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Was Deutschland und Europa jetzt tun können, um sich zu schützen.

15:38 Uhr | Update: heute, 15:36 Uhr

Manchmal brauchen Menschen einen Tritt in den Hintern, um in die Gänge zu kommen. Und zu tun, was sie aus Bequemlichkeit lange vor sich hergeschoben haben. Das gilt auch für Gesellschaften und ihre politischen Führungen.

Die Deutschen und ihre europäischen Verbündeten erleben gerade so einen Moment der Dringlichkeit. Seit Jahren war absehbar, dass Europa nicht ewig auf den Schutz der USA bauen kann und seine Sicherheit selbst organisieren muss. Plötzlich wird das bedrückend eilig, weil das Gefühl wächst, dass Gefahr droht.

Nach Donald Trumps Kantersieg in Iowa ist die Aussicht sehr real, dass er in einem Jahr erneut Präsident wird. Er würde den Schutz Europas in Frage stellen und die Waffenhilfe für die Ukraine drastisch reduzieren.

Schon 2023, als die USA lieferten, lief der Krieg dort schlecht. Die Ukraine tut sich schwer, russisch besetzte Gebiete zu befreien. Wladimir Putin droht mit einem „irreparablen Schlag“ und dem Ende einer souveränen Ukraine. Zuvor sagte ein Putin-Vertrauter, Polen sei dann als nächstes dran.

Parallel wird Chinas Kriegsrhetorik gegen Taiwan aggressiver. Das Risiko einer militärischen Annexion der demokratischen Insel nimmt zu – für die USA ein weiterer Grund, ihre Kräfte von Europa nach Asien zu verlagern.

Wie wollen die Regierung Scholz und ihre Partner in Europa ihr Ziel erreichen, dass Putin nicht siegen und die Ukraine nicht verlieren darf, wenn die USA als bisher größter Geber von Finanz- und Waffenhilfe ausfallen? Sie müssten Putin aus eigener Kraft eindämmen.

Bei allem Erschrecken gibt es einen Trost: Dieser Tritt in den Hintern trifft Deutschland und Europa nicht unvorbereitet. Es fehlt nicht an Ideen, Plänen und Konzepten, wie Europa sich schützen kann. Sie müssen nur endlich in die Tat umgesetzt werden.

Es fehlt auch nicht an Geld. In Sachen Wirtschaftskraft gibt es drei Weltmächte: die EU, die USA und China, danach folgt lange nichts. Laut Internationalem Währungsfonds beträgt das BIP des unter Sanktionen leidenden Russlands ein Zehntel des BIPs der EU.

Europa muss seine Ressourcen stärker für seine Sicherheit einsetzen, muss die politisch vernachlässigte und national zerstückelte Rüstungsindustrie zu einem leistungsfähigen Verbund ausbauen. Und Konzepte konkretisieren, wie eine glaubwürdige atomare Abschreckung, gestützt auf die französischen und britischen Nuklearwaffen, funktionieren kann.

Die Anzeichen, dass Politik und Gesellschaft umdenken und sich auf eine neue Lage einstellen, mehren sich: in Deutschland, in der EU, in der Ukraine.

Kanzler Olaf Scholz verlangt deutlich mehr europäische Militärhilfe für die Ukraine. Deutschland will sie 2024 auf acht Milliarden Euro verdoppeln. 2023 spottete er noch über Warnungen vor Trump: Er halte die Wiederwahl Joe Bidens für plausibler.

Der Druck auf Scholz, Taurus-Marschflugkörper zu liefern, wächst, auch innerhalb der Ampel. Die von der Union geforderte namentliche Abstimmung im Bundestag ist freilich nicht bindend.

Der französische Präsident Emmanuel Macron wird demnächst in Kiew ein Militärabkommen unterzeichnen mit dem Ziel, dass „die Ukraine die Frontlinien halten und den Luftraum verteidigen kann“. Die Slowakei will nun doch weiter Waffen an die Ukraine liefern. Im Wahlkampf hatte Regierungschef Robert Fico noch das Ende der Militärhilfe versprochen.

Auch bei Wolodymyr Selenskyj deutet sich ein Schwenk zu realistischeren Kriegszielen an. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hatte er vor einem Jahr noch die Waffenhilfe zur Befreiung aller Gebiete ins Zentrum gerückt. Diesmal warb er um Investitionen in den von Kiew kontrollierten Gebieten und Sicherheitsgarantien.

Das erinnert an einen Wendepunkt der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Zunächst dominierte der Wunsch nach nationaler Einheit mit der sowjetisch besetzten Zone. Dann machte Adenauer Aufschwung und Westverankerung zur Priorität. Die Bundesrepublik kam unter den Schutz der Nato und wurde Wirtschaftswunderland. Die DDR wurde erst 1989 von russischer Besatzung befreit.

Selenskyj hat einen solchen Strategiewechsel nicht öffentlich erklärt. Nach zwei Jahren Krieg und Zerstörung wächst aber auch unter Ukrainern die Sehnsucht nach Sicherung des Erreichten. Europa muss dann aber bereit sein, den freien Teil der Ukraine ökonomisch aufzubauen und eine Sicherheitsgarantie zu geben.

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Trump, Putin, Ukraine, China : Böse neue Welt

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17.01.2024

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Was Deutschland und Europa jetzt tun können, um sich zu schützen.

15:38 Uhr | Update: heute, 15:36 Uhr

Manchmal brauchen Menschen einen Tritt in den Hintern, um in die Gänge zu kommen. Und zu tun, was sie aus Bequemlichkeit lange vor sich hergeschoben haben. Das gilt auch für Gesellschaften und ihre politischen Führungen.

Die Deutschen und ihre europäischen Verbündeten erleben gerade so einen Moment der Dringlichkeit. Seit Jahren war absehbar, dass Europa nicht ewig auf den Schutz der USA bauen kann und seine Sicherheit selbst organisieren muss. Plötzlich wird das bedrückend eilig, weil das Gefühl wächst, dass Gefahr droht.

Nach Donald Trumps Kantersieg in Iowa ist die Aussicht sehr real, dass er in einem Jahr erneut Präsident wird. Er würde den Schutz Europas in Frage stellen und die Waffenhilfe für die Ukraine drastisch reduzieren.

Schon 2023, als die USA lieferten, lief der Krieg dort schlecht. Die Ukraine tut sich schwer, russisch besetzte Gebiete zu befreien. Wladimir Putin droht mit einem „irreparablen Schlag“ und dem Ende einer souveränen........

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