Stellen wir uns vor, wir erreichen nach über fünf Stunden Aufstieg die Lauteraarhütte hoch über dem Unteraargletscher im Grimselgebiet. Schwitzend überkommen uns plötzlich ein furchtbarer Ausschlag und starke Kopfschmerzen. Die Haut rötet sich, und die Schmerzen nehmen rapide zu.

Was tun? Mittels Notrufkabine die Rega anrufen, um mit dem Helikopter ins Tal geflogen zu werden? Das ist übertrieben. Schnell zum nächsten Arzt laufen? So lange halten wir die Schmerzen nicht aus. Zum Glück gibt es ein flächendeckendes, stabiles 5G-Netz, das uns auch hoch oben in den Berner Alpen Zugang zur Telemedizin verschafft.

Über eine App können wir unsere Symptome und die betroffenen Körperstellen eingeben. Dank künstlicher Intelligenz werden wir sofort mit einem Spezialisten verbunden, der unseren Ausschlag über die Kamera unseres Smartphones begutachtet. Und dank des funktionierenden elektronischen Patientendossiers können wir dem Facharzt mit nur einem Klick die relevanten Informationen aus unserer Krankengeschichte für eine umfassende Diagnose übermitteln. Wir scannen mit der Smartphone-Kamera das Inventar der Hausapotheke in der Lauteraarhütte, damit das Programm sofort das Medikament findet, das uns kurzfristig am besten helfen kann.

Solche Ideen wären noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Erst 2G (1993) machte es möglich, SMS zu verschicken. 3G (2003) brachte zwar das Internet aufs Handy, strapazierte aber wohl eher unsere Geduld, als dass es einen Mehrwert brachte. Der grosse Durchbruch kam 2012 mit 4G. Seither können wir auf dem Smartphone zuverlässig Musik streamen, bei Zalando einkaufen oder die Siegesfahrt von Marco Odermatt live mitverfolgen. Das funktioniert aber nur, wenn man allein im Zug sitzt. Wer schon einmal in einem überfüllten Zug von Zürich nach Bern gefahren ist, merkt schnell, wie instabil unser Netz heute noch ist. Das muss sich ändern.

Die aktuelle Mobilfunkgeneration 5G wird noch einmal einen Schub an neuen Anwendungen bringen. Mit ihrer höheren Geschwindigkeit, der grösseren Anzahl gleichzeitig möglicher Verbindungen, der kürzeren Reaktionszeit für den Verbindungsaufbau ermöglicht sie weitreichende Innovationen. Das sogenannte Internet der Dinge, also die Vernetzung von physischen Geräten, wird Realität. In der Industrie heisst das, dass Maschinen miteinander kommunizieren können (zum Beispiel den Auftragsstatus austauschen und damit die Arbeit aufeinander abstimmen), im Privatleben kennt man das Internet der Dinge von Fitnessuhren oder von einem neuen Backofen.

Bei medizinischen Eingriffen wird es möglich, über 5G-basierte Assistenzsysteme hochauflösende Bilder und Livestreams in Echtzeit an internationale Fachexperten zu übertragen. Diese können damit komplexe und risikoreiche Eingriffe aus der Ferne begleiten und überwachen. Rettungssanitäterinnen und -sanitäter werden im mit 5G ausgestatteten Rettungswagen bereits am Einsatzort per Livevideoübertragung einen Intensivmediziner der Notaufnahme zuschalten können und so wichtige, vielleicht lebensrettende Zeit gewinnen.

In der medizinischen Ausbildung werden Virtual Reality und hochauflösende 3D-Modelle von Organen und Geweben eingesetzt, sodass angehende Chirurginnen und Chirurgen ihre Fähigkeiten in einem realitätsnahen und ortsunabhängigen Operationssaal perfektionieren können. Das erhöht die Sicherheit – ein Gewinn für uns Patientinnen und Patienten.

Aber nicht nur in der Medizin wird 5G zu bahnbrechenden Innovationen führen. Auch in der Mobilität werden sich neue Möglichkeiten wie das autonome Fahren etablieren. So wird die zuverlässige Kommunikation zwischen den einzelnen Fahrzeugen dazu führen, dass wir auf der Autobahn mit 120 Stundenkilometern dicht hintereinanderfahren können. Und das, während wir die Zeit hinter dem Steuer nutzen können, um eine anstehende Sitzung vorzubereiten, mit den Mitfahrern einen Film anzuschauen oder uns von den Strapazen der Wanderung zur Lauteraarhütte inklusive Ausschlag zu erholen.

Die Chancen eines flächendeckenden und stabilen 5G-Netzes sind gross. Sie ermöglichen nicht nur eine optimale medizinische Versorgung zu jeder Zeit und an jedem Ort, sondern werden Entwicklungen ermöglichen, die heute jenseits unserer Vorstellungskraft liegen. Kürzlich las ich in den Regionalmedien eine «Erfolgsmeldung» von Bürgern, die mit Einsprachen eine 5G-Antenne verhindert haben. Dabei haben sich die Bedenken gegen 5G bis heute wissenschaftlich nicht nachvollziehen lassen. Sperren wir uns gegen den Ausbau, verpassen wir den Anschluss an die Zukunft. Die Schweiz muss mit dem Bau neuer 5G-Antennen endlich vorwärtsmachen.

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QOSHE - Mit 5G den Arztbesuch vermeiden - Andri Silberschmidt
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Mit 5G den Arztbesuch vermeiden

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16.01.2024

Stellen wir uns vor, wir erreichen nach über fünf Stunden Aufstieg die Lauteraarhütte hoch über dem Unteraargletscher im Grimselgebiet. Schwitzend überkommen uns plötzlich ein furchtbarer Ausschlag und starke Kopfschmerzen. Die Haut rötet sich, und die Schmerzen nehmen rapide zu.

Was tun? Mittels Notrufkabine die Rega anrufen, um mit dem Helikopter ins Tal geflogen zu werden? Das ist übertrieben. Schnell zum nächsten Arzt laufen? So lange halten wir die Schmerzen nicht aus. Zum Glück gibt es ein flächendeckendes, stabiles 5G-Netz, das uns auch hoch oben in den Berner Alpen Zugang zur Telemedizin verschafft.

Über eine App können wir unsere Symptome und die betroffenen Körperstellen eingeben. Dank künstlicher Intelligenz werden wir sofort mit einem Spezialisten verbunden, der unseren Ausschlag über die Kamera unseres Smartphones begutachtet. Und dank des funktionierenden elektronischen Patientendossiers können wir dem Facharzt mit nur einem Klick die relevanten Informationen aus unserer Krankengeschichte für eine umfassende Diagnose übermitteln. Wir scannen mit der Smartphone-Kamera das Inventar der Hausapotheke in der Lauteraarhütte, damit........

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