Henrique Schneider hat uns vor den Wahlen in der «Gewerbezeitung» die Leviten gelesen. Seine Kernbotschaft war: «Kompromisse führen zu Staatsversagen.» Natürlich: Es ist falsch, mit einem Kompromiss zu beginnen. Man muss um Positionen ringen und hartnäckig sein. Wenn man am Schluss aber den Kompromiss meidet, hat man das direktdemokratische System der Schweiz nicht verstanden.

In der zu Ende gehenden Legislatur hat das Volk über 21 Gesetzesvorlagen abgestimmt. In 7 Fällen sagte es Nein. Bei allen 7 gescheiterten Gesetzen handelte es sich um Vorschläge, die zu wenig ausbalanciert waren. Kompromisslose Vorlagen haben es in der Volksabstimmung deutlich schwerer.

Stellen wir uns also vor: Wir lassen politisches Geplänkel und unnötige Schaumschlägereien beiseite, damit die 52. Legislatur, die am 4. Dezember starten wird, ganz im Zeichen konkreter Lösungen stehen wird. Ich deute den Willen der Wählerinnen und Wähler so, dass sie insbesondere in folgenden drei Themen Lösungen wollen: Asyl, Strom, Gesundheit.

Wer den Kompromiss meidet, hat das direktdemokratische System nicht verstanden.

Die Migrationspolitik muss im Interesse der Schweiz erfolgen. Ein Teil der Schweizer Erfolgsgeschichte wird durch Personen geschrieben, die in die Schweiz einwandern. Ohne diese würde unsere Wirtschaft nicht funktionieren. Ohne diese hätten wir nicht den Wohlstand, den wir heute haben. Die Rechte soll über ihren Schatten springen und jenen Menschen ohne EU-Pass, die eine Schweizer Hochschule absolviert haben, den Zugang zu unserem Arbeitsmarkt ermöglichen.

Gleichzeitig gilt es, härter gegen illegale Migration vorzugehen und in der Asylpolitik konsequent zu sein. Das heisst: Jenen, die einen Asylgrund geltend machen können, gewähren wir Schutz. Personen ohne Asyl- oder Schutzgrund sollen die Schweiz wieder verlassen. Hier erhoffe ich mir, dass die Linke endlich mithilft, die illegale Einwanderung zu stoppen.

Erreicht das Parlament hier keine Lösung, werden extremere Forderungen wie zum Beispiel die Kündigung der Personenfreizügigkeit Aufwind erhalten. Damit wäre insbesondere dem Gewerbe geschadet, welches auf qualifizierte Arbeitskräfte aus der Schweiz und unseren Nachbarländern angewiesen ist.

Unsere Stromversorgung muss sichergestellt werden. Nachdem wir den vergangenen Winter nur dank einer gross angelegten Stromsparkampagne und milden Temperaturen mit genügend Strom meistern konnten, droht bald der nächste Engpass. Die heutige Stromproduktion muss ohne die auslaufenden Kernkraftwerke verdoppelt werden (!), um den künftigen Bedarf decken zu können. Uns von Winter zu Winter durchzuschlagen, ist keine Lösung.

Das Schlimmste in der Energie- und Strompolitik sind Denkverbote und ideologische Scheuklappen. Wer jeglichen Zubau von erneuerbaren Energien verhindert und gleichzeitig gegen neue Kraftwerke kämpft, provoziert einen Blackout. Wenn wir bei der Stromversorgung nicht bald einen grossen Zubau erreichen, können wir uns zwar auf den Standpunkt stellen, wir hätten die reine ideologische Lehre vertreten. Der Strom würde aber so teuer werden, dass KMU zugrunde gingen.

Die Krankenkassenprämien müssen bezahlbar sein. Wir haben eines der besten Gesundheitswesen der Welt. Doch das kostet. So werden die steigenden Krankenkassenprämien für immer mehr Menschen zu einer grossen Belastung. Nachdem die letzten zehn Jahre geprägt waren von mehr Planwirtschaft, Regulierung und Bürokratie, braucht es nun endlich Schritte in die andere Richtung. Ein «weiter wie bisher» ist keine Lösung.

Es kann nicht sein, dass sich gewisse Akteure aufgrund von Fehlanreizen und Informationsasymmetrie im Gesundheitswesen mit zu hohen Preisen oder Mengen eine goldene Nase verdienen. Hier müssen wir konsequenter dagegen ankämpfen und unbegründete Preisdifferenzen oder eine nutzlose Mengenausweitung eindämmen.

Auch hier gilt: Lösungen können nur unter Einbezug der betroffenen Branchen sowie der Patientinnen und Patienten gelingen. Denn gerade in Gesundheitsfragen hat sich das Stimmvolk in der Vergangenheit stets kritisch gegenüber den ganz grossen Würfen gezeigt. Das gilt es ernst zu nehmen.

Ich sehe den parlamentarischen Erfolg nicht darin, stur mit einer Meinung durchzumarschieren. Meine Erfahrung sagt mir: Wirkung erzielt man nur, wenn man andere Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die Verwaltung und auch die Bevölkerung frühzeitig in die Lösungsfindung einbezieht.

Alles andere scheint gut für die Galerie zu sein, aber in der Konsequenz führt es zu einem Reformstau. Um es wie Henrique Schneider zu sagen: «Reformstaus führen zu Staatsversagen.»

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QOSHE - Die Wählerin ernst nehmen - Andri Silberschmidt
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Die Wählerin ernst nehmen

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07.11.2023

Henrique Schneider hat uns vor den Wahlen in der «Gewerbezeitung» die Leviten gelesen. Seine Kernbotschaft war: «Kompromisse führen zu Staatsversagen.» Natürlich: Es ist falsch, mit einem Kompromiss zu beginnen. Man muss um Positionen ringen und hartnäckig sein. Wenn man am Schluss aber den Kompromiss meidet, hat man das direktdemokratische System der Schweiz nicht verstanden.

In der zu Ende gehenden Legislatur hat das Volk über 21 Gesetzesvorlagen abgestimmt. In 7 Fällen sagte es Nein. Bei allen 7 gescheiterten Gesetzen handelte es sich um Vorschläge, die zu wenig ausbalanciert waren. Kompromisslose Vorlagen haben es in der Volksabstimmung deutlich schwerer.

Stellen wir uns also vor: Wir lassen politisches Geplänkel und unnötige Schaumschlägereien beiseite, damit die 52. Legislatur, die am 4. Dezember starten wird, ganz im Zeichen konkreter Lösungen stehen wird. Ich deute den Willen der Wählerinnen und Wähler so, dass sie insbesondere in folgenden drei Themen Lösungen wollen: Asyl, Strom, Gesundheit.

Wer den Kompromiss meidet, hat das direktdemokratische System nicht verstanden.

Die Migrationspolitik muss im Interesse der Schweiz........

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