Boris Rhein und Tarek Al-Wazir auf der Terrasse der Frankfurter Goethe-Universität.

© Quelle: Arne Dedert/dpa

Die Hessen-Wahlen und ihre Folgen werden als Wendepunkt im Gedächtnis bleiben, an dem die AfD auch im Westen angekommen ist und die Distanzierung der Union von den Grünen klar wurde. Die Signale der Wählerinnen und Wähler haben die Parteien aber nicht wirklich verstanden, kommentiert Eva Quadbeck.

Die Weichen­stellung in Hessen von Schwarz-Grün auf Schwarz-Rot ist weit mehr als eine Entscheidung auf regionaler Ebene. Diese Landtags­wahlen und ihre Folgen sind Kristallisations­punkt der aktuellen bundes­politischen Entwicklung. Die Wahlen dort dürften als Wendepunkt im Gedächtnis bleiben, an dem die AfD auch im Westen angekommen ist und die Distanzierung der Union von den Grünen sichtbar wurde.

Es gibt keinen Anlass in der bisherigen hessischen Regierung, dass Minister­präsident Boris Rhein (CDU) die Pferde wechselt. Die Ursachen liegen vielmehr in Berlin, in der bundes­politischen Aufstellung der Union. Angesichts einer breiten Stimmung in der Gesellschaft, die sich gegen die Grünen und deren Klima- und Gesellschafts­politik richtet, geht die Union auf Distanz. Die Wählerinnen und Wähler sollen bloß nicht den Eindruck gewinnen, dass die CDU überall dort, wo es rechnerisch möglich ist, auch tatsächlich mit den Grünen ein Bündnis schmiedet. Die einst als politische Avantgarde gehandelte Koalitionsoption Schwarz-Grün hat ihren Glanz verloren, bevor sie auch nur einmal auf Bundes­ebene zusammen­finden konnte.

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Dem hessischen Regierungschef Rhein wird der Wechsel seines Junior­partners leichtfallen. Man kann davon ausgehen, dass sich die Sozial­demokraten recht preiswert als Regierungs­partner andienen. Seit mehr als 20 Jahren sitzt die SPD in Hessen in der Opposition. Dass sie nun unbedingt an die Regierung zurück­möchte, auch dafür liegen die Gründe in Berlin: Mit einer Beteiligung an der Macht trägt die krachend gescheiterte Spitzen­kandidatin der SPD in Hessen, Nancy Faeser, zumindest noch einen kleinen Skalp nach Hause.

So wie Union und SPD jeweils ihren strategischen Nutzen aus der hessischen Neuaufstellung ziehen, so ist sie nicht nur für den bisherigen hessischen Vizeminister­präsidenten Tarek Al-Wazir eine bittere Entscheidung. Zumal Al-Wazir ein durch und durch pragmatischer und realpolitischer Grüner ist. Für die Grünen auf Bundesebene ist es ein Schuss vor den Bug. Ein wenig stehen sie da wie die Schmuddel­kinder, mit denen keiner spielen möchte.

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Dass die Sozial­demokraten die Grünen in Hessen ausbooten konnten, wird den Frieden in der Ampel­koalition nicht gerade befördern. Für eine stabile Bundes­regierung wäre ein solcher Wechsel in einem Bundesland kein Problem. In einer derart angespannten Stimmung wie aktuell, in der alle demokratischen Parteien durch Rechtsradikale unter Druck stehen und die Regierungs­parteien besonders schwach dastehen, kann auch eine solche Entscheidung neue Unwucht entfalten. Zumal in allen drei Parteien, SPD, Grünen und FDP, die Unzufriedenheit auf kommunaler Ebene und bei den Funktionären wächst.

