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Der Hauptlieferant Amerika fällt aus. Europa hat die Mittel, um sein erklärtes Ziel – „Putin darf nicht gewinnen“ – dennoch zu erreichen. Das ist auch die beste Versicherung gegen Donald Trump.

15:35 Uhr | Update: heute, 15:33 Uhr

Es sind ungewohnte Töne aus dem Mund des Kanzlers. Er fordert mehr Waffen für die Ukraine. Bisher galt er als der Zauderer. Die geplanten Lieferungen „sind zu gering“, sagt Olaf Scholz. Nun würden viele die Ankündigung erwarten: Deshalb liefert Deutschland Taurus-Marschflugkörper.

Die blieb aber aus. Die Taurus rückt der Kanzler weiter nicht heraus. Das ist der Haken an seinem ansonsten erfrischenden Vorstoß. Scholz fordert mehr Militärhilfe von anderen, voran den EU-Partnern.

Dabei muss man ihm allerdings zugutehalten: Deutschland ist bereits der größte Helfer in der EU. Und plant seine Waffenlieferung 2024 gegenüber dem Vorjahr zu verdoppeln.

Da ist die Aufforderung an andere große EU-Staaten wie Frankreich, Italien und Spanien berechtigt. Sie leisten nur einen Bruchteil der deutschen Hilfe. Deutschland allein wird die Lücke zwischen dem, was Kiew erhält und was es benötigt, nicht füllen können.

Eine doppelte Kraftanstrengung ist jetzt gefordert: von Deutschland, von Europa und von Scholz als Regierungschef der größten Volkswirtschaft der EU. Die Lage der Ukraine ist über die letzten Monate immer brenzliger geworden. Die USA sind seit Kriegsbeginn 2022 der mit Abstand wichtigste Geber von Militärhilfe. Doch die ist endlich. Der US-Kongress ist blockiert, die Republikaner tragen die Ukrainehilfe seit Herbst nicht mehr mit wegen des heraufziehenden Wahljahres.

Und das ist nur ein Vorgeschmack, was auf Jahre hinaus droht, falls Donald Trump die Wahl gewinnt. Dann fallen die USA als Führungsnation der Ukrainehilfe aus. Wer gleicht das aus, politisch wie militärisch, wenn das erklärte Ziel erreicht werden soll: Wladimir Putin darf den Krieg nicht gewinnen, seine Aggression nicht belohnt werden?

Die Konsequenz, das macht Scholz mit seinem Vorstoß klar, darf nicht sein: Dann verliert die Ukraine den Krieg, und Putin triumphiert. Sein Ziel lautet: Europa muss Verantwortung von den USA übernehmen.

Schon bevor auf die US-Hilfe kein Verlass mehr war, hatten sich die Erfolgsaussichten der Ukraine bedenklich verschlechtert. Die für das Frühjahr 2023 geplante Gegenoffensive verzögerte sich immer weiter, weil der Westen Panzer und anderes Gerät zu zögerlich lieferte.

Parallel verschaffte sich Russland mit Hilfe des Iran große Mengen von Drohnen. Das veränderte die Lage an der Front und minderte den Kampfwert der Panzer. Die geplante Befreiung besetzten Gebiets gelang nicht im erhofften Ausmaß.

In den jüngsten Wochen hat Russland mit einer neuen Strategie der Luftangriffe die ukrainische Luftabwehr zum Teil überwältigt und erhebliche Zerstörungen in der Grundversorgung der Bevölkerung mit Heizung, Strom und Wasser im Winter angerichtet.

Die Ukraine braucht zweierlei dringend: mehr Luftverteidigung zum Schutz der Städte. Und mehr Waffen, um an den Fronten erfolgreicher zu sein.

Kann Europa das leisten, auch ohne die USA als Führungsmacht? Das ist eine Frage des Wollens und der konsequenten Anpassung an eine veränderte Weltlage. Deutsche und andere EU-Bürger leben in einem Zwiespalt. Es war bequem, sich darauf zu verlassen, dass die USA die Sicherheit Europas garantieren. Aber angesichts des Kriegs in der Ukraine und des Risikos, dass Trump die US-Wahl gewinnt, will die Mehrheit, dass Europa seine Zukunft aus eigener Kraft absichert.

Die ökonomischen Voraussetzungen sind vorhanden. Die EU hat die gleiche Wirtschaftskraft wie die USA. Und siebenmal so viel wie Russland. Wenn sie es ernst meint, dass Putin nicht gewinnen darf, weil er bald darauf den nächsten Krieg beginnt, hat sie die ökonomischen Ressourcen, um sicherzustellen, dass die Ukraine den Abnutzungskrieg länger durchhält als er.

Es fehlt an zwei Dingen. Europa muss mehr in Sicherheit und eine eigene Waffenproduktion investieren. Und es braucht verlässliche Entscheidungsmechanismen. Dass die EU sich von einem Staat – in diesem Fall Ungarn unter Viktor Orbán ­– über lange Zeit daran hindern lässt, Putins Angriffskrieg effektiv zu begegnen, ist ein Skandal. Die 26 EU-Partner könnten sein Veto mit der Drohung aushebeln, die Ukrainehilfe aus nationalen Budgets statt aus EU-Kassen zu finanzieren.

Der Vorstoß des Kanzlers war überfällig. Die Emanzipation Europas ist die beste Versicherung für den Fall einer zweiten Trump-Präsidentschaft.

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Des Kanzlers neue Töne: mehr Waffen für Kiew : Scholz Emanzipation von den USA

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09.01.2024

© Jens Büttner/dpa

Der Hauptlieferant Amerika fällt aus. Europa hat die Mittel, um sein erklärtes Ziel – „Putin darf nicht gewinnen“ – dennoch zu erreichen. Das ist auch die beste Versicherung gegen Donald Trump.

15:35 Uhr | Update: heute, 15:33 Uhr

Es sind ungewohnte Töne aus dem Mund des Kanzlers. Er fordert mehr Waffen für die Ukraine. Bisher galt er als der Zauderer. Die geplanten Lieferungen „sind zu gering“, sagt Olaf Scholz. Nun würden viele die Ankündigung erwarten: Deshalb liefert Deutschland Taurus-Marschflugkörper.

Die blieb aber aus. Die Taurus rückt der Kanzler weiter nicht heraus. Das ist der Haken an seinem ansonsten erfrischenden Vorstoß. Scholz fordert mehr Militärhilfe von anderen, voran den EU-Partnern.

Dabei muss man ihm allerdings zugutehalten: Deutschland ist bereits der größte Helfer in der EU. Und plant seine Waffenlieferung 2024 gegenüber dem Vorjahr zu verdoppeln.

Da ist die Aufforderung an andere große EU-Staaten wie Frankreich, Italien und Spanien berechtigt. Sie leisten nur einen Bruchteil der deutschen Hilfe. Deutschland allein wird die Lücke........

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