Die sogenannte Ampel hat, wenn man sich mal für einen Moment der politischen Metaphorik ausliefert, von Anfang an eine für die Regierungsgeschäfte eher unglückliche Dynamik signalisiert, denn wo anders sollte so eine Allianz aus Fahren und Stehenbleiben schon enden als im Stau? Nun aber scheint es, als hätten einige Politiker der Koalition das Potential der programmatischen Gegensätze für eine neue politische Rechtfertigungsrhetorik entdeckt.

Schon vergangene Woche konnte man die Strategie in einem Interview von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir beobachten. Als sei er auch nach zwei Jahren im Amt noch immer fern jeder politischen Verantwortung, warnte Özdemir davor, „die Menschen auf dem Land“ seien besorgt, dass sie „in einer zunehmend von Städtern dominierten Politik unter die Räder kommen“ und dass dieser gefährliche „Spaltpilz“ zu „Verhältnissen wie in den USA führen kann“. Ob er dabei als Kind der schwäbischen Provinz oder als selbstkritischer Berliner sprach, wurde nicht ganz klar, auf jeden Fall aber als jemand, der offenbar nicht dafür zuständig ist, die drohende Spaltung zu bekämpfen, außer natürlich mit Gratisformeln.

Am vergangenen Montag trieb Bundesfinanzminister Christian Lindner in seiner Rede vor dem Brandenburger Tor diese seltsame Distanzierung von der eigenen Rolle auf die Spitze: nicht nur durch den Versuch, sich mit den Bauern zu solidarisieren, die gegen seine Politik protestierten, indem er ein wenig persönlichen Stallgeruch verbreitete („Ich bin schon fertig, wenn ich den Pferdestall einmal ausgemistet habe“); sondern vor allem durch eine Tirade gegen „die Politik“, die doch lieber „vor der linksextremistischen Unterwanderung der Klimakleber warnen“ solle, statt ständig in die Betriebe hineinzuregieren, how dare you! Wäre er nicht so energisch von der Bühne gehupt worden, hätte Lindner bestimmt noch gegen „die da oben“ gewettert.

Schon klar, man sollte sich keine Illusionen über den Spielraum einer demokratischen Regierung machen, die Kräfte, die ihn einschränken, sind bekanntlich gigantisch: das System, die Weltläufte, die Klimakrise, der Volkszorn. Im Fall von Lindner war die Devise, so wenig wie möglich zu regieren, zwar immer schon Ausdruck radikaler Liberalität, aber im Amt tendierte bisher selbst die FDP dazu, jede Deregulierung als Leistung auszugeben. In Zeiten diffusen Wutwählertums scheint nun auch noch der letzte Rest politischen Gestaltungswillens so suspekt geworden zu sein, dass selbst ein Minister die Regierung fürs Regieren kritisieren kann.

Die Ampelkoalition ist für eine derartige Selbstverleugnung die perfekte Basis, schließlich bietet sie ständig Anlass zur inneren Opposition, es sind ja genug andere da. Wer aber Angst vor „Verhältnissen wie in den USA“ hat, sollte sich vielleicht klar machen, dass es zur Aufgabe gewählter Repräsentanten gehört, die Sorgen der Bürger nicht nur ständig ernst zu nehmen, sondern auch mal Bedingungen zu schaffen, um sie zu verringern. Es sei denn, man verstünde politische Verantwortung so, dass man auch noch als US-Präsident daran gemessen wird, wie laut man gegen das politische Establishment wettert. Wenn mittlerweile aber auch Politiker, denen man eigentlich ein gewisses Interesse am Regieren unterstellen würde, lieber Ressentiments gegen die Politik mobilisieren, sollte man besser auf das gewagte Experiment verzichten, die AfD „durch Regierungsverantwortung“ zu „entzaubern“, wie es diese Woche der Journalist Alan Posener angeregt hat. Die Ampelmänner jedenfalls machen schon mal vor, wie man sich auch in der politischen Verantwortung aus der politischen Verantwortung stiehlt.

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Bloß nicht regieren!

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20.01.2024

Die sogenannte Ampel hat, wenn man sich mal für einen Moment der politischen Metaphorik ausliefert, von Anfang an eine für die Regierungsgeschäfte eher unglückliche Dynamik signalisiert, denn wo anders sollte so eine Allianz aus Fahren und Stehenbleiben schon enden als im Stau? Nun aber scheint es, als hätten einige Politiker der Koalition das Potential der programmatischen Gegensätze für eine neue politische Rechtfertigungsrhetorik entdeckt.

Schon vergangene Woche konnte man die Strategie in einem Interview von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir beobachten. Als sei er auch nach zwei Jahren im Amt noch immer fern jeder politischen Verantwortung, warnte Özdemir davor, „die Menschen auf dem Land“ seien besorgt, dass sie „in einer zunehmend von Städtern dominierten Politik unter die Räder kommen“ und dass dieser gefährliche „Spaltpilz“ zu „Verhältnissen wie in den USA führen kann“. Ob er dabei als Kind der schwäbischen Provinz oder als selbstkritischer Berliner sprach, wurde nicht ganz klar, auf jeden Fall aber als jemand, der offenbar nicht........

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