Es war der freigestellte Lichtenberger Stadtrat Kevin Hönicke, der am Dienstag eine Meldung an Journalisten verschickte: Eine Kollegin aus dem Bezirksamt werde wahrscheinlich bald sein Schicksal teilen. Auch Camilla Schuler, stellvertretende Bezirksbürgermeisterin und Baustadträtin von der Linken, drohe eine Freistellung von ihrem Amt. Wieder durch Martin Schaefer, den Bezirksbürgermeister von der CDU.

Es wäre die nächste Eskalation im Rathaus Lichtenberg, das seit Wochen nicht zur Ruhe kommt. Im Oktober war Kevin Hönicke, damals Baustadtrat, durch Schaefer vom Amt freigestellt worden und hatte ein Betretungsverbot für sämtliche Amtsgebäude erhalten. Die Gründe sind Hönicke bis heute von Schaefer nicht erklärt worden, der SPD-Politiker klagt gegen seine Freistellung. Anfang Januar berichtete die Berliner Zeitung, dass Hönickes Freistellung in Zusammenhang mit einem Fall von Machtmissbrauch im Bezirksamt zu stehen scheint.

Der Katastrophen- und Zivilschutzbeauftragte von Berlin-Lichtenberg, Philipp Cachée, hatte in eigener Sache ermittelt, nachdem im Januar 2023 ein anonymer Brief mit Vorwürfen gegen ihn wegen sexueller Belästigung und kompetenzüberschreitenden Verhaltens an den Tagesspiegel gesandt worden war. Bezirksbürgermeister Martin Schaefer unterstützte und beauftragte Cachée, herauszufinden, wer den Brief verschickt hatte. Cachée, im Nebenjob forensischer Berater, enttarnte Hönicke mit fragwürdigen Mitteln als vermeintlichen Briefschreiber. Hönicke hatte die Online-Briefmarke zwar gekauft, bestreitet aber bis heute, den Brief versendet zu haben.

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•vor 6 Std.

27.01.2024

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Für den Bericht über die Affäre in Berlin-Lichtenberg sprach eine weitere Stadträtin mit der Berliner Zeitung: Camilla Schuler, die nun immer mehr unter Druck zu geraten scheint. Sie habe von den betroffenen Frauen selbst vom übergriffigen Verhalten des Katastrophenbeauftragten gehört, sagte sie. Schuler meldete diese Vorwürfe ihren Vorgesetzten, auch wenn die Frauen sie bereits einen Tag später – unter Druck, wie es schien – wieder zurückzogen. Sie habe damals einige Fehler gemacht, sagte sie der Berliner Zeitung. Heute drängt sie auf Aufklärung.

Wird sie deswegen nun vom Bezirksbürgermeister freigestellt? Der Berliner Zeitung liegt ein Schreiben vor, das am Dienstag offenbar an alle Mitarbeiter des Bezirksamts versendet werden sollte. Darin weist Schaefer die Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Cachée erneut zurück und deutet an, dass Schuler den Kollegen fälschlicherweise beschuldigt haben könnte.

Hönicke schrieb am Dienstag in seiner Mitteilung: Frau Schuler werde durch den Bezirksbürgermeister aufgefordert, eine Erklärung zu unterzeichnen, die im klaren Widerspruch zu „dem Willen, der Überzeugung und dem Wissen“ der Stadträtin stehe. „Im Falle ihrer Weigerung drohen nicht nur ein Disziplinarverfahren, sondern auch die sofortige Freistellung. Sie wäre damit die zweite freigestellte Bezirksstadträtin neben meiner Person.“ Schuler werde unter Druck gesetzt, obwohl sie derzeit krankgeschrieben sei.

Machtmissbrauch in Lichtenberg: Wie Stadtrat Hönicke aus dem Amt gejagt wurde

13.01.2024

Machtmissbrauch in Berlin-Lichtenberg: Warum sagt der CDU-Bürgermeister Schaefer nicht die Wahrheit?

18.01.2024

Das Bezirksamt Lichtenberg könnte schon bald so aussehen wie in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am vergangenen Donnerstag – nur zur Hälfte besetzt. Neben Bezirksbürgermeister Schaefer nahmen nur noch Catrin Gocksch und Filiz Keküllüoğlu vor den Verordneten in der Max-Taut-Aula Platz. Die Gesundheitsstadträtin von der CDU, die gerade noch Schulstadträtin war, und die Verkehrsstadträtin von den Grünen, die zusätzlich das Schulressort übernommen hat. Bürgermeister Schaefer nutzte Hönickes Freistellung, um das Bezirksamt umzubilden. Die SPD ist derzeit mit keinem Stadtratsposten vertreten.

Drei Plätze blieben frei in der Reihe des Bezirksamts: Die AfD, der ein Stadtratsposten zusteht, bekommt seit Monaten ihren Kandidaten nicht durch die monatlich wiederholte Wahl, der Posten ist unbesetzt; Camilla Schuler war bereits krankgeschrieben; der freigestellte Kevin Hönicke saß in der zweiten Reihe der Besucherplätze zwischen Bürgern, die Anliegen in der BVV vortragen wollten.

