Man sollte sich nicht täuschen: Das Genre der „biografischen Dokumentation“, wie es in letzter Zeit mit Miniserien wie Harry und Meghan, Arnold oder Messi eine Hochphase feiert, hat oft nur wenig mit dem zu tun, was man herkömmlich unter Dokumentarfilm versteht. Viel eher sind es Celebrity-Porträts, die in enger Kooperation mit den Celebrities entstehen und in denen sich die jeweiligen Regisseure als reine Auftragnehmer kaum je kritisch mit den Porträtierten auseinandersetzen.

Fisher Stevens, der als Regisseur für die vierteilige Netflix-Doku Beckham verantwortlich zeichnet (und übrigens als Schauspieler in der Rolle des schleimigen Pressesprechers Hugo in Succession Bekanntheit erlangte), machte in den Promotionsinterviews zum Serienstart gar keinen Hehl aus seinem „Leiharbeiter-Status“: Er habe Beckham vorher nicht persönlich gekannt, hörte man ihn da immer wieder erzählen. Er sei erst nach dessen großer Zeit überhaupt Fußballfan geworden und außerdem Anhänger des FC Liverpool und eben nicht von Beckhams Manchester United. Leonardo Di Caprio – mit dem Stevens 2016 die Umweltdoku Before the Flood drehte – habe ihn angerufen, um ihm den Job schmackhaft zu machen.

Vom Name-Dropping einmal abgesehen, kann es sich Stevens vor allem deshalb leisten, die eigene anfängliche Uninteressiertheit zu betonen, weil man sie dem Endprodukt nicht anmerkt. Im Gegenteil, Beckham fesselt und berührt auf eine Weise, wie man es von einem Fußballer-Porträt kaum erwartet; für Netflix wurde die Serie zum Instant-Hit, was auch bedeutet, dass sie sowohl bei den Fans als auch bei denen, die an Fußball wenig interessiert sind, ankommt. Letzteres lässt sich ganz auf Stevens’ Erzählgeschick zurückführen. Man meint den Folgen anzumerken, dass der Regisseur immer wieder etwas entdeckt hat, was ihn selbst überrascht oder erstaunt hat. Nicht zuletzt die Tatsache, dass David Beckham wirklich ein ziemlich sympathischer Kerl zu sein scheint.

Gleich in der ersten Folge bringt Stevens etwas sehr Bekanntes und etwas eher Unbekanntes über seinen Star zusammen: Da ist einerseits der berühmte Schuss von der Mittellinie, mit dem er den Ball in einer Ehrfurcht erregenden langen Kurve ins Tor beförderte – „Bend It Like Beckham!“ –, und andererseits der inzwischen 48-Jährige, der in voller Imker-Garnitur nach seinen Bienen schaut. Rein formal erfindet Regisseur Stevens hier nichts Neues, wenn er Aufnahmen von heute, entstanden bei mehreren Besuchen auf dem Landsitz der Beckhams in Sawbridgeworth, Hertfordshire, mit Archivaufnahmen mischt.

Außer mit David und Victoria Beckham konnte Stevens auch noch mit Davids Eltern und seiner Schwester sprechen, sowie mit verschiedenen Teammates wie Gary Neville, Trainern wie Alex Ferguson und Fabio Capello sowie großen internationalen Stars wie Eric Cantona oder dem Brasilianer Ronaldo. Aufnahmen des aktiven Fußballers gibt es genug, zumal Vater Beckham seinen Sohn schon von klein auf offenbar wie manisch mit der Videokamera verfolgte; an einer Stelle berichtet er von über 1.400 Spielen, die er selbst aufgezeichnet habe.

Zu etwas Besonderem aber wird das alles durch Stevens’ Gespür für bestimmte Momente und Zusammenhänge. So ging eine kleine Szene aus der Doku bereits viral, in der Victoria Beckham im Wohnzimmer vor der Kamera davon erzählt, dass ihr und David die einfache Arbeiterherkunft gemeinsam sei. Vom Türrahmen her hört man David laut einwenden, sie solle ehrlich sein und die Marke des Autos benennen, in dem ihr Vater sie zur Schule gefahren habe. Nur mit Zögern gesteht Victoria schließlich ein, dass es sich um einen Rolls-Royce gehandelt habe.

Andere Momente bestechen auch mit weniger „populistischen“ Pointen. Oft sind es kleine Dinge, die viel verraten: der prinzipielle Gestus, mit dem die alte Rezeptionistin von Manchester United nichts, aber auch gar nichts an Insiderwissen preisgibt. Oder die Wehmut, die sich in den Gesichtern der ehemaligen Profispieler niederschlägt, wenn sie die alten Aufnahmen ansehen – Stevens filmt sie in einem Spezialverfahren dabei aus nächster Nähe. Oder auch das Misstrauen in die Medien, das sich durch viele negative Erfahrungen tief in Victoria Beckhams Gestus eingegraben hat: „Nimm mich auf, wie ich den Hund streichle, dann komme ich menschlich rüber.“

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QOSHE - Was läuft | Netflix-Serie „Beckham“: Der Fußballstar als Imker und Ehemann - Barbara Schweizerhof
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Was läuft | Netflix-Serie „Beckham“: Der Fußballstar als Imker und Ehemann

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10.11.2023

Man sollte sich nicht täuschen: Das Genre der „biografischen Dokumentation“, wie es in letzter Zeit mit Miniserien wie Harry und Meghan, Arnold oder Messi eine Hochphase feiert, hat oft nur wenig mit dem zu tun, was man herkömmlich unter Dokumentarfilm versteht. Viel eher sind es Celebrity-Porträts, die in enger Kooperation mit den Celebrities entstehen und in denen sich die jeweiligen Regisseure als reine Auftragnehmer kaum je kritisch mit den Porträtierten auseinandersetzen.

Fisher Stevens, der als Regisseur für die vierteilige Netflix-Doku Beckham verantwortlich zeichnet (und übrigens als Schauspieler in der Rolle des schleimigen Pressesprechers Hugo in Succession Bekanntheit erlangte), machte in den Promotionsinterviews zum Serienstart gar keinen Hehl aus seinem „Leiharbeiter-Status“: Er habe Beckham vorher nicht persönlich gekannt, hörte man ihn da immer wieder erzählen. Er sei erst nach dessen großer Zeit überhaupt Fußballfan geworden und außerdem Anhänger des FC Liverpool und eben nicht von Beckhams Manchester United. Leonardo Di........

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