© Reuters/Henry Nicholls

Die Meinungs- und Pressefreiheit ist nicht an edle Motive gebunden. Auch geheime Informationen und Dokumente dürfen verbreitet werden, wie es der Wikileaks-Gründer getan hat.

Heute, 06:32 Uhr

Er nimmt keine Rücksicht, verprellt jeden, legt sich mit allen an. Mit Militärs, Diplomaten, Geheimdienstlern. Amerikas Konservative bezichtigen ihn der Spionage, des Landesverrats und der Verschwörung.

Amerikas Liberale sind sauer auf Julian Assange, weil er im Oktober 2016, kurz vor der Präsidentschaftswahl, Dokumente aus dem E-Mail-Account des Wahlkampfleiters von Hillary Clinton veröffentlicht hatte. Dieser Mann ist ein Stachel im Fleisch vieler Mächtiger.

Die Enthüllungsplattform Wikileaks, deren Sprecher Assange war, machte seit 2010 rund 700.000 vertrauliche Dokumente über diplomatische und militärische Aktivitäten der USA publik.

Gemeinsam mit der „New York Times“, dem „Guardian“ und dem „Spiegel“ wurden Auszüge aus Militärprotokollen und Depeschen veröffentlicht, die mutmaßlich Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan und dem Irak belegten.

Wikileaks gilt in den USA als „feindseliger nicht-staatlicher Geheimdienst“. Deshalb wird seit langem die Auslieferung Assanges gefordert. Die Anklage gegen ihn umfasst 18 Punkte und bezieht sich auf das US-Spionagegesetz von 1917. Ihm droht eine sehr lange Haftstrafe.

Malte Lehming ist Redakteur des Tagesspiegel. Er meint, Meinungsfreiheit ist nicht an edle Motive gebunden.

Der britische Supreme Court hat der Auslieferung bereits zugestimmt, das letzte Wort hat der High Court. Dessen Votum kann jederzeit erfolgen. Als letzte Instanz bliebe Assange der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Aber die Hoffnungen des Aktivisten und seiner Anhänger schwinden.

Ich bin der Meinung, dass es schon gut wäre, wenn die britischen Gerichte ihm den notwendigen Schutz gewähren, weil er ja doch mit Verfolgung in den USA rechnen muss.

Unterstützung kam nun von unerwarteter Seite. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach sich ungewöhnlich pointiert gegen eine Auslieferung aus.

„Ich bin der Meinung, dass es schon gut wäre, wenn die britischen Gerichte ihm den notwendigen Schutz gewähren, weil er ja doch mit Verfolgung in den USA rechnen muss“, sagte der SPD-Politiker am Montag bei einer Fragerunde an einem beruflichen Schulzentrum im baden-württembergischen Sindelfingen.

Assanges Gegner bringen viel gegen ihn vor. Er gelte als narzisstisch, aufbrausend, unberechenbar, heißt es. In Schweden wurden ihm Vergewaltigung und sexuelle Nötigung vorgeworfen.

Im russischen Propagandasender RT hatte er eine eigene Interview-Sendung („World Tomorrow“) – sein erster Gast war Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Durch die Wikileaks-Veröffentlichungen wurden womöglich Menschenleben gefährdet. Assange sei nicht neutral, sondern habe eine politische Agenda.

Doch die meisten Vorhaltungen gehen am Kern der Sache vorbei. Medien dürfen auch streng geheime Informationen und Unterlagen verbreiten.

In der „Spiegel“-Affäre („Bedingt abwehrbereit“) wurde das 1962 ebenso verteidigt wie 1967, als die „Washington Post“ die „Pentagon Papers“ über den Vietnamkrieg veröffentlichten, und 2016, als die „Panama Papers“ zu Ermittlungen gegen Politiker und andere prominente Personen in zahlreichen Ländern führten.

Der Charakter des Enthüllers und seine Motive sind dabei nebensächlich. Er ist keinesfalls an eine stets unparteiische Form der Wahrheit gebunden.

Die Pressefreiheit ist ein Grundrecht, in Deutschland wird sie durch das Grundgesetz garantiert. Dort heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

Der Fall Assange ist ein Test, wie ernst es dem Westen mit dieser Freiheit ist. Wer die Publikations-Tätigkeiten von Wikileaks kriminalisiert oder eine Kriminalisierung durch Auslieferung Assanges an die USA begünstigt, versündigt sich an einem fundamentalen Wert unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung. Assange muss freigelassen werden – jetzt, sofort, unmittelbar!

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Gericht entscheidet über Auslieferung an die USA : Freiheit für Julian Assange – jetzt, sofort, unmittelbar!

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05.03.2024

© Reuters/Henry Nicholls

Die Meinungs- und Pressefreiheit ist nicht an edle Motive gebunden. Auch geheime Informationen und Dokumente dürfen verbreitet werden, wie es der Wikileaks-Gründer getan hat.

Heute, 06:32 Uhr

Er nimmt keine Rücksicht, verprellt jeden, legt sich mit allen an. Mit Militärs, Diplomaten, Geheimdienstlern. Amerikas Konservative bezichtigen ihn der Spionage, des Landesverrats und der Verschwörung.

Amerikas Liberale sind sauer auf Julian Assange, weil er im Oktober 2016, kurz vor der Präsidentschaftswahl, Dokumente aus dem E-Mail-Account des Wahlkampfleiters von Hillary Clinton veröffentlicht hatte. Dieser Mann ist ein Stachel im Fleisch vieler Mächtiger.

Die Enthüllungsplattform Wikileaks, deren Sprecher Assange war, machte seit 2010 rund 700.000 vertrauliche Dokumente über diplomatische und militärische Aktivitäten der USA publik.

Gemeinsam mit der „New York Times“, dem „Guardian“ und dem „Spiegel“ wurden Auszüge aus Militärprotokollen und Depeschen veröffentlicht, die mutmaßlich........

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