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Schon Platon fand, der Abstand der Reichen von den Armen müsse reguliert werden. Heute findet Carola Rackete, zwei Millionen Euro sollten reichen. Spinnen die ein bisschen?

Heute, 10:42 Uhr

Die Frage taucht immer auf, wenn es um den Haushalt geht: Wie viel Sozialstaat kann man sich noch leisten? Meist wird dann um Steuererhöhungen gestritten. Es geht auch anders. Zuletzt fragte Carola Rackete, Spitzenkandidatin der Linken im Europawahlkampf: „Warum sollte jemand mehr als zwei Millionen Euro besitzen?“

Gute Frage? Offenbar nicht. Die Reaktion war wie immer Empörung: Spinnt die Frau?

Die Reaktion fiel aus wie immer, und sie war fatal. Der Aufschrei lenkte wieder mal davon ab, wie weit die meisten, die sich erregten, von zwei Millionen Euro entfernt sind. Was verteidigen sie also?

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Ist es nicht vielmehr nötig, Wege zu finden, Kapital stärker an soziale Pflichten zurückzubinden? Ein Hebel dazu könnte eine Vermögensobergrenze sein.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2023 rückten 14 Einzelpersonen oder Familien hierzulande in den Kreis der Milliardäre auf. Mittlerweile zählt der kleine Zirkel 226 Hyperreiche.

Würde man das Nettovermögen des reichsten einen Prozents hierzulande zusammenrechnen, wie es das Deutsche Institut für Wirtschaft DIW im Jahr 2020 unternommen hat, so entspräche die Summe von 3.,6 Billionen Euro etwa dem, was 90 Prozent der deutschen Haushalte besitzen.

Sehr wenige Menschen häufen in diesem Land ungeheuren Reichtum an, während die Kluft zum Rest der Gesellschaft unaufhörlich wächst. Der Sozialstaat besitzt keinen Umverteilungsmechanismus mehr. Arm zu sein bedeutet, arm zu bleiben, weil Arbeit an Wert verliert.

Statistiken zur Vermögensverteilung belegen das und liefern das perfekte Futter für Neiddebatten.

Das Ungleichgewicht sei zunehmend inakzeptabel, sagen die einen. Andere entgegnen, dass der Reichtum Einzelner in Deutschland an den wirtschaftlichen Erfolg des Mittelstandes gekoppelt sei, also als Wachstumsmotor in die Breite wirke.

Die Reichen würden nicht nur selbst reicher, sondern machten alle reicher, so die Logik. Schließlich wird immer dasselbe Rezept erörtert: Steuern.

Steuerabgaben sind das klassische Instrument sozialer Umverteilungen. Würde es funktionieren, wäre es gut. Doch das tut es nicht. Die progressive Steuerbelastung entfaltet ihre Wirkung in Deutschland nur bis zu einem Jahreseinkommen von etwa 277.825 Euro.

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Danach tritt der so genannte Warren-Buffett-Effekt ein, nach dem sich veranlagte Kapitalvermögen durch Zinseszins exponentiell vergrößern, ohne dass der Staat mitverdient. Da ist es kein Wunder, dass die Zahl der Milliardäre und Multimillionäre ständig wächst.

Es muss in einem Staate, welcher von Aufruhr und Spaltung frei bleiben soll, … weder der eine Teil der Bürger in drückender Armut noch der andere in Reichtum leben …

Ist es da nicht wirklich nötig, neue Wege zu finden, wie Kapital stärker an soziale Pflichten zurückgebunden werden kann? Ist eine Vermögensobergrenze wirklich so verrückt?

Schon Platon hat in seiner Staatslehre („Nomoi“) eine Vermögenskappung ins Spiel gebracht hat. Für den griechischen Philosophen lag auf der Hand: „Es muss in einem Staate, welcher von Aufruhr und Spaltung frei bleiben soll, … weder der eine Teil der Bürger in drückender Armut noch der andere in Reichtum leben, … und so muss denn der Gesetzgeber nunmehr jedem von beiden eine Grenze setzen.“

Wenn es für Armut eine Grenze gibt, so die Logik, dann auch für Reichtum. Wenn Privatbesitz ab einer Summe von, sagen wir, 50 Millionen Euro, der nominellen Grenze zwischen Reichtum und Superreichtum, zu 100 Prozent versteuert oder gemeinnützig gemacht werden müsste, flösse jeder Euro oberhalb dieser Marke in den Kapitalstock von Stiftungen.

