Vor Wahlen in Thüringen wird inzwischen ganz Deutschland nervös. So wie 2023, als im Landkreis Sonneberg zum ersten Mal ein Kandidat der AfD eine Landratswahl gewann. Die Gemeinde war wochenlang in den Schlagzeilen.

Trotzdem dürften viele bis heute nicht wissen, wo Sonneberg genau liegt, wie es den Menschen dort geht. Die Filmemacher Yvonne und Wolfgang Andrä haben eine ähnlich aufgeladene Wahl in Thüringen beobachtet. Den Bundestagswahlkampf 2021 im Wahlkreis 196 – in dem Hans-Georg Maaßen als Direktkandidat antrat; der ehemalige Verfassungsschutzchef, der seit vergangener Woche selbst vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Das Verfassungsgericht lässt sich nicht AfD-sicher machen: Nur Machtverzicht der Etablierten hilft

vor 20 Min.

Yvonne Andrä ist Thüringerin, ihr Mann ist aus Berlin nach Weimar gezogen. Ihr Film „Arena 196“ zeigt den Wettkampf von sechs Kandidaten im ländlichen Osten, in den sich Aktivisten aus Berlin einmischen. Die Filmemacher beobachten, statt zu kommentieren, und zeichnen ein Bild der Region. Auch Sonneberg liegt im Wahlkreis 196. Der Bestsellerautor Dirk Oschmann und der Regisseur Andreas Dresen sind Fans des Films. Am Dienstag wird er in Berlin gezeigt. Vorab erzählt Yvonne Andrä am Telefon von den Dreharbeiten – und ihrem neuen, noch größeren Filmprojekt.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Wahlkreis 196 im Bundestagswahlkampf mit der Kamera zu begleiten?

Erst hatten wir eine andere Idee. Wir wollten einen Film über die CDU machen. Die Partei hat ja den Unvereinbarkeitsbeschluss, darf also weder mit der AfD noch mit der Linken zusammenarbeiten. Nach der letzten Landtagswahl vor vier Jahren war klar: Damit kann Thüringen nicht mehr regiert werden. Thomas Kemmerich wurde mit Stimmen der FDP, CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt, das löste ein politisches Beben aus, Annegret Kramp-Karrenbauer stürzte als Parteichefin der CDU, in Thüringen kam ein neuer Landeschef. Uns hat interessiert: Wie kann man das zeigen, in welcher Bredouille die CDU hier ist? Aber wir haben das filmisch nicht in den Griff bekommen. Dann trat Hans-Georg Maaßen im Wahlkreis 196 an.

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03.02.2024

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Zur Bundestagswahl 2021 kandidierte der ehemalige Verfassungsschutzchef in Südthüringen. Er wollte per Direktmandat ins Parlament.

Drei Monate vor der Wahl haben wir alle angefragt, die zu diesem Zeitpunkt als Direktkandidaten im Wahlkreis 196 antreten wollten. In dem Moment wurde uns klar, dass wir etwas machen wollten über Demokratie. Der Begriff wirkt oft wie eine Plattitüde. Aber diese Menschen, die Direktkandidaten, stehen in der Demokratie für ihre Ideen ein. Auch ein rechter CDU-Mann wie Maaßen.

Sechs Männer und eine Frau kandidierten zu diesem Zeitpunkt. Der Direktkandidat der AfD wollte nicht mitmachen. Sagte er sofort ab?

Ich habe ihn mehrfach angeschrieben. Er sagte, er überlegt sich das, hat sich dann aber nie wieder gemeldet. Dann habe ich ihn noch zweimal angeschrieben. Ich bin zu einem AfD-Wahlkampfstand gegangen, habe die Partei angeschrieben. Aber es half nichts.

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Woran, glauben Sie, lag das? Die AfD beklagt ja oft, aus Diskursen ausgeschlossen zu werden.

Wir arbeiten gerade an einem neuen Film, wir begleiten die Landtagswahl in Thüringen. Der Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken, die Direktkandidaten von CDU, SPD, FDP und Grünen wollen mitmachen. Sie haben uns zugesichert, dass wir nicht nur die Wahl, sondern auch die Regierungsbildung filmisch begleiten dürfen, die ja überaus schwierig werden wird. Wir haben natürlich auch die AfD angefragt. Aber es gab bisher gar keine Reaktion. Keine Absage, keine Zusage, nichts.

Hat Hans-Georg Maaßen für Ihr Filmprojekt über den Wahlkreis 196 gleich zugesagt?

Nee, erst mal kam auch überhaupt keine Reaktion. Ich hab es über Leute in der CDU versucht, die ich kenne, die haben nach Südthüringen gemeldet, dass wir keine bösen Menschen sind. Es gab Rückfragen, längere Telefongespräche. Irgendwann haben wir einen Termin bekommen.

Maaßen hat die Dreharbeiten vorzeitig abgebrochen.

