In der Schweiz sind die Ergänzungsleistungen (EL) ein unverzichtbarer Bestandteil des sozialen Netzes, gerade auch für Menschen mit Behinderungen. Ein wichtiger, aber oft vernachlässigter Aspekt dieses Sicherheitsnetzes ist der sogenannte Einkommensfreibetrag. Dieser Betrag erlaubt es IV-Rentnern, ein gewisses Einkommen zu erzielen, ohne dass die Ergänzungsleistungen gekürzt werden. Seit über 20 Jahren beträgt er 1000 Franken pro Jahr. Der Anreiz für betroffene IV-Rentner mit Ergänzungsleistungen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist daher sehr gering.

Die Notwendigkeit einer Anpassung des Freibetrags liegt auf der Hand, insbesondere wenn man die steigenden Lebenshaltungskosten berücksichtigt. Dass das Parlament diesen Aspekt bei der letzten Reform des Ergänzungsleistungsgesetzes im Herbst 2019 nicht berücksichtigt hat, ist für mich überraschend und enttäuschend zugleich. Eine Erhöhung des Freibetrags würde nicht nur die oben genannten Anreize erhöhen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Integration der betroffenen Personen leisten.

Die Erhöhung wäre ein wichtiger Beitrag, um IV-Rentnern den Übergang in die Arbeitswelt zu erleichtern. Sie würde es ermöglichen, mehr zu verdienen, ohne gleich die Unterstützung zu verlieren, und damit eine Brücke zwischen IV-Leistungen und Erwerbstätigkeit schlagen. Dies würde die Selbstbestimmung und das Selbstwertgefühl der Betroffenen stärken, ohne gleichzeitig das Sicherheitsnetz für den Fall zu gefährden, dass sie nicht mehr arbeiten können.

Die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile einer solchen Anpassung sind vielfältig. Durch die Anhebung des Freibetrags könnte ein Teil der EL-Bezüger schrittweise den Sprung zurück in den Arbeitsmarkt schaffen, was zu einer höheren Produktivität und einer geringeren Abhängigkeit von Sozialleistungen führen würde. Dies wäre nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt von Vorteil.

Die Anpassung des Freibetrags ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Menschen mit Behinderungen, die auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind, sind im Alltag oft mit besonderen Herausforderungen und Hindernissen konfrontiert. Die Möglichkeit, durch Arbeit ein Zusatzeinkommen zu erzielen, ohne finanzielle Einbussen befürchten zu müssen, ist ein wesentlicher Schritt zur Gleichstellung dieser Personengruppe.

Es gibt heute weitere Fehlanreize. So sind die EL zu Recht steuerfrei. Eine Person mit IV-Rente und EL, die wieder im Arbeitsmarkt Fuss gefasst hat und deshalb die Ergänzungsleistungen verliert, kann unter Umständen schlechter dastehen als zuvor: Sie erzielt wegen der Besteuerung netto keinen Einkommensgewinn und verliert gleichzeitig an die EL gekoppelte Leistungen. Eine Erhöhung des pauschalen Behindertenabzugs bei den Steuern könnte dieses Problem mildern.

Ein weiterer Fehlanreiz betrifft die IV-Grade. Eine Person, der ein IV-Grad von 40 Prozent zuerkannt wird, erhält eine IV-Rente. Dieses System ist nach oben progressiv. Das heisst: Ein höherer IV-Grad führt schrittweise zu einer höheren Rente. Umgekehrt wird bei einem IV-Grad unter 40 Prozent die Rente vollständig gestrichen. Eine Person, die heute nahe bei 40 Prozent liegt, riskiert also beispielsweise bei einer Erhöhung des Arbeitspensums, dass die ganze Rente wegfällt. Im Grenzfall ist dieser Wegfall deutlich höher als der Zugewinn. Eine stärkere Abstufung der IV-Rente unter 40 Prozent würde dieses Problem lösen.

Ein weiterer kritischer Punkt ist das Risiko, das IV-Rentner eingehen, wenn sie eine Arbeit aufnehmen können und damit aus dem IV-System ausscheiden. Viele befürchten, bei einem allfälligen Rückfall nicht mehr in der Lage zu sein, ihre Invalidität erneut nachzuweisen und damit wieder Anspruch auf IV-Leistungen zu haben. Diese Angst vor einer ungewissen Rückkehr in das IV-System kann Betroffene davon abhalten, den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt überhaupt zu wagen. Es ist deshalb wichtig, dass das System nicht nur Anreize zur Arbeitsaufnahme schafft, sondern auch Sicherheit im Falle eines gesundheitlichen Rückfalls bietet. Aus diesen Gründen habe ich in der Frühlingssession des Schweizer Parlaments einen überparteilich abgestützten Vorstoss eingereicht, der diese Forderungen aufnimmt.

Die Anpassung des Freibetrags an die aktuellen Lebenshaltungskosten und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stellt eine notwendige und längst überfällige Massnahme dar. Sie würde nicht nur die Arbeitsanreize für IV-Rentner erhöhen, sondern auch die soziale und wirtschaftliche Integration dieser wichtigen Bevölkerungsgruppe fördern. Es ist an der Zeit, dass die Schweiz handelt und ein System schafft, das allen Bürgern ein würdiges und produktives Leben ermöglicht.

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QOSHE - Leistung belohnen – und zwar bei allen - Andri Silberschmidt
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Leistung belohnen – und zwar bei allen

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26.03.2024

In der Schweiz sind die Ergänzungsleistungen (EL) ein unverzichtbarer Bestandteil des sozialen Netzes, gerade auch für Menschen mit Behinderungen. Ein wichtiger, aber oft vernachlässigter Aspekt dieses Sicherheitsnetzes ist der sogenannte Einkommensfreibetrag. Dieser Betrag erlaubt es IV-Rentnern, ein gewisses Einkommen zu erzielen, ohne dass die Ergänzungsleistungen gekürzt werden. Seit über 20 Jahren beträgt er 1000 Franken pro Jahr. Der Anreiz für betroffene IV-Rentner mit Ergänzungsleistungen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist daher sehr gering.

Die Notwendigkeit einer Anpassung des Freibetrags liegt auf der Hand, insbesondere wenn man die steigenden Lebenshaltungskosten berücksichtigt. Dass das Parlament diesen Aspekt bei der letzten Reform des Ergänzungsleistungsgesetzes im Herbst 2019 nicht berücksichtigt hat, ist für mich überraschend und enttäuschend zugleich. Eine Erhöhung des Freibetrags würde nicht nur die oben genannten Anreize erhöhen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Integration der betroffenen Personen leisten.

Die Erhöhung wäre ein wichtiger Beitrag, um IV-Rentnern den Übergang in die........

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