Als ich das Ortsschild sah, dachte ich: Oh, das Problemdorf. Auf dem Schild stand: Burg (Spreewald). Es war Sonntagnachmittag, ich hatte auf meinem Handy nach einem Café gesucht, das Handy hatte uns hierhergeführt.

„Nazihausen“, sagte ich zu meinem Freund. Ich hatte gerade erst eine Reportage im Spiegel über Burg gelesen, in der dieses Wort gestanden hatte. In der Überschrift. Der Text handelt davon, wie ein junger Reporter, geboren im Ruhrgebiet, immer mal wieder nach Burg fährt. Bei seinem ersten Besuch sieht er, kaum, dass er aus seinem Mietwagen gestiegen ist: Aufkleber von AfD und NPD an Laternen, Jungs mit Bomberjacken, die marschieren und einen Mann, der Flyer einer Neonazi-Partei verteilt. Der Reporter schreibt: „Ich dachte: Ach, du Scheiße.“

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25.02.2024

Tausende in Brandenburg wenden sich gegen Rechtsextremismus

25.02.2024

Hat ein westdeutscher Reporter, der in ein Dorf im Osten ankam, je etwas anderes gedacht? In den letzten 34 Jahren?

Im vergangenen Frühjahr hatten zwei Lehrer aus Burg einen Brief an Medien geschrieben. An ihrer Oberschule gebe es zehn bis zwölf Jugendliche, die Mitschüler rassistisch beleidigen, den Hitlergruß zeigen, Hakenkreuze malen. Und es werde nichts dagegen unternommen. Die Lehrer wurden bedroht, kurz darauf verließen sie die Schule und die Stadt. Die Reporter kamen.

Die Geschichte hatte auch mich beschäftigt. Geht es an anderen Schulen in Brandenburg ähnlich zu? In einem Beitrag des Fernsehsenders RTL wurden Fotos einer Abifeier aus Cottbus eingeblendet, auch da hatten Schüler den Hitlergruß gezeigt.

Im Spiegel-Text stand, dass Burg sehr schön und die meisten der 4200 Menschen im Ort gar nicht rechtsextrem seien. Aber sicher ist nicht nur bei mir eher das Wort aus der Überschrift hängen geblieben. Im RTL-Beitrag sagte die Sprecherin über Burg: „Es liegt ein brauner Schatten über dem Dorf.“

27.02.2024

27.02.2024

gestern

•gestern

gestern

Jugendliche provozieren mit Nazisymbolen, bedrohen Mitschüler. Das ist ein Problem, egal, wo es passiert. In Südbrandenburg scheint es öfter zu passieren als anderswo, es klingt nach einem strukturellen Problem. Wie geht man damit um? Ich würde denken: Eher nicht, in dem man einen ganzen Ort zu Nazihausen erklärt.

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•gestern

Brandenburg: Immer mehr Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte

27.02.2024

Wir hielten auf einem großen Parkplatz, auf dem auch Autos mit polnischen Kennzeichen standen. Die Luft roch nach Frühling, die Schlange vor dem Eisladen zog sich über die halbe Straße. Niemand marschierte oder verteilte Flyer. Nach einer Stunde entdeckte mein Freund einen Aufkleber von der AfD an einer Laterne. Er war zur Hälfte abgekratzt. Ich suchte auf meinem Handy nach den letzten Wahlergebnissen. Bei der Bundestagswahl 2021 hat die AfD in der Gemeinde Burg 25,1 Prozent bekommen. Die SPD bekam 25,9 Prozent.

Am nächsten Tag erzählte uns ein Mann, der in einem kleineren Dorf der Gemeinde mit seiner Frau ein Hotel betreibt, dass viele Absagen kämen. Leute aus Stuttgart oder Hamburg fragen: Kann man zu euch überhaupt noch kommen? Vielleicht haben sie Angst. Oder sie halten es für hilfreich im Kampf gegen Neonazis. Aber wer hat gewonnen, wenn niemand mehr kommt?

Im Hotel arbeiten Frauen aus Polen, in der Küche kocht unter anderem ein Syrer, der 2015 als Flüchtling nach Deutschland kam. Er habe auch die Gurkenmarmelade gemacht, sagte er, die es zum Frühstück gibt. Als Spreewaldspezialität.

QOSHE - Gefährlicher Osten: Ein Ausflug nach „Nazihausen“ im Spreewald - Wiebke Hollersen
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Gefährlicher Osten: Ein Ausflug nach „Nazihausen“ im Spreewald

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29.02.2024

Als ich das Ortsschild sah, dachte ich: Oh, das Problemdorf. Auf dem Schild stand: Burg (Spreewald). Es war Sonntagnachmittag, ich hatte auf meinem Handy nach einem Café gesucht, das Handy hatte uns hierhergeführt.

„Nazihausen“, sagte ich zu meinem Freund. Ich hatte gerade erst eine Reportage im Spiegel über Burg gelesen, in der dieses Wort gestanden hatte. In der Überschrift. Der Text handelt davon, wie ein junger Reporter, geboren im Ruhrgebiet, immer mal wieder nach Burg fährt. Bei seinem ersten Besuch sieht er, kaum, dass er aus seinem Mietwagen gestiegen ist: Aufkleber von AfD und NPD an Laternen, Jungs mit Bomberjacken, die marschieren und einen Mann, der Flyer einer Neonazi-Partei verteilt. Der Reporter schreibt: „Ich dachte: Ach, du Scheiße.“

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25.02.2024

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