Auch da wissen wir nicht, warum. Wir glauben nicht, dass Hans-Georg Maaßen vor uns Angst hatte, dass es seine Entscheidung war. Das kam offenbar von seinem Team vor Ort. Später hat uns jemand aus diesem Team gesagt, dass der ganze Wahlkampf allen sehr an die persönliche Substanz gegangen sei, es habe Bedrohungen gegeben, auch von Arbeitgebern, die Leute fürchteten, ihre Hauptjobs zu verlieren. Daraufhin haben sie wohl entschieden, dass sie gar keine Presse mehr zulassen.

War abzusehen, dass Maaßen aus der CDU austreten würde?

Klar war, dass er im Dissens stand zum größten Teil der westdeutschen CDU. In der südthüringischen CDU war das anders. Ich glaube auch, dass er die AfD nicht wirklich als Gegner angesehen hat. Er wollte gegen den SPD-Mann gewinnen. Es ging uns nie darum, Maaßen zu vernichten oder ihn bloßzustellen. Wir wollten einfach nur verstehen, was da passiert.

Deshalb hätten Sie auch gern den AfD-Kandidaten gefilmt? Manche Journalisten sind ja der Ansicht, man dürfe der Partei keine Bühne bieten.

Wir haben lange darüber debattiert. Aber wir können nicht über Demokratie reden und dann die Partei ausschließen, die 30 Prozent der Menschen wählen würden. Dass der AfD-Kandidat fehlt, ist eine Leerstelle im Film.

Für die SPD trat Frank Ullrich an, ein Thüringer, der für die DDR Olympiasieger im Biathlon war. Er wurde dadurch bundesweit bekannt: als der Mann, der Maaßen stoppen sollte. Warum ließ er sich erst spät im Wahlkampf filmen?

Er stand unter einem Riesendruck, weil sich das so zugespitzt hatte, auf ihn oder Maaßen. Ich habe alles probiert, sein Team angesprochen, die Fraktion, ich habe wirklich überall gebaggert.

Die Anspannung im Wahlkreis war hoch?

Die Augen der ganzen Republik lagen auf Frank Ullrich. In Talkshows hieß es immer: Da gibt es doch diesen Supersportler, den solle man wählen. Er selbst ist kein typischer Politiker. Er ist Sportpolitiker. Im Bundestag leitet er jetzt den Sportausschuss. Das ist sein Thema, da kennt er sich aus.

Als die Kandidaten endlich mitmachten, waren sie offen. Nie bat jemand, Aufnahmen wieder löschen zu lassen, heißt es im Film.

Sie haben auch nie gesagt: Das darf nicht gefilmt werden. Wir haben auch alle in den Schnittraum geholt, als der Film fertig war. Hans-Georg Maaßen hat auf die Einladung nicht reagiert. Der Kandidat von der FDP hat gesagt, ach, macht mal, ich vertraue euch. Die anderen kamen und hatten keine Einwände.

Der Wahlkampf wurde zusätzlich aufgeladen, als sich Aktivisten von Campact einmischten. Sie forderten, dass die Direktkandidaten von den Grünen und der Linken für den Mann der SPD werben. Sie übten viel Druck aus. Wie haben Sie als Thüringerin das empfunden?

Es ging Campact darum, zu verhindern, dass Hans-Georg Maaßen in den Bundestag einzieht. Wenn ich das von außen beobachtet hätte, hätte ich das vielleicht sogar gut gefunden. Aber wir haben mitbekommen, was das vor Ort angerichtet hat, wie das demokratische Gefüge ins Wanken geraten ist. Wenn wir sagen, demokratische Prozesse gelten nur, wenn es uns passt, werden wir noch mehr Leute in die Arme von Nichtdemokraten treiben.

Als die Kandidatin der Grünen erfährt, dass ihre eigene Partei fordert, sie nicht zu wählen, wirkt sie erschüttert.

Stephanie Erben kämpft sich ab für die Partei, und es wurde ihr nie gedankt. Sie war im Stadtrat von Rudolstadt, da ist sie jetzt ausgetreten, sie war so verletzt. Es gab nie eine Aussprache mit Michael Kellner, dem Bundesgeschäftsführer der Partei damals. Nach der Wahl wollten die Grünen vor Ort mit ihm reden. Er hatte keine Zeit. Später hat er ihnen Termine morgens in der Woche vorgeschlagen. In Berlin!

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Der Direktkandidat der Linken hat bis zuletzt zur Wahl von sich selbst aufgerufen, gegen alle Kampagnen aus Berlin.

Erst nach den Dreharbeiten hat Sandro Witt uns erzählt, dass er deshalb massiv bedroht worden ist.

Was ist ihm passiert?

Drohnachrichten, auch nach Hause, Galgen, wir hängen dich auf, richtig üble Sachen. Auch aus dem eigenen politischen Lager.

Wie kam der Film in Thüringen an?

Wir haben ihn zuerst im Wahlkreis gezeigt. Danach war Totenstille. Leute hatten Tränen in den Augen. Sie sagten, sie fühlen sich wahrgenommen, sie sind nicht nur ein braunes Fascholand, wie es ja jetzt oft heißt. In Suhl gab es ganz verhaltenen Beifall, wir hatten schon Angst, aber dann gab es so viele Fragen, die Leute unterhielten sich bis nachts um eins.

