Ich hatte nicht damit gerechnet, meinen Glauben an die Menschheit an einem Samstagnachmittag am Faulen See in Weißensee wiederzufinden. Eigentlich wollte ich nur spazieren gehen, um mal wieder von der Stadt wegzukommen.

Von den Leuten, die einen anrempeln, auf der Straße brüllen, sich an einem vorbei in die Bahn drängeln. Ich halte Berlin nur deshalb schon ein Leben lang aus, weil es Orte wie das kleine Naturschutzgebiet gibt, in dem man sich fühlt, als wäre man weit weg von allem.

Im Moment ist es besonders schön, weil das Wasser im See wieder so hoch steht. Das Ufer ist zugewachsen. Ich stand mit meinem Freund am Ufer und guckte auf die Haubentaucher, als neben uns ein Mann sagte: „Baden kannste hier nich mehr.“ Als ich mich umdrehte, sah ich, dass er es nicht zu uns, sondern zu einem anderen Mann gesagt hatte, der in einem Rollstuhl saß, mit einem Plüschhund auf dem Schoß, und eine Fliederblüte in seinen Händen hielt. Baden konnte er nicht mehr, der Mann im Rollstuhl lachte.

Räumungsprozess gegen Manne, 84: „Das wäre für mich das Ende, der Rinnstein“

15.04.2024

Ein Bioladen in Neukölln: Mit diesem Satz warf mir ein Kunde mein ganzes Leben vor die Füße

09.04.2024

Sein Freund solle auch den Frühling riechen, sagte der Mann, der hinter dem Rollstuhl stand. Zwei ältere Herren mit Sinn für die Natur. Der Mann im Rollstuhl hielt uns den Flieder hin. Mit der rechten Hand, die er noch bewegen konnte. Wir gingen zu viert weiter um den See.

Die Männer erzählten, wie sich kennengelernt hatten. Im Krankenhaus, mitten in der Pandemie, von der es meist heißt, sie habe Menschen auseinandergetrieben. Beide waren nach einem Schlaganfall eingeliefert worden. Für den Mann im Rollstuhl war es der siebte, sagte er. Trotzdem reichte die Energie noch, sich über das Krankenhausessen aufzuregen. Bei beiden. Damit war klar, sie verstehen sich. Der Mann, der den Rollstuhl schob, sagte, er sei dann eine Woche früher rausgekommen und habe zu Hause für seinen Zimmerkollegen, der noch bleiben musste, mit gekocht und ihm das Essen in die Klinik gebracht. Um trotz Pandemie ohne Probleme durch alle Kontrollen zu kommen, habe er sein Patientenbändchen am Handgelenk gelassen.

16.04.2024

•vor 7 Std.

•gestern

Er sei 71, echter Berliner, geschieden. Sein Freund im Rollstuhl erzählte von seiner Heimat an der Ostsee, die er verlassen hatte, um zur NVA nach Potsdam zu gehen, er sei schon 82. Seine hellen Augen leuchteten, wenn er redete. Inzwischen lebe er in einem Heim, wo er einen alten Arbeitskollegen wiedergetroffen habe.

Zwei Invaliden, so ist es dann eben. Sein Freund erzählte, dass er immer noch alle drei Tage für zwei koche und dann ins Heim fahre. Heute habe er gefüllte Paprikaschoten gemacht. Schön angeschmort, in einem Topf, dann Tomaten dazu, für die Soße. Viel Geld habe er nicht, aber dafür reicht es.

Sie wirkten vertraut, auf diese Männerfreundschaftsart, ohne viele Worte. Dabei kannten sie sich doch erst ein paar Jahre. Heißt es nicht, dass man im Alter keine Freunde mehr findet, weil jeder sich im eigenen Leben eingekapselt hat? Und dass Freunde verschwinden, wenn die Zeiten schwierig werden? Ich dachte an meine eigenen Freunde, daran, wie schnell wir einander Verabredungen absagen, weil wir doch wieder länger gearbeitet haben, oder uns gerade nicht so fühlen. Der 71-Jährige sagte, er fahre auch zu seinem Freund, wenn er selbst keinen guten Tag habe. Die Bewegung tue ihm gut und der andere habe ja nur ihn. Es klang so selbstverständlich, so einfach.

Wir verabschiedeten uns an einer Weggablung. Ich mochte Berlin wieder sehr.

QOSHE - Berlin, Weißensee: Wie mir zwei Männer den Glauben an das Gute im Menschen zurückgaben - Wiebke Hollersen
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Berlin, Weißensee: Wie mir zwei Männer den Glauben an das Gute im Menschen zurückgaben

15 0
18.04.2024

Ich hatte nicht damit gerechnet, meinen Glauben an die Menschheit an einem Samstagnachmittag am Faulen See in Weißensee wiederzufinden. Eigentlich wollte ich nur spazieren gehen, um mal wieder von der Stadt wegzukommen.

Von den Leuten, die einen anrempeln, auf der Straße brüllen, sich an einem vorbei in die Bahn drängeln. Ich halte Berlin nur deshalb schon ein Leben lang aus, weil es Orte wie das kleine Naturschutzgebiet gibt, in dem man sich fühlt, als wäre man weit weg von allem.

Im Moment ist es besonders schön, weil das Wasser im See wieder so hoch steht. Das Ufer ist zugewachsen. Ich stand mit meinem Freund am Ufer und guckte auf die Haubentaucher, als neben uns ein Mann sagte: „Baden kannste hier nich mehr.“ Als ich mich umdrehte, sah ich, dass er es nicht zu uns, sondern zu einem anderen Mann gesagt hatte, der in einem Rollstuhl saß, mit einem Plüschhund auf dem Schoß, und eine........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play