Der deutsche Staat ist zu groß geworden und soll zu viel leisten. Gerade jetzt ist die Gelegenheit günstig, um zu überprüfen, wofür er strukturell weniger Geld ausgeben kann. Denn erst die gestiegenen Zinsen und zuletzt der vom Verfassungsgericht kassierte Haushaltsmurks der Ampel lenken den Blick auf etwas, was eigentlich selbstverständlich sein müsste: Auch der Staat wirtschaftet mit knappen Ressourcen. Er muss Prioritäten setzen und klar abgrenzen, was die Gemeinschaft schultern soll und worum sich jeder Einzelne kümmern muss. Subsidiarität war einst ein ehrbares Prinzip hierzulande. Leider ist sie stark aus der Mode gekommen – für mehr Eigenverantwortung werben nur noch wenige.

Stattdessen haben die deutschen Regierungen der jüngeren Vergangenheit die Sozialausgaben stark ausgeweitet und immer neue Leistungen auf den Weg gebracht. Schon lange geht es nicht mehr nur darum, Bedürftige in Notlagen zu unterstützen, sondern bisweilen auch um Transferzahlungen für wirklich Wohlhabende. Doch dafür ist der Sozialstaat nicht gedacht.

Natürlich muss er zumal in einer offenen Volkswirtschaft mehr bieten als eine rudimentäre Absicherung – einigermaßen belegbar ist, dass Menschen nur dann auf Dauer bereit sind, mit Wettbewerbern in Niedriglohnländern zu konkurrieren, wenn sie sicher sein können, dass eine Niederlage keine materielle Existenzvernichtung bedeutet. Ein effizienter Sozialstaat ist zudem ein brauchbares Sparschwein, dessen Inhalt die Bedürfnisse zwischen verschiedenen Generationen auszugleichen hilft.

Aber er ist keine Vollkaskoversicherung gegen die Unwägbarkeiten in allen erdenklichen Lebensumständen. Und er kann nur so viel umverteilen, wie das die dahinterstehende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erlaubt. Für Deutschland mit seiner alternden Bevölkerung und tendenziell weniger stark wachsenden Wirtschaftskraft ist vollkommen klar, dass neue Begrenzungen nötig sind. Trivial ist beispielsweise die Erkenntnis, dass das Renteneintrittsalter weiter steigen muss für diejenigen, die körperlich nicht hart arbeiten.

Traurigerweise ist ein entsprechendes politisches Angebot denkbar rar, das sich in diesem Sinne einsetzt auch gegen Widerstände. Für die SPD packte Kanzler Olaf Scholz das nach wie vor fest zur Partei-DNA gehörende abgegriffene Fürsorgeversprechen zuletzt in den Ausspruch: „You’ll never walk alone.“

Die Grünen sind so sehr auf das Weltklima fixiert, dass sie lange nahezu komplett ignoriert haben, dass die Menschen nicht nur diese Herausforderung bewältigen müssen. Die FDP wirkt seit Jahren so, als suche sie ihre Rolle, und sie tut sich schwer damit, auszubuchstabieren, was liberale Politik im 21. Jahrhundert sein könnte. Alle drei Parteien sind ausweislich aller aktuellen Meinungsumfragen in der Wählergunst deutlich gesunken, im Osten mitunter bis in die drohende Bedeutungslosigkeit hinein.

Moderne und marktwirtschaftlich orientierte Konservative kommen derzeit besser an. Sie wissen, dass sich gute Politik nicht einfach an der Anzahl neuer Gesetze bemisst. Und sie verweigern Wandel nicht, im Ge­genteil: Frei nach Franz Josef Strauß beanspruchen sie, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren – im Gegensatz zu Linken und Grünen geben sie aber weit weniger vor, was damit gemeint ist, sondern passen sich behutsam an wichtige Weiter­entwicklungen an. Diese wiederum entstehen in einem dezentralen Prozess zwischen Anbietern und Nach­fragern verschiedenster Variationen und kommen nicht vom Amt.

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Diese Haltung ist übrigens noch aus einem anderen Grund gegenwärtig Erfolg versprechender. Sie kommt ohne therapeutische Rhetorik aus. Und ohne herabwürdigende abgedroschene Phrasen wie die, wonach die eigene Politik bloß besser erklärt werden müsse – nein, mangelhafte Kommunikation ist nicht das Kernproblem, sondern eine aus der Sicht einer zunehmenden Anzahl von Mitbürgern schlicht mangelhafte Politik.

Letztlich greift indes zu kurz, beim Parteien-Panorama stehen zu bleiben. Denn dieses spiegelt zu einem Großteil bloß das, was sich die allermeisten Menschen wünschen. Angesichts der politischen, wirtschaftlichen und demographischen Entwicklungen wäre eine Mentalität nötig, die vom Einzelnen mehr verlangt, ihn stärker in die Pflicht nimmt: für einen finanziell gesicherten Ruhestand, für eine gesunde Lebensweise, für fortdauernde Fortbildung, für gelingende Erziehung. Alle Entscheidungen darüber abzugeben, all das nur noch zu konsumieren von Finanzberatern, Ärzten, Lehrern oder Karrierecoachs, macht erst unselbständig. Und irgendwann unmündig.

QOSHE - Den Einzelnen in die Pflicht nehmen - Alexander Armbruster
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Den Einzelnen in die Pflicht nehmen

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10.01.2024

Der deutsche Staat ist zu groß geworden und soll zu viel leisten. Gerade jetzt ist die Gelegenheit günstig, um zu überprüfen, wofür er strukturell weniger Geld ausgeben kann. Denn erst die gestiegenen Zinsen und zuletzt der vom Verfassungsgericht kassierte Haushaltsmurks der Ampel lenken den Blick auf etwas, was eigentlich selbstverständlich sein müsste: Auch der Staat wirtschaftet mit knappen Ressourcen. Er muss Prioritäten setzen und klar abgrenzen, was die Gemeinschaft schultern soll und worum sich jeder Einzelne kümmern muss. Subsidiarität war einst ein ehrbares Prinzip hierzulande. Leider ist sie stark aus der Mode gekommen – für mehr Eigenverantwortung werben nur noch wenige.

Stattdessen haben die deutschen Regierungen der jüngeren Vergangenheit die Sozialausgaben stark ausgeweitet und immer neue Leistungen auf den Weg gebracht. Schon lange geht es nicht mehr nur darum, Bedürftige in Notlagen zu unterstützen, sondern bisweilen auch um Transferzahlungen für wirklich Wohlhabende. Doch dafür ist der Sozialstaat nicht gedacht.

Natürlich muss er zumal in einer offenen Volkswirtschaft mehr bieten als eine rudimentäre Absicherung – einigermaßen belegbar ist, dass Menschen nur dann auf Dauer bereit sind, mit Wettbewerbern in........

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