Die amerikanische Politik ist nichts für zartbesaitete Naturen. Im Kampf um die Präsidentschaft werden Milliarden Dollar verpulvert, um politische Gegner zu vernichten, auch die im eigenen Lager. Dabei laden die Vorwahlen eigentlich dazu ein, sich mit Amerikas Demokratie zu versöhnen: Die Bürger bestimmen, wer im November zur Wahl steht.

2008 hätte es ein Juniorsenator namens Barack Hussein Obama kaum gegen die weltberühmte Hillary Clinton zum Kandidaten gebracht, wenn nicht Iowas Demokraten zu Beginn des Reigens gesagt hätten: Ihn wollen wir! Acht Jahre später galt es in Washington als ausgemacht, dass der republikanische Präsidentensohn und -bruder Jeb Bush gegen Clinton antreten werde. Doch trotz Hunderter Millionen Dollar kam er nicht gegen die Wähler an, die mit Donald Trump befanden, die Bushs hätten Amerika an den Rand des Abgrunds geführt. Auch Clinton wäre beinahe von dem Sozialisten Bernie Sanders entthront worden. Wenn auf einem „Caucus“ ein paar Dutzend Nachbarn um den besten Kandidaten ringen, dann liegt ein demokratischer Zauber über dem Schlachtfeld.

Eigentlich. Von Zauber oder Aufbruch wird wenig zu spüren sein, wenn Iowas Republikaner an diesem Montag die Vorwahlsaison eröffnen. Die beiden unbeliebtesten Präsidenten der jüngeren Geschichte dominieren das Feld. Die Anhänger der Demokraten, von denen viele eine Alternative zu Joe Biden ersehnen, haben gar keine Wahl. Obwohl dessen Zustimmungswerte unter die 40-Prozent-Marke gefallen sind, halten sich populärere Demokraten an das ungeschriebene Gesetz, dass man einen „eigenen“ Präsidenten nicht herausfordert.

Das erspart dem 81 Jahre alten Amtsinhaber zwar frontale Angriffe aus dem eigenen Lager, nicht aber die Negativschlagzeilen nach jeder Umfrage. Jüngere Linke verzweifeln an einem Präsidenten, der ihre (identitätspolitischen) Instinkte nicht teilt. Ohne Konkurrenz hat Biden kaum Gelegenheit, ihnen seine Kämpferqualitäten vorzuführen und Begeisterung zu entfachen.

Das Rampenlicht gehört Trump. Bei den Republikanern ist es nämlich umgekehrt: Sie könnten eine echte Wahl haben, scheinen sie aber nicht zu wollen. Eine Mehrheit der Parteianhänger hält dem früheren Präsidenten die Treue. Ihn vor Justiz und Demokraten in Schutz zu nehmen bedeutet für viele auch Selbstverteidigung: 2020 haben 74 Millionen Amerikaner für den Mann gestimmt, der schon damals als kriminell, rassistisch und gefährlich geschmäht wurde; kein Republikaner hatte je so viele Stimmen erhalten.

Nur eine Minderheit interessiert sich für den Wettkampf zwischen Trumps früherer UN-Botschafterin Nikki Haley und Floridas Gouverneur Ron DeSantis um Platz zwei. Haley steht eher für republikanische Traditionen aus der Zeit vor Trump: Sozialausgaben senken, Bündnisse pflegen, Kiew helfen. DeSantis dagegen verkauft sich als smarter Vollender der Trump-Revolte. Beider Angriffe auf den Spitzenreiter, der alle Debatten boykottierte, blieben zahm; Haley warf Trump Chaos vor, DeSantis unerfüllte Versprechen. Wenn es aber um die Verbrechen geht, die Trump in vier Anklageschriften vorgeworfen werden, stimmen beide ins Lied der „Hexenjagd“ ein: Nicht die Justiz, die Wähler sollten über Trump urteilen.

So könnte es kommen. Eine rechtskräftige Verurteilung Trumps vor November ist unwahrscheinlich – und selbst dann dürfte er antreten. Frivol mutet Trumps Anspruch an, Immunität für alle etwaigen Straftaten seiner Amtszeit zu genießen. Selbst für ein Mordkomplott wäre ein Präsident nach seiner Rechtsauffassung nicht zu belangen, sofern der Kongress ihn nicht des Amtes enthoben hätte. Das erinnert an Trumps Selbsteinschätzung aus seinem ersten Wahlkampf, er könnte auch in New York auf Passanten schießen und würde doch keine Wähler verlieren.

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Besser stehen Trumps Aussichten, wieder auf die Wahlzettel in jenen Staaten zu gelangen, die ihn als „Aufrührer“ von den Vorwahlen ausgeschlossen haben. Dass die Justiz Trump daran hindert, die Vorwahlen zu gewinnen, ist nicht zu erwarten. Vielmehr bescheren ihm die Prozesse die kostenlosen Fernsehauftritte, die er sich 2016 mit seinen damals noch als aufregend-skandalös empfundenen Tiraden während seiner Kundgebungen und 2020 mit seiner (Corona-)Politik als Präsident organisierte. Ein kritischer Tenor muss Trump dabei nicht schaden: Ich gegen alle, das ist sein Erfolgsrezept.

Das muss nicht heißen, dass die Prozesse niemanden mehr beeindrucken. Wechselwähler, die zwischen Trump und Biden schwanken, dürften zwar die Ausnahme bleiben. Aber vielleicht bleiben degoutierte Repu­blikaner am 5. November zu Hause, während Trump mit seiner Show die Demokraten in Massen mobilisiert. Damit ist er Bidens beste Hoffnung.

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Der traurigste Wahlkampf der amerikanischen Geschichte

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15.01.2024

Die amerikanische Politik ist nichts für zartbesaitete Naturen. Im Kampf um die Präsidentschaft werden Milliarden Dollar verpulvert, um politische Gegner zu vernichten, auch die im eigenen Lager. Dabei laden die Vorwahlen eigentlich dazu ein, sich mit Amerikas Demokratie zu versöhnen: Die Bürger bestimmen, wer im November zur Wahl steht.

2008 hätte es ein Juniorsenator namens Barack Hussein Obama kaum gegen die weltberühmte Hillary Clinton zum Kandidaten gebracht, wenn nicht Iowas Demokraten zu Beginn des Reigens gesagt hätten: Ihn wollen wir! Acht Jahre später galt es in Washington als ausgemacht, dass der republikanische Präsidentensohn und -bruder Jeb Bush gegen Clinton antreten werde. Doch trotz Hunderter Millionen Dollar kam er nicht gegen die Wähler an, die mit Donald Trump befanden, die Bushs hätten Amerika an den Rand des Abgrunds geführt. Auch Clinton wäre beinahe von dem Sozialisten Bernie Sanders entthront worden. Wenn auf einem „Caucus“ ein paar Dutzend Nachbarn um den besten Kandidaten ringen, dann liegt ein demokratischer Zauber über dem Schlachtfeld.

Eigentlich. Von Zauber oder Aufbruch wird wenig zu spüren sein, wenn Iowas Republikaner an diesem Montag die Vorwahlsaison eröffnen. Die beiden........

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