Wenn etwas dran ist an dem Verdacht, den die Organisation „Honest Reporting“ aufgeworfen hat, wäre es sicher eine neue Ebene der Ungeheuerlichkeiten in diesem schrecklichen Krieg. Erstaunlich schnell, so wundert man sich laut, sei eine Reihe freiberuflicher Fotografen am 7. Oktober zur Stelle gewesen, um die Gräueltaten der Hamas zu dokumentieren. Kamen sie womöglich so schnell zu den Tatorten, weil sie schon im Vorhinein von den Angriffen gewusst hatten? Und was wussten ihre Kunden, darunter internationale Nachrichtenagenturen wie AP und Reuters, der amerikanische Nachrichtensender CNN, die Deutsche Welle und die „New York Times“, von ihrem Einsatz?

Die Indizien, die „Honest Reporting“ präsentiert, sind so schwer zu überprüfen wie im Einzelfall zu entkräften, allen voran jene gegen Hassan Eslaiah, der für CNN und AP arbeitete. Auf einem Selfie, das nun in den sozialen Medien zirkuliert, wird er vom Hamas-Führer Yahya Sinwar freundschaftlich auf die Wange geküsst, ein anderes Video, das angeblich von seiner Facebook-Seite stammt, soll zeigen, wie er auf dem Weg zum Massaker auf dem Rücksitz eines Motorrads sitzt und filmt, vor ihm ein Mann mit einer Handgranate. AP und CNN haben mittlerweile die Zusammenarbeit mit Eslaiah beendet. Die „New York Times“ dagegen erklärte, es gebe „keine Beweise für die Anschuldigungen“ gegen Yousef Masoud, einen ebenfalls verdächtigten Fotografen, mit dem sie zusammenarbeitet. Eine Überprüfung seiner Arbeit habe ergeben, „dass er das tat, was Fotojournalisten bei großen Nachrichtenereignissen immer tun: Er dokumentierte die Tragödie, wie sie sich entwickelte.“

Wie nahe die Fotografen der Hamas standen, lässt sich schlecht per Ferndiagnose anhand von ein paar Selfies beurteilen. Wenn man aber zum Beispiel die Fotos sieht, die sie auch in der Vergangenheit auf ihren Social-Media-Profilen veröffentlichten, kann man kaum Zweifel daran haben, dass einige von ihnen sehr klar auf einer Seite stehen; dass sie das Leid der Menschen in Gaza, an dem es keinen Zweifel gibt, auf eine Weise inszenieren, die dann im Einzelfall doch immer wieder Zweifel aufwirft. Zwischen Fahnen schwenkenden Patrioten im Bombennebel, weinenden Müttern und fotogen drapierten Kinderleichen findet man da kaum Zwischentöne, geschweige denn Terroristen am Werk.

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Wo da im Einzelnen die Linie zwischen einer professionellen Abgeklärtheit liegt, mit der die Bedürfnisse eines globalen Markts an Horrorbildern bedient werden, und der Überzeugung, am Ende doch mit der Hamas für eine gemeinsame „Sache“ zu kämpfen, ist schwer zu sagen. Am Ende würde es schon reichen, wenn die Bilder, die von ihnen veröffentlicht werden, eine Distanz ausdrücken würden, statt die Gewalt zu glorifizieren. Die Medien, die diese Fotografen beschäftigten, haben auch einen Vorwurf zurückgewiesen, den „Honest Reporting“ gar nicht erhoben hatte: dass sie vorher von den Anschlägen gewusst hätten. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn sie wenigstens hinterher im Klaren darüber wären, welche Geschichten ihre Bilder erzählen.

QOSHE - Mit den Augen der Hamas - Harald Staun
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Mit den Augen der Hamas

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11.11.2023

Wenn etwas dran ist an dem Verdacht, den die Organisation „Honest Reporting“ aufgeworfen hat, wäre es sicher eine neue Ebene der Ungeheuerlichkeiten in diesem schrecklichen Krieg. Erstaunlich schnell, so wundert man sich laut, sei eine Reihe freiberuflicher Fotografen am 7. Oktober zur Stelle gewesen, um die Gräueltaten der Hamas zu dokumentieren. Kamen sie womöglich so schnell zu den Tatorten, weil sie schon im Vorhinein von den Angriffen gewusst hatten? Und was wussten ihre Kunden, darunter internationale Nachrichtenagenturen wie AP und Reuters, der amerikanische Nachrichtensender CNN, die Deutsche Welle und die „New York Times“, von ihrem Einsatz?

Die Indizien, die „Honest Reporting“ präsentiert, sind so schwer zu überprüfen wie im Einzelfall zu entkräften, allen voran jene gegen Hassan Eslaiah,........

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