Es war richtig von Christian Lindner, sich beim Dreikönigstreffen der FDP so deutlich zu den Bauernprotesten zu äußern. Die Bauern hätten sich verrannt, sagte Lindner, sie müssten umkehren. Es war allerdings auch nötig, dass Lindner sich positionierte. Denn die Bauernproteste stehen für etwas Größeres, und Parteivorsitzende müssen erkennen lassen, dass sie es sehen. Wenn sie es sehen.

Es ist der Machtanspruch des Bauchgefühls. Wer Wut im Bauch hat, lässt sie immer öfter einfach heraus. Andere feuern sie dabei noch an. Der Vorsitzende der Freien Wähler und bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger etwa behauptet, die Schuld für die Bauernwut liege allein bei der Ampelpolitik. Das ist leicht zu widerlegen.

Erstens sagen viele Bauern selbst, dass ihr Frust seit Jahren oder Jahrzehnten wachse. Zweitens wütete der Deutsche Bauernverband schon, als noch die CDU die Bundesregierung führte. Anlass war mal der „Corona-Frust der Ferienbauernhöfe“, mal die „existenzbedrohende Lage der Schweinehalter“, wobei es auch schon Jahre vorher „5 vor 12 für die deutsche Schweinehaltung“ gewesen war; Entscheidungen des Bundeskabinetts kommentierte der Verband mit „völligem Unverständnis“, er kritisierte einen „massiven Vertrauensbruch im Bundesrat“ und „völlig unverhältnismäßige Sanktionen“. Näher kommt man der Wahrheit, wenn man die Kürzungen beim Agrardiesel als den Tropfen sieht, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Nun sagen Bauern gönnerhaft, sie seien bereit zum Dialog, aber nicht zu Kompromissen. Wer das schon vor Beginn des Dialogs festlegt, lässt vermuten, es eher auf einen Monolog anzulegen. So kann gesellschaftliches Miteinander nicht funktionieren. Eine Aufgabe der Bundesregierung wäre, Vorbild zu sein im Aushandeln von Kompromissen. Die FDP muss sich, auch im Interesse ihres eigenen Erfolgs, fragen, wie sie mehr dazu beitragen kann.

Lindner mahnte beim Dreikönigstreffen zu Recht Anstand an. Er kritisierte, dass hetzerische WhatsApp-Kacheln verbreitet und die Verächtlichmachung von Politikern belacht würden. Derlei ziehe sich inzwischen bis ins bürgerliche Lager. Man könnte ergänzen: so auch in die FDP. Kurz bevor Lindner in Stuttgart die Bühne erklomm, redete dort der FDP-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag, Hans-Ulrich Rülke. Er sprach von der „Propaganda“ der grün-schwarzen Landesregierung und höhnte, diese gleiche einer aus der Mode gekommenen Jeans: „Die Nieten trägt man außen“. In der Vergangenheit hatte Rülke schon einmal zwei CDU-Staatssekretäre als „Volkssturm“ bezeichnet und auf Facebook eine Bildcollage zu Greta Thunberg verbreitet, die ihm Populismusvorwürfe eintrug. Er verteidigte sich damit, dass sich auf Facebook jeder „ungebremst austoben“ dürfe, also auch er.

Neben Anstand hilft auch Verlässlichkeit beim Finden von Kompromissen. Die FDP kritisiert verständlicherweise, dass die Grünen in der Ampel immer wieder Einigungen aufschnüren. Das zermürbt. Doch auch FDP-Politiker zupfen an Kompromissen, bis diese zerfasern. Kaum hatte Lindner mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Haushaltskompromiss ausgehandelt, ließ die FDP-Fraktion wissen, dieser sei für sie nicht zustimmungsfähig. Nun liegt ein neuer vor. Und was geschieht? Der FDP-Mann Gero Hocker stellt ihn in Frage. Er will Geld für die Fischer statt für die Bauern; dass er das ja sagen müsse, weil er Präsident des Deutschen Fischereiverbandes sei, wie man es in der FDP erklärt, kann nicht beruhigen. Denn wenn jede Lobby schreit, bis sie ihren Willen kriegt, ist Politik nur noch Lärm.

Mehr zum Thema

1/

Lindner bei Dreikönigstreffen : Mit Nietzsche gegen die schlechte Stimmung im Land

Dreikönigstreffen in Stuttgart : Die FDP macht weiter – aber wie?

Interview mit Bijan Djir-Sarai : „Es gibt eine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme“

Drittens trägt auch Offenheit zu guten Kompromissen bei. Doch die FDP druckst immer wieder herum, zuletzt bei ihrer Mitgliederbefragung. Erst tat man im Genscherhaus so, als sei die Sache nicht der Rede wert; dann, als das niemand mehr glaubte, ging man in die Offensive. Die Parteispitze und die Bundestagsfraktion warben für die Ampel, auch viele Funktionäre in den Ländern warfen sich für sie in die Bresche; die Befragung ging schließlich nur knapp pro Regierung aus. Nun betont Generalsekretär Djir-Sarai bei jeder sich bietenden Gelegenheit, was für eine tolle Mitmachpartei die FDP sei und wie einig die Basis darin, das Beste für die Partei zu wollen. Mit dieser Strategie versuchen auch Jugendliche, nach der Zeugnisvergabe den Blick ihrer Eltern von der Fünf in Mathe auf die Eins in Sport zu lenken.

Lindner sagte in Stuttgart zurecht, es gebe einen dritten Weg zwischen Schwarzmalerei und Gesundbeten, nämlich sich den Realitäten zu stellen und etwas zu unternehmen. Er selbst ist dabei konsequenter als viele andere in seiner Partei. Doch nur wenn sie ihm folgen, kann die FDP den Weg als ihren Kurs bezeichnen.

QOSHE - Das Bauchgefühl der FDP - Friederike Haupt
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Das Bauchgefühl der FDP

5 0
07.01.2024

Es war richtig von Christian Lindner, sich beim Dreikönigstreffen der FDP so deutlich zu den Bauernprotesten zu äußern. Die Bauern hätten sich verrannt, sagte Lindner, sie müssten umkehren. Es war allerdings auch nötig, dass Lindner sich positionierte. Denn die Bauernproteste stehen für etwas Größeres, und Parteivorsitzende müssen erkennen lassen, dass sie es sehen. Wenn sie es sehen.

Es ist der Machtanspruch des Bauchgefühls. Wer Wut im Bauch hat, lässt sie immer öfter einfach heraus. Andere feuern sie dabei noch an. Der Vorsitzende der Freien Wähler und bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger etwa behauptet, die Schuld für die Bauernwut liege allein bei der Ampelpolitik. Das ist leicht zu widerlegen.

Erstens sagen viele Bauern selbst, dass ihr Frust seit Jahren oder Jahrzehnten wachse. Zweitens wütete der Deutsche Bauernverband schon, als noch die CDU die Bundesregierung führte. Anlass war mal der „Corona-Frust der Ferienbauernhöfe“, mal die „existenzbedrohende Lage der Schweinehalter“, wobei es auch schon Jahre vorher „5 vor 12 für die deutsche Schweinehaltung“ gewesen war; Entscheidungen des Bundeskabinetts kommentierte der Verband mit „völligem Unverständnis“, er kritisierte einen........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play