Als ich die Nachrichten las, bekam ich einen Schreck. Es ging, wieder einmal, um die Gefahr, die von der AfD ausgeht. Diesmal klang sie greifbar und nah. Die Partei habe 100 Neonazis in den Bundestag geschleust. Als Mitarbeiter. So klangen die Nachrichten. Sie beruhten auf einer Recherche des Bayerischen Rundfunks. Dessen Journalisten berichteten, dass von den etwa 500 Mitarbeitern, die Bundestagsabgeordnete der AfD in ihren Büros beschäftigen, jeder fünfte ein Rechtsextremist sein solle. Im Herzen der parlamentarischen Demokratie.

Unter den Mitarbeitern ist ein Mann, der unter anderem mit Neonazis aus dem Umfeld der NPD trainiert: Kampfsport. Ein anderer hat sogar Hausverbot im Bundestag. Er heißt Mario Müller, war in der Jugendorganisation der NPD und wurde mehrfach wegen Körperverletzung verurteilt. In einem Fall soll er in Delmenhorst einen Menschen schwer mit einer Waffe verletzt haben, die als Totschläger bezeichnet wird. Später ist er dann in den Osten gegangen, wie viele westdeutsche Neonazis, inzwischen arbeitet er für einen Bundestagsabgeordneten aus Sachsen-Anhalt.

Einige Abgeordnete beschäftigen Mitarbeiter, die der AfD als Mitglieder zu radikal waren, zu antisemitisch oder zu rassistisch, und die deshalb aus der Partei geflogen sind. Das wirft natürlich die Frage auf, ob das ernst gemeint war. Oder ob es sich nicht nur um taktische Rauswürfe gehandelt hat, um Diskussionen darüber, wie radikal die Partei ist, zu entgehen.

Ein Dutzend dieser Fälle sind erschreckend genug. Sind es wirklich 100? Ziemlich viele AfD-Mitarbeiter wurden von den Kollegen des BR pauschal als Rechtsextremisten eingestuft. Dafür reichte, dass sie in der Nachwuchsorganisation der Partei sind, der Jungen Alternative (JA) oder in einem der drei ostdeutschen Landesverbände, bei denen der Verfassungsschutz, wie bei der JA, „gesichert rechtsextreme Bestrebungen“ erkennt. Ist jedes einzelne Mitglied etwa der AfD aus Sachsen deshalb also automatisch Rechtsextremist? Ja, findet offenbar der BR. So kommt er auf eine hohe Anzahl – und eine gute Schlagzeile.

13.03.2024

14.03.2024

13.03.2024

13.03.2024

gestern

Die Recherche ist wichtig, aber wie oft im medialen Umgang mit der Partei hätte ich mir mehr Präzision im Umgang mit dieser Zahl gewünscht. Allein, um den vorhersehbaren Vorwurf der AfD zu verhindern, es handele sich um eine öffentlich-rechtliche Kampagne. Nach dem Motto: Ein Staatssender, der sich auf den staatlichen Geheimdienst beruft, schießt wieder gegen die Opposition! Der Kampagnenvorwurf ist natürlich Quatsch, über den vorbestraften Schläger Müller im Abgeordnetenbüro etwa hat die konservative (und privat finanzierte) Zeitung Die Welt schon vor Monaten berichtet. Es ist die Aufgabe der Medien, Parteien kritisch zu begleiten. Dazu gehört die Beschäftigung mit dem Personal.

Aber es wird nicht reichen, sich in der Auseinandersetzung mit der AfD nur auf den Verfassungsschutz zu verlassen, wie der BR es zu Teilen tut. Und auf den Schreck, der von Meldungen über „100 Rechtsextreme“ ausgeht. Vor dem Oberverwaltungsgericht Münster hat gerade die Verhandlung darüber begonnen, ob der Geheimdienst die gesamte Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen darf. Dieser Klärungsprozess kann sich noch über Wochen hinziehen.

New York Times: Nancy Faesers „Kampf gegen rechts“ schwächt die Demokratie

gestern

Regierung verweigert Auskunft über Potsdamer Treffen: „Interessen der Bundesrepublik“ in Gefahr

14.03.2024

Wir werden in der Zwischenzeit – und auch nach einem Urteil – nicht darum herumkommen, uns politisch mit der AfD zu befassen. Mit den Themen, die ihre potenziellen Wähler umtreiben. Mit den Positionen der AfD, die oft nicht über eine Fundamentalablehnung des Status quo hinausgehen. Das herauszuarbeiten, mehr noch: dagegenzuhalten, ist zäh und unangenehm. Aber ein schnelles Verbot der AfD ist vollkommen illusorisch. Und von dem Ansatz, ihre Vertreter aus Diskursen, etwa in Talkshows, auszuschließen, hat in den vergangenen zehn Jahren vor allem die AfD selbst profitiert. Die Zahl ihrer Wähler ist gestiegen und gestiegen.

Und noch etwas ist gewachsen, mal laut, oft still: der Unmut über den Zustand der Demokratie in Deutschland. Als abstrakte Idee finden die meisten Menschen sie zwar immer noch großartig, ergeben Umfragen. Aber jeder Dritte sagt in denselben Umfragen inzwischen: So, wie die Demokratie hier läuft, überzeugt sie mich nicht mehr.

Das löst zwar Schlagzeilen aus, aber sie verhallen schnell. Mich erschreckt dieser Demokratieunmut noch mehr als die AfD-Mitarbeiter im Bundestag.

QOSHE - Wir können die Auseinandersetzung mit der AfD nicht dem Verfassungsschutz überlassen - Wiebke Hollersen
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Wir können die Auseinandersetzung mit der AfD nicht dem Verfassungsschutz überlassen

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16.03.2024

Als ich die Nachrichten las, bekam ich einen Schreck. Es ging, wieder einmal, um die Gefahr, die von der AfD ausgeht. Diesmal klang sie greifbar und nah. Die Partei habe 100 Neonazis in den Bundestag geschleust. Als Mitarbeiter. So klangen die Nachrichten. Sie beruhten auf einer Recherche des Bayerischen Rundfunks. Dessen Journalisten berichteten, dass von den etwa 500 Mitarbeitern, die Bundestagsabgeordnete der AfD in ihren Büros beschäftigen, jeder fünfte ein Rechtsextremist sein solle. Im Herzen der parlamentarischen Demokratie.

Unter den Mitarbeitern ist ein Mann, der unter anderem mit Neonazis aus dem Umfeld der NPD trainiert: Kampfsport. Ein anderer hat sogar Hausverbot im Bundestag. Er heißt Mario Müller, war in der Jugendorganisation der NPD und wurde mehrfach wegen Körperverletzung verurteilt. In einem Fall soll er in Delmenhorst einen Menschen schwer mit einer Waffe verletzt haben, die als Totschläger bezeichnet wird. Später ist er dann in den Osten gegangen, wie viele westdeutsche Neonazis, inzwischen arbeitet er für einen Bundestagsabgeordneten aus Sachsen-Anhalt.

Einige Abgeordnete........

© Berliner Zeitung


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