Für den Augenblick dieses Freitags mögen sich Union und SPD an ihren kleinen taktischen Siegen freuen. Auf der langen Strecke wird die neue Konstellation in Hessen die Probleme der etablierten Parteien nicht lösen. Aus ihren Umfrage­löchern werden sie nur heraus­kommen, wenn sie die Signale der Wählerinnen und Wähler besser verstehen. In Hessen haben die Menschen nicht den Wechsel von Schwarz-Grün zu Schwarz-Rot gewählt. Vielmehr haben sie erstmals in einem westdeutschen Flächenland die AfD zu einer relevanten Größe im Parlament gemacht. Sie haben in Hessen gewählt, und viele von ihnen haben, wie Wahlanalysen zeigen, Berlin gemeint. Dieses Signal ist in der Hauptstadt aber noch nicht in seiner ganzen Wucht angekommen. Wenn sich das nicht ändert, wird sich die Bundes­regierung bei der Europawahl im kommenden Juni die nächste Niederlage einhandeln.

Noch vor kurzem galt Schwarz-Rot im Bund als Stillstandskoalition und die Grünen als Wählerlieblinge. Nun wirft die Hessen-CDU sie aus der Regierung und löst damit Entsetzen in der Bundeshauptstadt aus. Die Ampel in Berlin reagiert nervös auf den Knall in Hessen – und Friedrich Merz kann sich freuen.

Spaniens geschäftsführender Regierungschef Sánchez hat offenbar die nötige Mehrheit gefunden, um sich im Amt bestätigen zu lassen. Doch wenn er auf die Unterstützung der Separatisten setzen möchte, muss er ihnen weitere Zugeständnisse machen, wie ihr Vorsitzender nun preisgibt.

Klimaschädlinge sollen in Teilen der Niederlande nicht mehr im öffentlichen Raum beworben werden – dazu zählt unter anderem Fleisch. Drei Gemeinden haben das Verbot von Fleischwerbung bereits beschlossen. MADS erklärt, was dahintersteckt und wie Fleischproduzenten auf das Verbot reagieren.

Im Sudan tobt seit April diesen Jahres ein Machtkampf zwischen Regierungstruppen und der paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces. Sechs Millionen Menschen wurden nach UN-Aussagen bereits vertrieben. Und die Kämpfe drohen weiter zu eskalieren.

Sind mal wieder alle gegen die AfD? So sieht die Partei jedenfalls das neue Stiftungsfinanzierungsgesetz. Denn es zeichnet sich ab, dass die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung die Kriterien für staatliche Förderung nicht erfüllen wird. Partei und Stiftung sind empört.

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Rhein trennt sich von den Grünen: Die Menschen haben in Hessen gewählt und Berlin gemeint

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10.11.2023

Boris Rhein und Tarek Al-Wazir auf der Terrasse der Frankfurter Goethe-Universität.

© Quelle: Arne Dedert/dpa

Die Hessen-Wahlen und ihre Folgen werden als Wendepunkt im Gedächtnis bleiben, an dem die AfD auch im Westen angekommen ist und die Distanzierung der Union von den Grünen klar wurde. Die Signale der Wählerinnen und Wähler haben die Parteien aber nicht wirklich verstanden, kommentiert Eva Quadbeck.

Die Weichen­stellung in Hessen von Schwarz-Grün auf Schwarz-Rot ist weit mehr als eine Entscheidung auf regionaler Ebene. Diese Landtags­wahlen und ihre Folgen sind Kristallisations­punkt der aktuellen bundes­politischen Entwicklung. Die Wahlen dort dürften als Wendepunkt im Gedächtnis bleiben, an dem die AfD auch im Westen angekommen ist und die Distanzierung der Union von den Grünen sichtbar wurde.

Es gibt keinen Anlass in der bisherigen hessischen Regierung, dass Minister­präsident Boris Rhein (CDU) die Pferde wechselt. Die Ursachen liegen vielmehr in Berlin, in der bundes­politischen Aufstellung der Union. Angesichts einer breiten Stimmung in der Gesellschaft, die sich gegen die Grünen und deren Klima- und Gesellschafts­politik richtet, geht die Union auf Distanz. Die Wählerinnen und Wähler sollen bloß nicht den Eindruck gewinnen, dass die CDU überall dort, wo es rechnerisch möglich ist, auch tatsächlich mit den Grünen ein Bündnis schmiedet. Die einst als politische........

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