Es war im Jahr 1989, da schlug dem spektakulärsten Hochhausprojekt in Europa die Stunde. 268 Meter hoch sollte der „Campanile“ neben dem Frankfurter Hauptbahnhof werden, so genannt, weil die schlanke Stahl-Glas-Konstruktion wie ein Glockenturm neben der fünfschiffigen Eisenbahnkathedrale aufragen sollte.

Alles war schon durchgeplant, doch Investor und Magistrat hatten die Rechnung ohne eine Nachbarin und ohne den Wähler gemacht. Auch mit mehreren Millionen Mark ließ sich Hannelore Kraus nicht bewegen, ihre Zustimmung zu erteilen, die aus baurechtlichen Gründen nötig war; sie, die bei Adorno studiert, als Entwicklungshelferin gearbeitet und schließlich eine unter Künstlern beliebte Pension im Gutleutviertel geführt hatte, befürchtete soziale Verwerfungen in ihrem Kiez. Und die grundsätzlich turmbaukritischen Grünen, die nach der Kommunalwahl von 1989 mit der SPD den CDU-Magistrat ablösten, machten ein Ende der Planungen zur Bedingung für den Eintritt in die neue Koalition.

Der Campanile war seither eine Art Untoter, gelegentlich gab es Vorstöße von Projektentwicklern, doch konkret wurde es nicht mehr. Heute, 35 Jahre später, ist er nun tatsächlich wieder da, in Gestalt eines 200-Meter-Projekts im neuen Hochhausentwicklungsplan. Dass die widerständige Frau Kraus im vergangenen Jahr gestorben ist, hat dabei keine Rolle gespielt, das Baurecht war längst so reformiert worden, dass sie keine Vetomacht mehr besaß.

Geändert hat sich in der Zwischenzeit vor allem die Einstellung der Grünen. Nicht, dass sie zu begeisterten Freunden von Wolkenkratzern geworden wären, sie haben sich eher mit ihnen arrangiert, verheißen sie doch eine effiziente Nutzung von Boden und Steuereinnahmen für die Stadt obendrein.

Wie überhaupt der neue Entwicklungsplan zu den gelungeneren Vorhaben der Frankfurter Koalition gehört. Die 14 neu vorgesehenen Hochhäuser sollen nur innerhalb der etablierten Pulks entstehen, um ein Ausfransen der Skyline zu verhindern und die Ansicht der Innenstadt zu stärken. Und statt teurer Wohnungen, die bevorzugt von Käufern aus fragwürdig regierten Staaten als Fünft-Wohnsitz für ungemütliche Zeiten gekauft werden und dann leer stehen, sind in den Türmen außer Büros nun öffentliche Nutzungen im weiteren Sinne vorgesehen.

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Für den Campanile spricht im Übrigen etwas, was den Grünen schon vor 35 Jahren hätte einleuchten könnten – seine zentrale Lage mit einer kaum zu steigernden Anbindung an den Fern- und Nahverkehr. In Hamburg lernt man gerade, was passiert, wenn man auf so etwas nicht achtet. Der Elbtower wird noch Ruine sein, wenn der Campanile schon steht.

QOSHE - Ein Untoter für Frankfurt - Matthias Alexander
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Ein Untoter für Frankfurt

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02.04.2024

Es war im Jahr 1989, da schlug dem spektakulärsten Hochhausprojekt in Europa die Stunde. 268 Meter hoch sollte der „Campanile“ neben dem Frankfurter Hauptbahnhof werden, so genannt, weil die schlanke Stahl-Glas-Konstruktion wie ein Glockenturm neben der fünfschiffigen Eisenbahnkathedrale aufragen sollte.

Alles war schon durchgeplant, doch Investor und Magistrat hatten die Rechnung ohne eine Nachbarin und ohne den Wähler gemacht. Auch mit mehreren Millionen Mark ließ sich Hannelore Kraus nicht bewegen, ihre Zustimmung zu erteilen, die aus baurechtlichen Gründen nötig war; sie, die bei Adorno studiert, als Entwicklungshelferin gearbeitet und schließlich eine unter Künstlern beliebte Pension im........

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