Der rechte deutsche Publizist Jan Fleischhauer wirft der linken deutschen Publizistin Margarete Stokowski und anderen Feministinnen vor, sich noch nicht zum Hass der Terrororganisation Hamas gegenüber Frauen geäussert zu haben.

Ein Journalist der konservativen deutschen «Welt» fordert Prominente per Mail dazu auf, in der Zeitung ihre Stimme gegen Antisemitismus zu erheben. Später nennt er anklagend die Namen jener, die dies verweigert oder nicht auf seine Anweisung reagiert haben.

Was soll dieses inquisitorische Getue, jemanden selbst für Nichtgesagtes anzuprangern?

Der Roman «Eine Nebensache» der Palästinenserin Adania Shibli ist lange vor den Terrorattacken ausgezeichnet worden. Dennoch hat die Frankfurter Buchmesse eine Preisverleihung für das Buch verschoben, weil es angeblich antisemitische Klischees enthält. Wer es liest, findet indessen laut NZZ «kaum Gründe für den wütenden Alarmismus», der Shibli nun entgegenschlägt.

Ist das wirklich ein Grund, jemanden zu entlassen?

Die jüdische Autorin Deborah Feldman beklagt, sie fühle sich in Deutschland bedroht, weil sie es wage, Israel zu kritisieren. Die linksliberale britische Zeitung «Guardian» nennt gleich eine Reihe fragwürdiger Vorfälle. Zum Beispiel jenen des jüdisch-amerikanischen Chefredaktors einer wissenschaftlichen Publikation, der entlassen wurde, weil er auf X (früher Twitter) den Satz eines Online-Satiremagazins weiterverbreitet hat: «Sterbende Bewohner des Gazastreifens werden dafür kritisiert, mit ihren letzten Worten nicht die Hamas zu verdammen.» Ob der Spruch witzig ist, darüber kann man sich streiten. Aber ist allein schon dessen Retweet ein Grund für eine Entlassung?

Zumindest grenzwertig ist auch die Absage einer Ausstellung Ai Weiweis in London. Die Aussagen, die der chinesische Konzeptkünstler zuvor bei einer Diskussion mit einem Follower auf X gemacht hatte, mögen problematisch und, wie die «Süddeutsche Zeitung» schreibt, «versimpelt» sein – aber gleich eine Absage?

Inmitten der aufgewühlten öffentlichen Stimmung verhalten sich teilweise gerade jene zunehmend intolerant, die sonst lautstark beklagen, die Linke unterdrücke missliebige Ansichten, verenge den Meinungskorridor, gebärde sich als Gedankenpolizei und skandalisiere den Gebrauch bestimmter Wörter und Wendungen.

Wäre «kontextualisieren» verwerflich, dann würde dies auch für einen beträchtlichen Teil der historischen Forschung gelten.

Ein Wort, das die Cancel-Culture-Kritiker nun selber anprangern, ist «kontextualisieren». Das ist zwar tatsächlich ein potthässliches Verb, was aber die Forderung, den Hamas-Terror zu «kontextualisieren», weder verharmlosend noch antisemitisch macht. Sollte es verwerflich sein, zu untersuchen, vor welchem historischen Hintergrund ein Verbrechen geschehen ist und welche gesellschaftlichen oder politischen Entwicklungen es begünstigt haben («kontextualisieren» bedeutet nichts anderes) –, dann wäre ein beträchtlicher Teil der historischen Forschung verwerflich.

Ein weiteres Reizwort ist «Apartheid». Hat Israel ein System der Rassentrennung errichtet, wie es die in der Schweiz lebende jüdische Publizistin Sibylle Elam behauptet, im Einklang mit Amnesty International und Human Rights Watch? Die Aussage ist heftig umstritten, aber nichts, was in einer offenen Gesellschaft nicht behauptet und öffentlich debattiert werden dürfte. Dasselbe gilt für die Meinung, die israelische Bekämpfung der Hamas fordere im Gazastreifen zu viele unschuldige zivile Opfer und verstosse teilweise gegen das Völkerrecht.

Wahr ist, dass es nach dem Gemetzel der palästinensischen Terroristen eine Reihe pietätloser, völlig inakzeptabler Ausbrüche der Begeisterung gegeben hat, von denen mehrere zu Recht Konsequenzen nach sich zogen. Die Welt in Gut und Böse zu unterteilen, so hiess es doch immer, sei aber billiger Moralismus. Und jemanden wegen einer streitbaren Meinung aus der Öffentlichkeit zu verbannen, antidemokratisch.

Gilt das plötzlich nicht mehr? Die grössten Kritiker der Elche sind in Wahrheit selber welche. Es ist penibel, wie sehr sich der Spruch gerade bewahrheitet.

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QOSHE - Wie war das nochmals mit der Cancel Culture? - Sandro Benini
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Wie war das nochmals mit der Cancel Culture?

7 0
17.11.2023

Der rechte deutsche Publizist Jan Fleischhauer wirft der linken deutschen Publizistin Margarete Stokowski und anderen Feministinnen vor, sich noch nicht zum Hass der Terrororganisation Hamas gegenüber Frauen geäussert zu haben.

Ein Journalist der konservativen deutschen «Welt» fordert Prominente per Mail dazu auf, in der Zeitung ihre Stimme gegen Antisemitismus zu erheben. Später nennt er anklagend die Namen jener, die dies verweigert oder nicht auf seine Anweisung reagiert haben.

Was soll dieses inquisitorische Getue, jemanden selbst für Nichtgesagtes anzuprangern?

Der Roman «Eine Nebensache» der Palästinenserin Adania Shibli ist lange vor den Terrorattacken ausgezeichnet worden. Dennoch hat die Frankfurter Buchmesse eine Preisverleihung für das Buch verschoben, weil es angeblich antisemitische Klischees enthält. Wer es liest, findet indessen laut NZZ «kaum Gründe für den wütenden Alarmismus», der Shibli nun entgegenschlägt.

Ist das wirklich ein Grund, jemanden zu entlassen?

Die jüdische Autorin Deborah Feldman beklagt,........

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