Von einer solchen Kappung wären im Jahr 2020 in Deutschland 9100 Superreiche betroffen gewesen.

Der Effekt wäre, dass enorme Werte, die sich durch Zinseszins und Kapitalrenditen selbst vermehren und von Steuern weitgehend unerfasst bleiben, an soziale Aufgaben gebunden wären, ohne dass sie ihren wirtschaftlichen Hebel verlören.

Das ist entscheidend. Das Kapital soll ungehindert am Markt weiterarbeiten können, seine Überschüsse flössen jedoch über Stiftungen in wohltätige Zwecke, die allen zugutekommen.

Sie können das Geld nicht durch Konsum zerstören.

Wie aber die Obersten Zehntausend zwingen, sich jeweils mit 50 Millionen Euro zufrieden zu geben?

Gegenfrage: Was will ein Mensch mit mehr? Der Immobilien-Magnat Christoph Gröner hat gesagt, dass man ab 15 Millionen Euro nur noch immer reicher werde: „Sie können das Geld nicht durch Konsum zerstören.“

Ob Rolex, Ferrari, Villa am See, ob Ferienhäuser an Traum-Destinationen, Yachten und Zweitwohnungen in New York und Paris – reiche Menschen kaufen teure, seltene Dinge, weil deren Wert sich weiter erhöht.

50 Millionen Euro sind dabei nur eine willkürlich gewählte Entsprechung für einen materiellen Überfluss, bei dem ein Mensch mehr hat, als er je brauchen wird. Jenseits dieser Grenze geht es nicht mehr um Geld, sondern um Macht.

Natürlich gibt es keinen Passus im Grundgesetz, auf den man sich bei einer solchen Maßnahme berufen könnte, zumal es Eigentum ausdrücklich vor dem Zugriff des Staates schützt. Aber so abwegig, dass man nicht weiter darüber nachdenken müsste, ist die Beschneidung von Kapital auch wieder nicht.

Als die Architekten der Sozialen Markwirtschaft 1949 den Kampf mit den vielen Industriekartellen aufnahmen, die noch aus der Kaiserzeit stammten, wollten auch sie, dass Geld sich in einem Marktraum vermehren kann, der durch eine Kappungsgrenze geschützt sein würde.

Das Gesetz zur Wettbewerbsbeschränkung trat erst 1958 in Kraft. So lange brauchte es, um den Widerstand gegen die freie Preisbildung zu brechen.

Ein anderer Einwand gegen die „Deckelung des Superreichtums“, wie sie der Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski 2012 ins Gespräch brachte, wiegt allerdings schwerer: Mit der Kappungshöhe geht ein normatives Defizit einher, da sie nicht „gerecht“ definiert werden kann. Platon hatte es in diesem Punkt leicht.

Die Macht über finanzielle Mittel, die es einem ermöglichen, sich um den Rest der Menschheit keine Gedanken mehr machen zu müssen, ist nicht ,super‘, sondern […] für den Rest der Menschheit potenziell gefährlich.

Als er „den vierfachen Wert des Landanteils eines Bürgers“ zum Maßstab erhob, orientierte er sich schlicht am in vier Klassen gestaffelten Steuersystem der Polis. So sollte der Reichste der obersten Klasse nur das Vierfache dessen besitzen dürfen, was dem Armen zustand.

Der Wirtschaftswissenschaftler Hagen Krämer hingegen leitet seine Obergrenze aus dem statistischen Mittelwert ab, der sich aus einem linearen Schnitt durch die Vermögensverteilung ergeben würde. Warum ausgerechnet eine lineare Verteilungskurve „ideal“ für eine Marktwirtschaft sein soll, erklärt er nicht. Sie entspricht zumindest dem allgemeinen Empfinden des gleichen Maßes.