Wird über Thüringen vor Wahlen zu viel Unsinn geschrieben?

Es geht zu viel um die 34 Prozent, die jetzt eben der AfD zuneigen, und zu wenig um die 66 Prozent, die das nicht machen. Wir haben gerade auf Demos gegen rechts gefilmt, in kleinen Städten wie Ilmenau. Da war nicht die Antifa, da waren keine aktivistischen Linken, da wurden keine aggressiven Parolen gerufen. Da waren nicht Leute, die gegen etwas waren, sondern die für etwas waren. Ich glaube, das wird nicht gesehen. Wenn man Menschen immer nur in die Trotzecke schiebt, werden sie eben irgendwann auch trotzig.

Wie blicken Sie auf die Landtagswahl im September, die Sie jetzt schon begleiten?

Ich glaube, diesmal wird Thüringen wirklich unregierbar. Wir haben jetzt auch noch das BSW angefragt, aber offiziell hat das Bündnis noch niemanden als Direktkandidaten aufgestellt. Die Bürgermeisterin von Eisenach hat ihren Übertritt von der Linken erklärt, vielleicht wird sie es. Ich weiß nicht, was das für Schlachten hier werden in diesem Wahlkampf.

„Arena 196“ läuft am Dienstag, 6. Februar, im Babylon Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz. Beginn ist 19.30 Uhr. Nach der Vorführung gibt es ein Gespräch mit den Filmemachern und einigen ihrer Protagonisten. Weitere Termine finden Sie hier.

QOSHE - Doku über Maaßens Wahlkampf in Thüringen: „Danach war Totenstille. Leute hatten Tränen in den Augen“ - Wiebke Hollersen
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Doku über Maaßens Wahlkampf in Thüringen: „Danach war Totenstille. Leute hatten Tränen in den Augen“

9 10
05.02.2024

Vor Wahlen in Thüringen wird inzwischen ganz Deutschland nervös. So wie 2023, als im Landkreis Sonneberg zum ersten Mal ein Kandidat der AfD eine Landratswahl gewann. Die Gemeinde war wochenlang in den Schlagzeilen.

Trotzdem dürften viele bis heute nicht wissen, wo Sonneberg genau liegt, wie es den Menschen dort geht. Die Filmemacher Yvonne und Wolfgang Andrä haben eine ähnlich aufgeladene Wahl in Thüringen beobachtet. Den Bundestagswahlkampf 2021 im Wahlkreis 196 – in dem Hans-Georg Maaßen als Direktkandidat antrat; der ehemalige Verfassungsschutzchef, der seit vergangener Woche selbst vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Das Verfassungsgericht lässt sich nicht AfD-sicher machen: Nur Machtverzicht der Etablierten hilft

vor 20 Min.

Yvonne Andrä ist Thüringerin, ihr Mann ist aus Berlin nach Weimar gezogen. Ihr Film „Arena 196“ zeigt den Wettkampf von sechs Kandidaten im ländlichen Osten, in den sich Aktivisten aus Berlin einmischen. Die Filmemacher beobachten, statt zu kommentieren, und zeichnen ein Bild der Region. Auch Sonneberg liegt im Wahlkreis 196. Der Bestsellerautor Dirk Oschmann und der Regisseur Andreas Dresen sind Fans des Films. Am Dienstag wird er in Berlin gezeigt. Vorab erzählt Yvonne Andrä am Telefon von den Dreharbeiten – und ihrem neuen, noch größeren Filmprojekt.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Wahlkreis 196 im Bundestagswahlkampf mit der Kamera zu begleiten?

Erst hatten wir eine andere Idee. Wir wollten einen Film über die CDU machen. Die Partei hat ja den Unvereinbarkeitsbeschluss, darf also weder mit der AfD noch mit der Linken zusammenarbeiten. Nach der letzten Landtagswahl vor vier Jahren war klar: Damit kann Thüringen nicht mehr regiert werden. Thomas Kemmerich wurde mit Stimmen der FDP, CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt, das löste ein politisches Beben aus, Annegret Kramp-Karrenbauer stürzte als Parteichefin der CDU, in Thüringen kam ein neuer Landeschef. Uns hat interessiert: Wie kann man das zeigen, in welcher Bredouille die CDU hier ist? Aber wir haben das filmisch nicht in den Griff bekommen. Dann trat Hans-Georg Maaßen im Wahlkreis 196 an.

gestern

03.02.2024

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•gestern

Zur Bundestagswahl 2021 kandidierte der ehemalige Verfassungsschutzchef in Südthüringen. Er wollte per Direktmandat ins Parlament.

Drei Monate vor der Wahl haben wir alle angefragt, die zu diesem Zeitpunkt als Direktkandidaten im Wahlkreis 196 antreten wollten. In dem Moment wurde uns klar, dass wir etwas machen........

© Berliner Zeitung


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