Kürzlich sagte Ueli Maurer in einer Talkshow, die Corona-Krise sei in Wahrheit eine «bewusst geschürte Hysterie» und eine erschreckende «Massenhypnose» gewesen. Hypnose ist inmitten der Diskussion, die das Urteil des Ex-Bundesrats provoziert hat, ein gutes Stichwort. Besonders die Anwendung, die man als «hypnotische Regression» bezeichnet. Dabei wird jemand in Trance versetzt und mental in die Vergangenheit zurückgeführt, um vergessene oder verdrängte Tatsachen, Erinnerungen und Gefühle wieder freizulegen.

Also, lieber Herr Maurer, bitte die Augen schliessen, tief durchatmen und entspannen, ich zähle bis drei – und wir befinden uns im Dezember 2020. Das ist noch gar nicht so lange her. Aber man staunt immer wieder, wie erfolgreich Leute, die so denken und reden wie Sie, jene Zeit verdrängt haben.

Was erleben Sie, was kehrt vor Ihrem inneren Auge an Verdrängtem zurück? Vielleicht, wie Ihre Parteigefährtin, die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli, den Bundesrat mit den Worten «Wir haben keine Zeit mehr» dazu auffordert, im Kanton Zürich Gastronomie, Kultur, Freizeit und den Unterhaltungsbereich so schnell wie möglich zu schliessen? Wie sie am 16. Dezember 2020 in einem Interview mit dieser Redaktion sagt, die Situation sei aufgrund der zweiten verheerenden Corona-Welle «für die Spitäler und das Gesundheitspersonal nicht mehr länger zumutbar»?

Wenn wir unseren hypnotischen Erinnerungsspaziergang über den Ground Zero des hiesigen Corona-Schwurblertums fortsetzen, was sehen und hören wir noch? Vielleicht, dass Gregor Zünd, der Direktor des Zürcher Universitätsspitals, im Einklang mit vier weiteren Direktoren von Schweizer Universitätsspitälern Mitte Dezember sagt: «Die Lage ist sehr angespannt. Besonders in der Deutschschweiz haben wir ein grosses Problem. Die Intensivstationen in den Kantonen Zürich, Bern und Aargau sind jetzt schon fast vollständig belegt – und die Fallzahlen steigen weiter an.»

Wir hören vielleicht auch Omar Gisler, den Sprecher des Kantonsspitals Baden, der sagt, seine Klinik sei «rappelvoll mit Patienten mit komplexen Krankheitsbildern». Wir vernehmen ferner die Worte von Ralph Schröder, dem Sprecher des Kantonsspitals Aarau: «Das medizinische Personal ist teilweise erschöpft und arbeitet seit Wochen an der Belastungsgrenze.»

Wir erleben auch, wie Ihr Parteigefährte, der Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati, unter dem Druck der Realität eine 180-Grad-Wende vollzieht und am 23. Dezember 2020 vor den Medien sagt: «Wenn die Fallzahlen nicht sinken, dann laufen wir in eine Gesundheitskatastrophe.» Und wie er aus Angst vor einer Triage-Situation in Aargauer Spitälern noch vor dem Entschluss des Bundesrats in seinem Kanton die Läden schliessen lässt.

Was schwemmt es bei unserer Regressionshypnose sonst noch zurück an die Oberfläche des Bewusstseins? Vielleicht, dass sich die Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl am 17. Dezember 2020 in der NZZ zumindest mit einem teilweisen Lockdown einverstanden erklärt? «So bedauerlich das ist, aber wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, an dem wir nicht länger zuwarten dürfen. Die Lage ist sehr ernst.» Oder die Worte des Präsidenten des Hotelierverbands Andreas Züllig vom 13. Dezember 2020 in der «SonntagsZeitung»: «Ich gebe im Nachhinein zu, dass wir die Lage falsch beurteilt haben. Es ist klar, dass der Bundesrat auf diesem Niveau der Infektionszahlen etwas unternehmen muss.»

Zum Schluss blättern wir noch kurz in der NZZ und lesen, was deren Chefredaktor Eric Gujer am 19. Dezember 2020 meint, nachdem er noch einen Monat zuvor das laxe «Schweden-Modell» gelobt hat: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Virus. Alle Länder, die zu Anfang der Seuche hart durchgegriffen haben, stehen besser da.»

Ja, so war das damals, lieber Herr Maurer. Aber jetzt kehren wir zurück in die Gegenwart, Augen öffnen, durchatmen. Und die historischen Tatsachen vor dem nächsten Talkshow-Auftritt nicht wieder aus dem Gedächtnis verdrängen, gell.

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Wir hypnotisieren jetzt mal Ueli Maurer

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24.01.2024

Kürzlich sagte Ueli Maurer in einer Talkshow, die Corona-Krise sei in Wahrheit eine «bewusst geschürte Hysterie» und eine erschreckende «Massenhypnose» gewesen. Hypnose ist inmitten der Diskussion, die das Urteil des Ex-Bundesrats provoziert hat, ein gutes Stichwort. Besonders die Anwendung, die man als «hypnotische Regression» bezeichnet. Dabei wird jemand in Trance versetzt und mental in die Vergangenheit zurückgeführt, um vergessene oder verdrängte Tatsachen, Erinnerungen und Gefühle wieder freizulegen.

Also, lieber Herr Maurer, bitte die Augen schliessen, tief durchatmen und entspannen, ich zähle bis drei – und wir befinden uns im Dezember 2020. Das ist noch gar nicht so lange her. Aber man staunt immer wieder, wie erfolgreich Leute, die so denken und reden wie Sie, jene Zeit verdrängt haben.

Was erleben Sie, was kehrt vor Ihrem inneren Auge an Verdrängtem zurück? Vielleicht, wie Ihre Parteigefährtin, die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli, den Bundesrat mit den Worten «Wir........

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