Man muss sich das klarmachen: Ohne den Lockdown gäbe es womöglich einen der schönsten Filme des Kinojahres 2023 gar nicht. Denn dann hätte der japanische Schriftsteller Takuma Takasaki nicht beim deutschen Regisseur Wim Wenders angefragt, ob er nach Japan kommen wolle, um sich die neu erbauten öffentlichen Toiletten anzusehen, die in Vorbereitung der für 2020 geplanten Olympischen Spiele errichtet worden waren. Handelt es sich doch um architektonische Kleinode im Dienst der menschlichen Bedürfnisse, entworfen von renommierten und prestigereichen Baumeistern, die allerdings international niemand wahrgenommen hat, weil die Sommerspiele wegen der Corona-Pandemie zunächst abgesagt wurden und die Gäste ausblieben.

Takasakis Idee war nun, Wenders als bekennenden Architekturfan entweder für ein Dokumentarfilmprojekt oder für ein Fotobuch über diese Tempel der Ruhe zu gewinnen. Der 78-jährige Autorenfilmer schlug stattdessen vor, eine kleine fiktive Geschichte zu erzählen über das Allgemeinwohl und wie es als menschliches Gut praktiziert wird, denn dafür seien diese Orte ja entstanden. Manchmal ist es ganz simpel, scheinbar banal, wie Dinge beginnen. Jetzt kommt Perfect Days, Wim Wenders’ neuer und wohl schönster Spielfilm seit Langem, in die Kinos.

„The Tokyo Toilet“ steht auf dem taubenblauen Overall, in den Hirayama (Kōji Yakusho) allmorgendlich schlüpft, um zur Arbeit zu fahren. Noch hängen die Reste der Nacht über der Stadt, wenn der Mittsechziger in aller Frühe aufsteht, seinen Futon zusammenrollt, sich wäscht, anzieht und frühstückt, um dann am Brett im Flur, wo sauber aufgereiht Schlüssel, Armbanduhr, Münzgeld liegen, diese nacheinander zu nehmen, bevor er aus der kleinen Wohnung tritt und die Tür hinter sich schließt.

Hirayama verrichtet dieses Ritual schweigsam und in aller Ruhe, die Kamera wohnt ihm auf Augenhöhe bei. Vorm Haus steigt er dann wie an jedem Morgen in seinen Kleintransporter und fährt durch noch fast menschenleere Straßen. Als er eine seiner Musikkassetten einlegt und House of the Rising Sun der britischen Sixtiesrockband The Animals ertönt, ist es die erste sachte Disruption in diesem zen-artigen Fluss leiser Bewegungen.

Und schon ist man mittendrin in dieser Welt, die Wenders und sein Kameramann Franz Lustig kreieren, in der ein Blick für Alltägliches seinen ganz eigenen Zauber entwickelt. Und man sich gar nicht groß wundert, mit welcher Konzentration Hirayama sein Tagwerk als Reiniger öffentlicher Toiletten im Ortsteil Shibuya beginnt. Er geht seinem Job, ebenso wie seinem Alltagsablauf, hingebungsvoll präzise und mit großer Würde nach.

Das Putzen wirkt in seiner Ausführung nicht wie minderwertige Lohnarbeit, sondern wie ein Akt mit spiritueller Haltung. Wirklich schmutzig sind diese Anlagen ohnehin nie; sie wirken in ihren eklektischen Baustilen fast wie die Pavillons einer Kunstausstellung. In den Pausen setzt Hirayama sich unter einen Baum, isst sein mitgebrachtes Sandwich und fotografiert das Schattenspiel der Sonne in den Laubbäumen. Komorebi nennen die Japaner diese Lichtstrahlen, die durch Blätter fallen, als Sinnbild für die Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt, für die kleinen vergänglichen Momente.

Und abends, wieder zu Hause auf dem Futon, liest er alte Taschenbuchausgaben amerikanischer Schriftsteller, am liebsten Faulkner. Die kauft er im Antiquariat, der Besuch bei der Buchhändlerin gehört ebenso zu seinen Ritualen wie der Gang zum Schallplattenladen, zur versteckten Imbissbude im Bahnhof oder zum Badehaus, wo er sich regelmäßig eine Auszeit gönnt.

Mit seinem einfachen, zurückgezogenen Leben in seiner eigenen analogen Welt und den stets gleichen Abläufen scheint er zufrieden zu sein, selbst der hibbelige neue Kollege Takashi (Tokio Emoto), der gern zu spät kommt, bringt ihn kaum aus der Ruhe. Und Kōji Yakusho, den Wenders besetzt hatte, weil er ihn seit dessen Auftritten in Shall We Dance? und Babel verehrt, verkörpert diesen Meister der Gelassenheit mit kleinsten Nuancen, die ihm zu Recht in Cannes die Silberne Palme als bester Darsteller einbrachten.

