Eigentlich ist die Redezeit in der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick für jeden, der nach vorn an das Pult tritt, begrenzt. Am Donnerstagabend wurde das Zeitlimit aufgehoben – für den Antrag von SPD, Grünen und Linken, den Stadtrat der AfD im Bezirksamt abzuwählen. Fast zwei Stunden diskutierten die Verordneten im holzvertäfelten BVV-Saal des Rathauses Treptow. Dabei sprachen sich auch Politiker von CDU und FDP gegen den Stadtrat aus, warnten aber zugleich vor den Risiken des Abwahlantrags.

Bernd Geschanowski von der AfD ist seit 2016 Stadtrat im Bezirk. Zunächst war er fünf Jahre für Gesundheit und Umwelt zuständig, seit 2022 ist er Stadtrat für Öffentliche Ordnung. Die AfD hatte aufgrund des Wahlergebnisses erneut das Vorschlagsrecht auf einen Stadtratsposten, Geschanowski wurde mit knappem Ergebnis gewählt. Seit der letzten Wahl ist er der einzige AfD-Stadtrat in ganz Berlin. In den Bezirken Spandau, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf steht der AfD zwar auch das Vorschlagsrecht für jeweils einen Stadtratsposten zu, ihre Kandidaten werden aber von den Bezirksverordneten nicht gewählt.

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Nun soll auch Geschanowski das Bezirksamt verlassen. Den Antrag stellte Paul Bahlmann vor, Fraktionsvorsitzender der SPD. „Wir haben kein Vertrauen mehr in den Stadtrat“, erklärte er, und das gelte in mehrfacher Hinsicht. Geschanowski führe sein Amt nicht gut, er habe unter anderem eine Haushaltssperre für das Ordnungsamt zu verantworten, er lege keine Konzepte für die Zukunft vor, es sei nicht zu erwarten, dass sich an seiner schlechten Amtsführung etwas ändere. Außerdem haben die Antragsteller „kein Vertrauen darin, dass der Herr Stadtrat im Zweifel die Demokratie verteidigt“, so Bahlmann.

Dustin Hoffmann von der CDU, die die größte Fraktion in der BVV stellt, erklärte in seiner Rede, die Haltung der Union sei ganz klar: „Keine Stimmen für die AfD“. Seine Fraktion habe Geschanowski nicht gewählt. Die Wahl von Bezirksamtsmitgliedern ist geheim. Auch Grüne und FDP hatten aber bereits vor der BVV-Sitzung erklärt, den Stadtrat nicht gewählt zu haben. Hoffmann warf nun SPD und Linken vor, dem Stadtrat mit ins Amt verholfen zu haben. Er kritisierte aber auch den rot-rot-grünen Abwahlantrag als einen „Wisch mit so vielen Angriffsflächen für die AfD“. Der Antrag sei inhaltlich schwach und komme zum falschen Zeitpunkt, kurz vor der Europawahl. Man liefere der AfD damit vermutlich Wahlkampfmunition.

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Verordnete aller Fraktionen meldeten sich in der zum Teil emotional geführten Debatte zu Wort. Politiker von Linken, SPD und Grünen verwiesen auf die zunehmende Radikalisierung der AfD und auf die großen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in ganz Deutschland. Geschanowksi mache Wahlkampf für die AfD. Aber auch um Probleme mit dem Ordnungsamt ging es, das unter anderem nicht genug Bußgelder erhoben haben und Jugendliche im öffentlichen Raum drangsaliert haben soll.

Bernd Geschanowski verteidigte sich gegen Ende der Debatte und nannte die Vorwürfe gegen seine Person einen „wirklichen Rundumschlag“. Er habe als Stadtrat zweimal den Eid auf das Grundgesetz und die Berliner Landesverfassung geschworen, antwortete er auf die Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung. Im Amt agiere er „parteipolitisch neutral“. Er zählte Stellennachbesetzungen und Arbeitsaufgaben des Ordnungsamts auf und sagte, er sei von der Haushaltssperre Ende des Jahres überrascht worden, ein Gespräch mit ihm habe vorher niemand gesucht.

Bevor ein Bezirksstadtrat abgewählt werden kann, muss der entsprechende Antrag zweimal in der BVV besprochen werden, direkt nach der zweiten Aussprache kann abgestimmt werden. Für die Abwahl ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. SPD, Grüne und Linke sind also auf Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen. Auch diese Abstimmung wird geheim sein. Die nächste BVV in Treptow-Köpenick findet am 18. April statt.

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Einziger AfD-Stadtrat in Berlin: Wählt eine ganz große Koalition ihn ab?

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07.03.2024

Eigentlich ist die Redezeit in der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick für jeden, der nach vorn an das Pult tritt, begrenzt. Am Donnerstagabend wurde das Zeitlimit aufgehoben – für den Antrag von SPD, Grünen und Linken, den Stadtrat der AfD im Bezirksamt abzuwählen. Fast zwei Stunden diskutierten die Verordneten im holzvertäfelten BVV-Saal des Rathauses Treptow. Dabei sprachen sich auch Politiker von CDU und FDP gegen den Stadtrat aus, warnten aber zugleich vor den Risiken des Abwahlantrags.

Bernd Geschanowski von der AfD ist seit 2016 Stadtrat im Bezirk. Zunächst war er fünf Jahre für Gesundheit und Umwelt zuständig, seit 2022 ist er Stadtrat für Öffentliche Ordnung. Die AfD hatte aufgrund des Wahlergebnisses erneut das Vorschlagsrecht auf einen Stadtratsposten, Geschanowski wurde mit knappem Ergebnis gewählt. Seit der letzten Wahl ist er der einzige AfD-Stadtrat in ganz Berlin. In den Bezirken Spandau, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf steht der AfD zwar auch das........

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