Es ist schon komisch: Je weniger wir in die Geschäfte gehen, desto mehr kaufen wir ein. Wir shoppen mehr als je zuvor, jetzt, da wir das tun können, ohne das Sofa zu verlassen. Wir haben die Busfahrt in die Stadt umgangen, haben Drehtüren und Rolltreppen hinter uns gelassen, die Musikanlage im Kaufhaus zum Schweigen gebracht und den Austausch von Lächeln und Höflichkeiten mit den Verkäufern übersprungen. Haben wir nicht sogar vergessen, wie es sich anfühlt, mit vollen Einkaufstüten in den müden Händen nach Hause zu fahren? Stattdessen können wir unser hart verdientes Geld mit einem Fingerschnips ausgeben und unsere Beute ein paar Tage später auf der Fußmatte abholen. Die traurigen Folgen: Unsere Einkaufsstraßen sterben aus.

Stellen wir uns für einen Moment folgendes Szenario vor: Dank des technischen Fortschritts kaufen wir nur noch das, was wir brauchen; die Technologie ist so verdrahtet, dass wir auf einen Klick eine schwarze Wimperntusche und ein Paar marineblaue Socken oder was auch immer kaufen – und es dabei belassen können, ohne noch zig weitere Artikel angeboten zu bekommen. In diesem Szenario wäre das Online-Shopping eine Art Ozempic für Shopaholics, das unsere Gier dämpft, statt sie anzufachen. Es wäre immer noch schlecht für die Ladenbesitzer, es würde immer noch hässliche graue Lücken hinterlassen, die unsere Hauptstraßen wie verfaulte Zähne verschandeln – aber es wäre im Dienste eines gesünderen Planeten.

Bei Topshop am Oxford Circus in London kreischten einst die Teenager-Mädchen wie Swifties, während Kate Moss im Schaufenster stolzierte und dabei posierte wie ein Festival-Headliner. Heute ist der ehemalige Fashionstore immer noch mit Brettern vernagelt, gestrandet wie ein riesiger Blauwal. Vor zweieinhalb Jahren hatte Ikea angekündigt, den Standort gekauft zu haben. Eine halbe Meile entfernt, in der noblen New Bond Street, hat das 130 Jahre alte Kaufhaus Fenwick, das lange Zeit bei jenen Londonern beliebt war, die etwas ausgefallenere Mode wollten, kürzlich zum letzten Mal seine Türen geschlossen. Der Onlineshopping-Hype kennt keine Grenzen.

Eine Person im Vereinigten Königreich kauft heute im Durchschnitt 28 Kleidungsstücke pro Jahr. Untersuchungen zeigen, dass selbst diejenigen, die der Aussage zustimmen, dass gut gemachte Produkte länger halten und daher ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis bieten, sich, wenn es hart auf hart kommt, für die billigere Variante entscheiden. Eine Atmosphäre der globalen Unsicherheit hat unsere Perspektiven verengt: Die Zukunft scheint zu ungewiss, um sich vorzustellen, welche Kleidung man in ein paar Jahren tragen oder auf welchem Sofa man sitzen wird, also kauft man die billige Variante und lässt das langfristige Denken links liegen.

Auch das Zurückschicken von im Netz gekauften Klamotten ist kein Freifahrtschein. Die Retourenplattform Optoro hat vor kurzem berechnet, dass nur 50 Prozent der zurückgegebenen Kleidungsstücke jemals weiterverkauft werden. Viele landen direkt auf der Mülldeponie. Und die Zahl der Rücksendungen nimmt zu, da wir als Verbraucher durch die zunehmende Verbreitung des digitalen Einkaufens leicht dazu verleitet werden, billige, schlecht verarbeitete Stoffe in Farben zu kaufen, die auf dem Bildschirm eines Telefons und nicht an einem Menschen gut aussehen. Die Beschäftigten im Einzelhandel sind durch den Onlineshopping-Hype in eine Notlage geraten: Sie werden von der Verkaufsfläche in Lagerhäuser außerhalb der Stadt verbannt, haben einen geringeren Status, werden schlechter bezahlt und haben miesere Arbeitsbedingungen. Das alles ergibt ein düsteres Bild von einer Tätigkeit, die eigentlich Spaß machen sollte.

