Spüren Sie nicht auch diese Anspannung? Dieses Kribbeln im Bauch? Nicht mehr lange, dann wird die Katze endlich aus dem Sack gelassen: Der Bundesrat wird gewählt. Er gilt als das mächtigste politische Organ der Schweiz. Die Mitglieder dieser Kollegialbehörde, die Popstars der helvetischen Politbühne am Fuss des Gurten, kennt hierzulande beinahe jedes Kind. Der Hype um ihre bevorstehende Wahl bringt die Redaktionsstuben zum Überkochen und nimmermüde Expertinnen und Experten um den Schlaf.

Faszinierend ist nun aber, dass die Besetzung dieses Gremiums in den Augen des Volkes praktisch folgenlos bleibt. Wer auch immer in den letzten Jahren wiedergewählt, neu gewählt oder abgewählt wurde, die Zusammensetzung der Regierung hatte praktisch keinen Einfluss auf den Rückhalt des Gremiums in der Schweizer Bevölkerung. Deshalb einmal geradeheraus gefragt: Was halten Sie eigentlich vom Bundesrat? Vertrauen Sie ihm blind, oder haben Sie Vorbehalte gegenüber diesem zentralen Pfeiler der Schweizer Demokratie?

Das Vertrauensverhältnis zwischen Regierenden und Regierten gilt seit der erstmaligen Abfrage in amerikanischen Wahlstudien im Jahr 1958 als zuverlässiger Seismograf, wenn die Beziehungen zwischen der Bevölkerung und den höchsten Magistratinnen und Magistraten auf dem Prüfstand stehen. Politisches Vertrauen bezieht sich allgemein auf die Erwartung der Bürgerinnen und Bürger, dass die politischen Eliten und Institutionen des Landes wohlwollend und rücksichtsvoll die Belange und Präferenzen des Volkes umsetzen. Vertrauen Sie beispielsweise dem Bundesrat, dann sind Sie davon überzeugt, dass dieser Ihre Interessen angemessen vertritt und den von Ihnen gewährten Kredit nicht zum eigenen Vorteil nutzt.

Mit dieser Zuversicht wächst auch Ihre Bereitschaft, den sieben Auserwählten unter der Bundeshauskuppel ein gewisses Mass an Macht zu übertragen, ohne die Mitglieder der Regierungscombo persönlich zu kennen. Entscheidender sind vielmehr die Erfahrungen mit dieser Institution, ihr Ansehen und der unerschütterliche Glaube an ein faires, unparteiisches und gemeinwohlorientiertes Regierungshandeln.

In keinem anderen westeuropäischen Land fällt diese Zuversicht grösser aus als in der Schweiz. Beinahe 70 Prozent vertrauen hierzulande dem Bundesrat. Bei unseren Nachbarn Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien fällt das Verhältnis zwischen politischer Führung und Bevölkerung in dieser Hinsicht deutlich kühler aus. Und selbst die skandinavischen Regierungen erreichen nicht annähernd das Vertrauensniveau der hiesigen politischen Lenkerinnen und Lenker. Eine besondere Rolle dürfte hierzulande dabei der Abstimmungsdemokratie zukommen: Direktdemokratische Mitwirkungsverfahren schaffen Möglichkeiten der ständigen Überprüfung politischer Sachverhalte und verhindern das Auseinanderklaffen der Interessen von Elite und Basis.

Ein hohes Regierungsvertrauen ist seit je ein anerkanntes Qualitätsmerkmal von Demokratien.

Unsere Analysen zeigen, dass Herr und Frau Schweizer dem Bundesrat umso mehr vertrauen, je dicker das Portemonnaie und je fortgeschrittener das Lebensalter ist. Dazu schenken Männer dem Gremium mehr Vertrauen als Frauen und Nette mehr als Streitlustige. Und: Wer sich dem rechten politischen Spektrum zurechnet, ist skeptischer als eher links orientierte Personen. Vergessen wir zuletzt aber eines nicht: Ein hohes Regierungsvertrauen ist seit je ein anerkanntes Qualitätsmerkmal von Demokratien. Dieses Gütesiegel wird die Schweiz nicht allzu schnell verlieren. Ganz egal, wer uns im Januar auf dem Bundesratsfoto entgegenlächelt.

Markus Freitag ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bern. Im Wahljahr schreibt er jeden zweiten Freitag über unser Seelenleben.

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Vertraue ich dem Bundesrat?

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01.12.2023

Spüren Sie nicht auch diese Anspannung? Dieses Kribbeln im Bauch? Nicht mehr lange, dann wird die Katze endlich aus dem Sack gelassen: Der Bundesrat wird gewählt. Er gilt als das mächtigste politische Organ der Schweiz. Die Mitglieder dieser Kollegialbehörde, die Popstars der helvetischen Politbühne am Fuss des Gurten, kennt hierzulande beinahe jedes Kind. Der Hype um ihre bevorstehende Wahl bringt die Redaktionsstuben zum Überkochen und nimmermüde Expertinnen und Experten um den Schlaf.

Faszinierend ist nun aber, dass die Besetzung dieses Gremiums in den Augen des Volkes praktisch folgenlos bleibt. Wer auch immer in den letzten Jahren wiedergewählt, neu gewählt oder abgewählt wurde, die Zusammensetzung der Regierung hatte praktisch keinen Einfluss auf den Rückhalt des Gremiums in der Schweizer Bevölkerung. Deshalb einmal geradeheraus gefragt: Was halten Sie eigentlich vom Bundesrat? Vertrauen Sie ihm blind, oder haben Sie........

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