Es sind dann kleine unerwartete Begegnungen, die ganz langsam und sanft eine Vergangenheit freilegen, die der Mann in seinem aufgeräumten und exakt ablaufenden Leben hinter sich gelassen hat. Und die womöglich nicht so leicht ins Reine zu bringen ist. Doch auf diese Erzähllogik lässt sich Wenders gar nicht so ganz ein, lieber hält er noch mal inne und lässt uns fast meditativ staunen über die Schönheit der unscheinbaren Dinge.

Da ist seine tiefe Liebe zu Japan zu spüren, das er seit vielen Jahren kennt, zum japanischen Kino und vor allem seine Verehrung für Yasujirō Ozu, über den er 1985 den Dokumentarfilm Tokyo-Ga drehte und dessen humanistische Filmsprache er hier wiederbelebt bis hin zum klassischen 1:1,33-Bildformat. Es ist hier aber weit mehr als eine Referenz oder ein nostalgischer Gimmick: Das Hochformat rückt auch die Räume besser ins Bild, sowohl die Toiletten als auch Hiyaramas Wohnung mit den Tatami-Matten auf dem Boden.

Wenders’ Zuneigung zum japanischen Kino ist gegenseitig: Perfect Days wird nun als Japans Beitrag ins Rennen um den Auslands-Oscar geschickt. Gegen Ende des Films singt die Barbesitzerin noch mal eine Version von House of the Rising Sun. Gespielt wird sie von Sayuri Ishikawa, einer der berühmtesten Enka-Sängerinnen in ihrer Heimat. Sie singt das Lied ganz zart und zurückgenommen – auf Japanisch. Und nicht etwa übersetzt aus der bekannten Animals-Variante, die von einem Mann auf Abwegen handelt, sondern in der ursprünglichen Fassung des traditionellen Folksongs über eine Frau, der das Leben so zusetzte, dass sie ihr Auskommen in einem Bordell suchen musste. Wie Ishikawa da in diesem kleinen Laden steht und melancholisch das Schicksal besingt, treibt es einem die Tränen in die Augen.

Eingebetteter Medieninhalt

Perfect Days Wim Wenders Japan/Deutschland, 123 Minuten, Kinostart: 21.12.2023 (Deutschland)

QOSHE - Kino | Noch der schönste Film des Jahres: „Perfect Days“ von Wim Wenders - Thomas Abeltshauser
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Kino | Noch der schönste Film des Jahres: „Perfect Days“ von Wim Wenders

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19.12.2023

Man muss sich das klarmachen: Ohne den Lockdown gäbe es womöglich einen der schönsten Filme des Kinojahres 2023 gar nicht. Denn dann hätte der japanische Schriftsteller Takuma Takasaki nicht beim deutschen Regisseur Wim Wenders angefragt, ob er nach Japan kommen wolle, um sich die neu erbauten öffentlichen Toiletten anzusehen, die in Vorbereitung der für 2020 geplanten Olympischen Spiele errichtet worden waren. Handelt es sich doch um architektonische Kleinode im Dienst der menschlichen Bedürfnisse, entworfen von renommierten und prestigereichen Baumeistern, die allerdings international niemand wahrgenommen hat, weil die Sommerspiele wegen der Corona-Pandemie zunächst abgesagt wurden und die Gäste ausblieben.

Takasakis Idee war nun, Wenders als bekennenden Architekturfan entweder für ein Dokumentarfilmprojekt oder für ein Fotobuch über diese Tempel der Ruhe zu gewinnen. Der 78-jährige Autorenfilmer schlug stattdessen vor, eine kleine fiktive Geschichte zu erzählen über das Allgemeinwohl und wie es als menschliches Gut praktiziert wird, denn dafür seien diese Orte ja entstanden. Manchmal ist es ganz simpel, scheinbar banal, wie Dinge beginnen. Jetzt kommt Perfect Days, Wim Wenders’ neuer und wohl schönster Spielfilm seit Langem, in die Kinos.

„The Tokyo Toilet“ steht auf dem taubenblauen Overall, in den Hirayama (Kōji Yakusho) allmorgendlich schlüpft, um zur Arbeit zu fahren. Noch hängen die Reste der Nacht über der Stadt, wenn der Mittsechziger in aller Frühe........

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