Deshalb könnte die Zeit reif sein für ein Comeback der Läden, dafür, dass man aufsteht, seinen Mantel anzieht und shoppen geht. Albaray, ein kleines unabhängiges Modelabel, das im Jahr 2021 online ging, eröffnete im Dezember 2023 sein erstes physisches Geschäft. „Wir sind zuerst digital, aber wir haben immer gehofft, einen Laden zu eröffnen“, sagt Karen Peacock, die das Unternehmen zusammen mit zwei anderen ehemaligen Warehouse-Mitarbeitern gegründet hat, nachdem die Marken Warehouse und Oasis in der Pandemie zusammengebrochen waren.

Bewaffnet mit Online-Daten, die „einen guten Anhaltspunkt dafür boten, wo sich unsere Kunden aufhalten“, besuchte das Team an einem Mittwochnachmittag im letzten Herbst ein leerstehendes Geschäft in Chichester, West Sussex. Der Standort fühlte sich „lebendig an, es waren viele Leute da“ – also wurde der Mietvertrag unterzeichnet. „Gleich nach der Eröffnung kamen Frauen zu uns und sagten, wie froh sie seien, ein neues Bekleidungsgeschäft in der Stadt zu haben, anstatt dass Bekleidungsgeschäfte schließen und durch Nagelstudios oder Cafés ersetzt werden“, sagt Peacock.

Als Harry Gordon Selfridge 1909 sein Geschäft im Zentrum Londons eröffnete, brachte er showmanhaftes Flair in die britische High Street und installierte auf dem Dach einen Schießstand und eine Eisbahn. Aus Chicago stammend, importierte er den amerikanischen Eifer für den Einzelhandel als Theater nach Großbritannien. Seine ersten weihnachtlichen Schaufensterauslagen waren Tableaus als Hommage an berühmte Gemälde von Watteau und Fragonard, inspiriert von der Wallace Collection, die ein paar Straßen weiter eröffnet worden war.

Er ließ die Schaufensterbeleuchtung auch nach Ladenschluss an und lockte so spätabendliche Schaufenstergäste an. Seine Konkurrenten machten sich über diese Extravaganz lustig, aber schon im folgenden Jahr kopierten sie diese. Sein Geist lebt weiter: Zum diesjährigen Valentinstag bot die britische Kaufhauskette Selfridges Paaren, die keine Lust auf Juwelen oder herzförmige Pralinenschachteln hatten, Zeichenkurse an, in denen sie sich gegenseitig porträtieren konnten. Auch Skateboardkurse für zwei Personen in der hauseigenen Skatebox waren Teil des Angebotes. Wie sich herausstellte, gibt es Dinge, die man nicht vom Sofa aus kaufen kann. Also mache ich mich auf den Weg zu den Geschäften.

Jess Cartner-Morley Modejournalistin beim Guardian.

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Erlebnisshopping | Warenhaus statt Onlineshopping: Werden die glamourösen Einkaufsstraßen zurückkehren?

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03.04.2024

Es ist schon komisch: Je weniger wir in die Geschäfte gehen, desto mehr kaufen wir ein. Wir shoppen mehr als je zuvor, jetzt, da wir das tun können, ohne das Sofa zu verlassen. Wir haben die Busfahrt in die Stadt umgangen, haben Drehtüren und Rolltreppen hinter uns gelassen, die Musikanlage im Kaufhaus zum Schweigen gebracht und den Austausch von Lächeln und Höflichkeiten mit den Verkäufern übersprungen. Haben wir nicht sogar vergessen, wie es sich anfühlt, mit vollen Einkaufstüten in den müden Händen nach Hause zu fahren? Stattdessen können wir unser hart verdientes Geld mit einem Fingerschnips ausgeben und unsere Beute ein paar Tage später auf der Fußmatte abholen. Die traurigen Folgen: Unsere Einkaufsstraßen sterben aus.

Stellen wir uns für einen Moment folgendes Szenario vor: Dank des technischen Fortschritts kaufen wir nur noch das, was wir brauchen; die Technologie ist so verdrahtet, dass wir auf einen Klick eine schwarze Wimperntusche und ein Paar marineblaue Socken oder was auch immer kaufen – und es dabei belassen können, ohne noch zig weitere Artikel angeboten zu bekommen. In diesem Szenario wäre das Online-Shopping eine Art Ozempic für Shopaholics, das unsere Gier dämpft, statt sie anzufachen. Es wäre immer noch schlecht für die Ladenbesitzer, es würde immer noch hässliche graue Lücken hinterlassen, die unsere Hauptstraßen wie verfaulte Zähne verschandeln – aber es wäre im Dienste eines gesünderen Planeten.

Bei Topshop am Oxford Circus in London kreischten einst die........

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