliner Zeitung“ wirkt.

Regelmäßig markiere ihn das Blatt in Posts auf X (vormals Twitter) mit Artikeln, „die selbst die russische Botschaft gerne teilt — so sehr werden dort Realität und Wahrheit über den russischen Angriffskrieg verdreht“. Ob die „Berliner Zeitung“ wohl „das neue Radio Moskau“ sei?

So fragt der Botschafter. Als Freunde........

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