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Beim Klassentreffen der Schauspielbranche fehlt der Champagnerbrunnen. Dafür perlt becherweise Schweiß von den Stirnen. Nur die Filme gehen noch nicht unter die Haut.

16.02.2024, 11:44 Uhr

Es ist wahnsinnig voll – und manche hier sind es auch. Ein Mann mit weit geöffnetem Hemd umkreist auf der Tanzfläche eine Frau, die umgehend versucht, in eine andere Umlaufbahn auszuweichen, was ihr aber mit ihren hohen Absatzschuhen nicht recht gelingen will. Eine andere Frau, gern gesehen auf Leinwänden und Bildschirmen, hat ihr glitzerndes Handtäschchen vor sich abgelegt und tanzt um dieses herum, während eine drehbare Kamera von RTL auf sie zoomt. Sie schaut zu mir herüber und lächelt mich ausdauernd an.

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Ich blicke auf die Uhr meines Handys: schon halb drei morgens. Und es ist erst die erste von zehn durchzufeiernden Berlinale-Nächten. Vielleicht der richtige Moment, um wenigstens ein paar Stunden die Augen zu verschließen.

Die Opening-Night im Luxushotel Stue ist ein Klassentreffen der deutschen Filmbranche, bei dem in diesem Jahr nur eines anders ist als sonst: Der Champagnerbrunnen fehlt. Das diesmal aus großen Flaschen nachgefüllte Sprudelwasser perlt in den Gläsern und Kehlen. Und da hier immer zu viele Leute für zu wenig Platz eingeladen sind, perlt auch becherweise Schweiß auf den Stirnen. Das ist natürlich blöd für all die Handyvideos, die hier gedreht werden müssen, um sich in die Anwesenheitsliste einzutragen. „Mach das noch mal: Ich wollte meinen Po rausstrecken, es war aber mein Bauch!“, ruft eine Frau ihrem Begleiter zu, als sie ihre gesammelten Jubelselfies auf dem Bildschirm durchscrollt.

© imago images/Eventpress/Eventpress Golejewski via www.imago-images.de

Die umherkrabbelnden Menschen sind derweil damit beschäftigt, permanent im Gehen stehen zu bleiben, um sich danach umzublicken, ob jemand sie gesehen hat. Ausgelassenheit zu spielen fällt selbst Schauspielenden nicht leicht.

Die meisten Filme der Berlinale sind sowieso wieder schwere Kost. Im Eröffnungsdrama „Small things like these“ schleppt sich Oscar-Star Cillian Murphy mit eingefrorenem Depri-Blick und vom Drehbuch auferlegtem Schweigegelübte durch eine düstere irische Gewaltlandschaft. Ein Film wohl nur für „Cineaisten“, wie Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner die Gäste im Berlinale-Palast betitelt. Kino ist nicht für jeden was.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Für große Leute zum Beispiel ist es schwer, sich in die engen Sitzreihen zu zwängen. Toni Garrn ist schon ohne Absatzschuhe 1,85 Meter hoch, das Model schreitet mir im pink-gelben, hautbetonten Tüllkleid auf dem roten Teppich entgegen. Wie kann man denn darauf sitzen? „Ganz schlecht“, antwortet sie, während sie den Fotografen eines ihrer zwei langen Beine entgegenstreckt. „Das Tüll ist ja receycelt, das kribbelt überall.“

Na, bitte: Sie kribbelt auch ohne Champagnerbrunnen, die Berlinale. Also Augen auf und durch!

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Tag 3 der Berlinale : Kribbeln mit Tüll und Depri-Blick

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17.02.2024

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Beim Klassentreffen der Schauspielbranche fehlt der Champagnerbrunnen. Dafür perlt becherweise Schweiß von den Stirnen. Nur die Filme gehen noch nicht unter die Haut.

16.02.2024, 11:44 Uhr

Es ist wahnsinnig voll – und manche hier sind es auch. Ein Mann mit weit geöffnetem Hemd umkreist auf der Tanzfläche eine Frau, die umgehend versucht, in eine andere Umlaufbahn auszuweichen, was ihr aber mit ihren hohen Absatzschuhen nicht recht gelingen will. Eine andere Frau, gern gesehen auf Leinwänden und Bildschirmen, hat ihr glitzerndes Handtäschchen vor sich abgelegt und tanzt um dieses herum, während eine drehbare Kamera von RTL auf sie zoomt. Sie schaut zu mir herüber und lächelt mich ausdauernd an.

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