Es stellt sich die Frage, ob das Bezirksamt von Lichtenberg derzeit überhaupt noch arbeitsfähig ist – oder dauerhaft mit sich selbst beschäftigt. Auch die Verordneten des Bezirks wüssten das gern. Der Bezirksbürgermeister sagte, ihm gehe „ein bisschen der Pulsschlag gerade“, als er am Donnerstag zur Eröffnung der BBV das Wort ergriff. Aber Schaefer kam nicht, wie von vielen erwartet, auf die Zustände im Bezirksamt zu sprechen. Er redete über den bevorstehenden Holocaust-Gedenktag und die Frage, ob man die AfD von Veranstaltungen ausschließen könne.

Die SPD-Verordnete Lisa-Marie Sager nutzte daraufhin die Fragestunde, um Schaefer zu einer Stellungnahme zur Lage im Bezirksamt zu drängen. Sie selbst habe Erfahrung mit Befragungen im Zusammenhang mit sexueller Belästigung gemacht, sie fordere „lückenlose Aufklärung“. Schaefer erwiderte, dass er sich zu „solchen Themen“ nicht in der BVV, die live im Internet übertragen werde, äußere. Der Verordnete Philipp Ahrens von den Grünen setzte in seiner Frage an Schaefer nach, die Verunsicherung unter den 2200 Mitarbeitern des Bezirksamts und auch in der BVV sei „immens“. Schaefer habe mit der Berliner Zeitung gesprochen, also solle er auch mit den Verordneten sprechen. Er habe aber den Eindruck, „dass Schaefer sich einen schlanken Fuß machen und das Ganze aussitzen“ wolle.

Schaefer antwortete auch auf diesen Vorwurf. Mit einem Gegenvorwurf. Wer „permanent Meinungen in die Welt“ setze, der sei es, der die Unruhe in den Bezirk bringe. Er könne nur an alle in Lichtenberg appellieren, seinem Beispiel zu folgen und sich öffentlich nicht zu den Vorgängen zu äußern.

Will Schaefer wirklich – wie Hönicke vermutet – nun einen Schritt weiter gehen und Camilla Schuler freistellen? Der Bezirksbürgermeister widersprach am Dienstag. Er teilte der Berliner Zeitung am Nachmittag mit: „Wenn Herr Hönicke solche Dinge verbreitet, entbehrt dies jeder Grundlage. Es gibt keine ‚Berichte‘ (so schreibt Herr Hönicke in den sozialen Medien) dieser Art oder solche Pläne. Herr Hönicke schadet mit seinen öffentlichen Äußerungen dem Bezirksamt Lichtenberg.“

Schuler selbst wollte sich am Dienstag nicht äußern, weil sie krankgeschrieben ist.

QOSHE - Machtmissbrauch in Berlin-Lichtenberg: Droht der zweiten Stadträtin der Rauswurf? - Wiebke Hollersen
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Machtmissbrauch in Berlin-Lichtenberg: Droht der zweiten Stadträtin der Rauswurf?

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30.01.2024

Es war der freigestellte Lichtenberger Stadtrat Kevin Hönicke, der am Dienstag eine Meldung an Journalisten verschickte: Eine Kollegin aus dem Bezirksamt werde wahrscheinlich bald sein Schicksal teilen. Auch Camilla Schuler, stellvertretende Bezirksbürgermeisterin und Baustadträtin von der Linken, drohe eine Freistellung von ihrem Amt. Wieder durch Martin Schaefer, den Bezirksbürgermeister von der CDU.

Es wäre die nächste Eskalation im Rathaus Lichtenberg, das seit Wochen nicht zur Ruhe kommt. Im Oktober war Kevin Hönicke, damals Baustadtrat, durch Schaefer vom Amt freigestellt worden und hatte ein Betretungsverbot für sämtliche Amtsgebäude erhalten. Die Gründe sind Hönicke bis heute von Schaefer nicht erklärt worden, der SPD-Politiker klagt gegen seine Freistellung. Anfang Januar berichtete die Berliner Zeitung, dass Hönickes Freistellung in Zusammenhang mit einem Fall von Machtmissbrauch im Bezirksamt zu stehen scheint.

Der Katastrophen- und Zivilschutzbeauftragte von Berlin-Lichtenberg, Philipp Cachée, hatte in eigener Sache ermittelt, nachdem im Januar 2023 ein anonymer Brief mit Vorwürfen gegen ihn wegen sexueller Belästigung und kompetenzüberschreitenden Verhaltens an den Tagesspiegel gesandt worden war. Bezirksbürgermeister Martin Schaefer unterstützte und beauftragte Cachée, herauszufinden, wer den Brief verschickt hatte. Cachée, im Nebenjob forensischer Berater, enttarnte Hönicke mit fragwürdigen Mitteln als vermeintlichen Briefschreiber. Hönicke hatte die Online-Briefmarke zwar gekauft, bestreitet aber bis heute, den Brief versendet zu........

© Berliner Zeitung


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