So bleibt das Dilemma bestehen, dass es kein Äquivalent zum Existenzminimum gibt. Man kann im Kapitalismus so viel besitzen, wie man will. Deshalb macht es keinen Sinn, moralisch gegen zu viel Überfluss zu argumentieren.

Entscheidend ist, den Risikofaktor zu erkennen, der wie bei den Kartellen aus der Konzentration von zu viel Wirtschaftsmacht erwächst. So erscheint dieser Tage ein Buch über „Die Sprache des Kapitalismus“, in dem der Begriff „superreich“ als zu positiv kritisiert wird. Besser wäre: überreich.

„Denn die Macht über finanzielle Mittel, die es einem ermöglichen, sich um den Rest der Menschheit keine Gedanken mehr machen zu müssen, ist nicht ,super‘, sondern […] für den Rest der Menschheit potenziell gefährlich“, schreiben die Autoren Simon Sahner und Daniel Stähr.

Am Ende würde eine Obergrenze die Reichen nicht ärmer machen, auch den Ehrgeiz nicht behindern, nach Reichtum und Luxus zu streben. Allerdings reduziert sie den Renditedruck, bremst Spekulationsgeschäfte und schafft einen ziemlich finanzstarken Raum privatisierter Sozialleistungen. Das lohnt sich für alle, auch wenn es eines ziemlich langen Atems braucht. „Mit Reichtum fertig zu werden“, meinte Ludwig Erhard einmal, sei nämlich „auch ein Problem“.

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Was soll das mit den Superreichen überhaupt? : Die Besitzrekorde der einen und die Rufe nach Vermögensobergrenzen

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19.03.2024

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Schon Platon fand, der Abstand der Reichen von den Armen müsse reguliert werden. Heute findet Carola Rackete, zwei Millionen Euro sollten reichen. Spinnen die ein bisschen?

Heute, 10:42 Uhr

Die Frage taucht immer auf, wenn es um den Haushalt geht: Wie viel Sozialstaat kann man sich noch leisten? Meist wird dann um Steuererhöhungen gestritten. Es geht auch anders. Zuletzt fragte Carola Rackete, Spitzenkandidatin der Linken im Europawahlkampf: „Warum sollte jemand mehr als zwei Millionen Euro besitzen?“

Gute Frage? Offenbar nicht. Die Reaktion war wie immer Empörung: Spinnt die Frau?

Die Reaktion fiel aus wie immer, und sie war fatal. Der Aufschrei lenkte wieder mal davon ab, wie weit die meisten, die sich erregten, von zwei Millionen Euro entfernt sind. Was verteidigen sie also?

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Ist es nicht vielmehr nötig, Wege zu finden, Kapital stärker an soziale Pflichten zurückzubinden? Ein Hebel dazu könnte eine Vermögensobergrenze sein.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2023 rückten 14 Einzelpersonen oder Familien hierzulande in den Kreis der Milliardäre auf. Mittlerweile zählt der kleine Zirkel 226 Hyperreiche.

Würde man das Nettovermögen des reichsten einen Prozents hierzulande zusammenrechnen, wie es das Deutsche Institut für Wirtschaft DIW im Jahr 2020 unternommen hat, so entspräche die Summe von 3.,6 Billionen Euro etwa dem, was 90 Prozent der deutschen Haushalte besitzen.

Sehr wenige Menschen häufen in diesem Land ungeheuren Reichtum an, während die Kluft zum Rest der Gesellschaft unaufhörlich wächst. Der Sozialstaat besitzt keinen Umverteilungsmechanismus mehr. Arm zu sein bedeutet, arm zu bleiben, weil Arbeit an Wert verliert.

Statistiken zur Vermögensverteilung belegen das und liefern das perfekte Futter für Neiddebatten.

Das Ungleichgewicht sei zunehmend inakzeptabel, sagen die einen. Andere entgegnen, dass der Reichtum Einzelner in Deutschland an den wirtschaftlichen Erfolg des Mittelstandes gekoppelt sei, also als Wachstumsmotor in die........

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