© Imago/Nikito

Deutschland befindet sich in einem globalen Wettbewerb um Arbeits- und Fachkräfte. Das Staatsbürgerschaftsrecht an physische und soziale Kriterien zu knüpfen, wäre diskriminierend.

Heute, 16:20 Uhr

Manchmal hilft ein Blick über den Tellerrand, wenn heimische Konflikte ins Kleinklein abdriften. Beim Thema Einbürgerung bieten sich die USA an. Am 17. September 1787 wurde die amerikanische Verfassung unterzeichnet. In den darauffolgenden 236 Jahren wurde sie nur 27-mal geändert, besser gesagt: durch ein Amendment ergänzt. Denn ihr Wortlaut ist sakrosankt. Amerikaner verehren ihre Verfassung, der „constitution day“ ist ein Feiertag. Gleichzeitig ist er „citizenship day“, der Tag der Einbürgerung.

Festlich wird das Zeremoniell begangen. Alle Neubürger eines Bezirks versammeln sich in einem öffentlichen Gebäude. Viele von ihnen schwenken kleine amerikanische Flaggen, im Hintergrund spielt eine Kapelle patriotische Musik. Dann legen sie gemeinsam den Eid auf die Verfassung ab. Der Name eines jeden sowie dessen Ursprungsland wird aufgerufen.

Malte Lehming ist leitender Redakteur beim Tagesspiegel. Er findet: Bei der Debatte um Einbürgerungen lohnt sich ein Blick in die USA.

Das Bekenntnis zur Verfassung im Gegenzug zu Teilhabe und Akzeptanz. In Amerika kommt jeder irgendwo her, trägt Erinnerungen mit sich, eine Geschichte, Kultur und Tradition. Daher der Aufruf des Ursprungslandes. Der Stolz darauf, Amerikaner zu sein, darf sich verbinden mit dem Stolz auf die Herkunft.

Und damit zum aktuellen Kleinklein der deutschen Einbürgerungsdebatte. Es geht um die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die im August vom Kabinett beschlossen worden war. Demnach sollen Einwanderer künftig nach fünf statt acht Jahren Aufenthalt Staatsbürger werden können. Bei besonders guten Leistungen – in Schule, im Beruf oder beim Spracherwerb – oder durch ehrenamtliches Engagement soll eine Einbürgerung schon nach drei Jahren möglich sein. Die alte Staatsangehörigkeit muss nicht mehr aufgegeben werden.

SPD und Grüne erhoffen sich davon eine erhöhte Attraktivität des Wirtschaftsstandortes. Rund 1,8 Millionen Stellen sind derzeit unbesetzt. Das kostet die Betriebe mehr als 90 Milliarden Euro allein in diesem Jahr. Union und AfD haben Bedenken, warnen vor Anreizen für Migration und vor einer Verramschung des deutschen Passes. Einwände kommen auch von der FDP, die darauf besteht, dass ein eigenes Einkommen vorausgesetzt werden muss. Behinderte Menschen und Bürgergeldempfänger, viele Alleinerziehende und Arbeitnehmer in Teilzeit wären dann ausgeschlossen.

Zur Erinnerung: Menschen werden eingebürgert, nicht nur besonders leistungsstarke und gesunde Menschen. Das Staatsbürgerschaftsrecht an physische und soziale Kriterien zu knüpfen, ist diskriminierend. Außerdem würde sich für die Sozialsysteme kaum etwas ändern. Ob als Deutsche oder Nicht-Deutsche – wer krank ist, muss versorgt, wer arbeitslos ist, unterstützt werden.

Was von Neubürgern erwartet werden darf, ist ein Bekenntnis zum Grundgesetz, sind Sprach- und Landeskenntnisse. Außerdem sollten sie nicht straffällig geworden sein. Darüber hinaus gehende Beteuerungen von ihnen zu verlangen, ist übergriffig. Deutschland ist keine Gesinnungsgemeinschaft, sondern eine Rechtsgemeinschaft. Gesetzesgehorsam ist Pflicht, kein Wertegehorsam.

Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes ermöglicht mehr demokratische Beteiligung, stärkt das Wir-Gefühl und könnte Deutschland, zumindest in der Wahrnehmung nach außen, für einige Fachkräfte attraktiver machen. Gewarnt aber sei vor übertriebenen Hoffnungen. Dass Technologie- und IT-Spezialisten demnächst Schlange stehen, um hier zu arbeiten, ist illusorisch.

Ergänzt werden muss die Reform durch eine Vielzahl ganz praktischer Maßnahmen, die sich auf die bereits hier lebenden eingewanderten Menschen richten. Eine Großoffensive zu deren Qualifizierung ist vonnöten, eine leichtere Anerkennung von schulischen und beruflichen Abschlüssen und ein Abschiebestopp für gut Integrierte.

Deutschland befindet sich in einem globalen Wettbewerb um Arbeits- und Fachkräfte. Das vorhandene Potenzial nicht auszuschöpfen, kann sich dieses Land nicht leisten. Eine erleichterte Einbürgerung mag sinnvoll sein. Wichtiger aber noch wären Gesten der Dankbarkeit gegenüber jenen, die bei der Wertschöpfung mit anpacken – ganz gleich, woher sie kommen.

Zur Startseite

QOSHE - Wer darf Deutscher werden? : Einbürgerungen sind ein Geben und Nehmen - Malte Lehming  Kommentare
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Wer darf Deutscher werden? : Einbürgerungen sind ein Geben und Nehmen

20 0
30.11.2023

© Imago/Nikito

Deutschland befindet sich in einem globalen Wettbewerb um Arbeits- und Fachkräfte. Das Staatsbürgerschaftsrecht an physische und soziale Kriterien zu knüpfen, wäre diskriminierend.

Heute, 16:20 Uhr

Manchmal hilft ein Blick über den Tellerrand, wenn heimische Konflikte ins Kleinklein abdriften. Beim Thema Einbürgerung bieten sich die USA an. Am 17. September 1787 wurde die amerikanische Verfassung unterzeichnet. In den darauffolgenden 236 Jahren wurde sie nur 27-mal geändert, besser gesagt: durch ein Amendment ergänzt. Denn ihr Wortlaut ist sakrosankt. Amerikaner verehren ihre Verfassung, der „constitution day“ ist ein Feiertag. Gleichzeitig ist er „citizenship day“, der Tag der Einbürgerung.

Festlich wird das Zeremoniell begangen. Alle Neubürger eines Bezirks versammeln sich in einem öffentlichen Gebäude. Viele von ihnen schwenken kleine amerikanische Flaggen, im Hintergrund spielt eine Kapelle patriotische Musik. Dann legen sie gemeinsam den Eid auf die Verfassung ab. Der Name eines jeden sowie dessen Ursprungsland wird aufgerufen.

Malte Lehming ist leitender........

© Der Tagesspiegel


Get it on Google Play