Im Internet kann man sich Crack-Pfeifen für elf Euro bestellen. Bei Etsy, einer Plattform, die ich bisher mit Vintagemöbeln und Kunstdrucken aus Italien in Verbindung gebracht hatte. Man kann auch ein T-Shirt kaufen, auf dem „I love Crack“ steht. Das Wort Liebe ist durch ein Herz ersetzt.

Ich bin auf diese Angebote gestoßen, weil ich mehr über Crack wissen wollte und im Internet nach den Pfeifen gesucht habe. Ich denke in letzter Zeit oft über Crack nach. Das liegt daran, dass ich am Schlesischen Tor in Kreuzberg wohne. Dem neuen, großen Crack-Hotspot in Berlin, nach dem Leopoldplatz im Wedding. Die Droge ist der Trend des Jahres in meinem Viertel, anders kann ich es leider nicht sagen.

Vor einer Woche stieg ich an einem Montagnachmittag am Bahnhof Schlesisches Tor aus der U-Bahn. Im Berufsverkehr. Vom Bahnsteig führen zwei Treppen nach unten, verbunden durch eine Art Zwischenebene. Dort saßen vier Männer auf dem Boden, sie hielten Feuerzeuge in der Hand und zogen an kleinen Pfeifen. Die Blicke der Männer wirkten leer. Die Fahrgäste stiegen um sie herum, darunter Kinder mit Schulranzen. Ein Junge schaute die Männer an. Die Erwachsenen versuchten eher, wegzusehen. Das scheint die Strategie der ganzen Stadt zu sein.

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Crack besteht aus Kokainsalz und Natriumkarbonat, zu kleinen Klumpen verschmolzen, die erhitzt werden und dabei verdampfen. Der Dampf wird eingeatmet und erzeugt ein schnelles High. Auch das habe ich in diesem Jahr gelernt. Ich hatte Crack mit New York in Verbindung gebracht, der Bronx, den 1980er Jahren. Eine Droge der Vergangenheit. Aber in Berlin scheint sie die Zukunft zu sein. Der Senat hat mitgeteilt, man wisse, dass der Konsum steige, es liege wohl daran, dass sie so billig sei.

Einen Abend später traf ich eine Nachbarin auf der Straße. Wir sprachen über den Mann, der seit einigen Monaten abends oft auf den beiden Treppenstufen sitzt, die zur Tür unseres Hauses führen. Und dort Crack raucht. Manchmal liegen auch nur seine Utensilien vor unserer Tür, alte Löffel, Aluminiumfolie. Die Nachbarin sagte, sie wisse nicht mehr weiter. Unsere Haustür lässt sich nicht mal richtig abschließen. Sie erzählte von ihrer Arztpraxis um die Ecke, in der auch Heroinabhängige mit der Ersatzdroge Methadon versorgt werden. Und die jetzt dicht machen soll, wegen einer Mieterhöhung.

Heißt es nicht in der Theorie, dass Wohnviertel erst verelenden und dann gentrifiziert werden? In Kreuzberg geht das wunderbar gleichzeitig. Der Bürgermeister von der CDU, Kai Wegner, möchte uns Anwohnern aber jetzt einen Zaun schenken. Rund um den Görlitzer Park, in dem die meisten Dealer stehen. Das wird sicher toll, wenn die Crack-Raucher, die Heroinsüchtigen ohne Arzt und die Dealer aus dem Görli alle außerhalb der Parks herumlaufen! Könnten die nicht statt dieses Zauns etwas machen, was wirklich hilft?, fragte meine Nachbarin. Ob ich das rausfinden könne, als Journalistin?

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Ich schrieb an die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. Eine Sprecherin antwortete, der „Anstieg des Konsums von Crack“ im Viertel sei bekannt, und: „Drogenkonsum und Obdachlosigkeit betreffen viele Orte in Berlin“. Das klang, als sollten wir uns ein bisschen zusammenreißen.

Der Bezirk sei für den Ausbau von Hilfsangeboten, hieß es weiter, und habe „den Bedarf mehrfach gegenüber der Landesebene benannt“. Man brauche Konsumräume, in denen die Leute ihr Crack rauchen können, statt sich auf die U-Bahn-Treppe zu setzen. Die Forderung befinde sich in einem „Maßnahmenpapier“. Es gebe aber noch keine „Finanzierungszusagen“ vom Senat. Das Problem scheint mir damit dort angekommen, wo alle Berliner Probleme landen: im Verantwortungs-hin-und-her. Es ist ein Stadium, das Jahre dauern kann, es kann auch das finale Stadium sein. Ich beschloss, mich bei der Hausverwaltung für ein neues Schloss an der Eingangstür einzusetzen.

QOSHE - Crack-Süchtige vor meiner Haustür: Wie wir Anwohner vom Görlitzer Park verzweifeln - Wiebke Hollersen
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Crack-Süchtige vor meiner Haustür: Wie wir Anwohner vom Görlitzer Park verzweifeln

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29.11.2023

Im Internet kann man sich Crack-Pfeifen für elf Euro bestellen. Bei Etsy, einer Plattform, die ich bisher mit Vintagemöbeln und Kunstdrucken aus Italien in Verbindung gebracht hatte. Man kann auch ein T-Shirt kaufen, auf dem „I love Crack“ steht. Das Wort Liebe ist durch ein Herz ersetzt.

Ich bin auf diese Angebote gestoßen, weil ich mehr über Crack wissen wollte und im Internet nach den Pfeifen gesucht habe. Ich denke in letzter Zeit oft über Crack nach. Das liegt daran, dass ich am Schlesischen Tor in Kreuzberg wohne. Dem neuen, großen Crack-Hotspot in Berlin, nach dem Leopoldplatz im Wedding. Die Droge ist der Trend des Jahres in meinem Viertel, anders kann ich es leider nicht sagen.

Vor einer Woche stieg ich an einem Montagnachmittag am Bahnhof Schlesisches Tor aus der U-Bahn. Im Berufsverkehr. Vom Bahnsteig führen zwei Treppen nach unten, verbunden durch eine Art Zwischenebene. Dort saßen vier Männer auf dem Boden, sie hielten Feuerzeuge in der Hand und zogen an kleinen Pfeifen. Die Blicke der Männer wirkten leer. Die Fahrgäste stiegen um sie herum,........

© Berliner Zeitung


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