Generationenkonflikte sind keine neue Erfindung. Die Babyboomer verstehen die Gen Z nicht und umgekehrt. Diese Vorstellung mag in Teilen zutreffen, doch sie lässt einen entscheidenden Fakt aus – innerhalb der jeweiligen Generation bestehen ebenfalls Konflikte. Nicht alle jungen Menschen sprechen genderinklusiv, fordern die Vier-Tage-Woche und freuen sich über die Cannabis-Legalisierung.

Wird diese Meinungsdiversität nicht mehr akzeptiert, werden Positionen als populistisch und rechts abgetan, dann wird ein Teil der Gesellschaft ausgeschlossen. In ihrem Buch „Generation Krokodilstränen: Über die Machttechniken der Wokeness“ analysiert Pauline Voss diese Entwicklung aus einer kritischen Perspektive. Welches Ziel sie damit verfolgt und wieso sie sich selbst nicht als konservativ bezeichnet, erklärt die Autorin im Gespräch mit der Berliner Zeitung.

Frau Voss, in Ihrem Buch „Generation Krokodilstränen“ beleuchten Sie kulturelle, politische und gesellschaftliche Strukturen. Gibt es einen Bereich, den Sie als besonders relevant erachten?

Am meisten interessieren mich Debatten. Wie sie geführt werden und wie die Machtverhältnisse gestaltet sind. Meiner Meinung nach sind viele Journalisten zu wenig machtkritisch und sehr regierungsunterstützend. Wenn jemand die Regierung kritisiert, wird ihm unterstellt, dass er damit dann auch gleich den Staat kritisiert und am liebsten die Demokratie abschaffen möchte. Alles wird in einen Topf geworfen.

In Ihrem Buch verteidigen Sie konservative Positionen, üben Kritik am Gendern und am Selbstbestimmungsgesetz. Wie fallen die Reaktionen Ihrer Altersgruppe aus?

Positiv. Es gibt viele Leute in meinem Alter, die mir schreiben und sich freuen, dass jemand auch mal Kritik an woken Positionen übt und diese hinterfragt. Das freut mich ehrlich gesagt besonders, weil in unserer Generation Debatten aufgrund einer Einförmigkeit und eines Konformitätszwangs häufig abgeschnitten werden. Und zu dem Begriff konservativ – ich habe lange über diesen Begriff nachgedacht und würde sagen, dass ich zwar konservativ, aber vor allem auch liberal bin. Ich will mir vor allem unterschiedliche Meinungen anhören und überprüfen, welche Ansichten konsistent sind und welche nicht. Ich würde mich selbst nicht als stockkonservativ bezeichnen, aber bin davon überzeugt, dass konservative Positionen wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind.

•gestern

06.04.2024

07.04.2024

07.04.2024

gestern

Wie meinen Sie das?

Wenn man heutzutage sagt, es gibt Männer und Frauen – also zwei und nicht zwanzig Geschlechter –, dann gilt eine solche Äußerung schon als konservativ. Dabei erkennt man bloß die Biologie an. Früher war diese Haltung gewöhnlich, mittlerweile fällt man damit auf. Das konservative Denken ist abhandengekommen. Andererseits, wenn wir eine gänzlich konservativ ausgerichtete Politik hätten, dann würde ich wahrscheinlich auch Punkte finden, die mir zu weit gehen.

Würden Sie sich nun als konservativ bezeichnen oder nicht?

Als Journalistin ist es nicht am wichtigsten, zu sagen, wer man ist, sondern eher, wie man sich zu den Mächtigen positioniert.

Gab es einen Moment oder eine Situation, aufgrund derer Sie sich dazu entschieden haben, ein Buch zu schreiben?

Es war kein einzelner Moment. Es war eine Kumulation von Momenten. Mehrmals konnte ich Gespräche zu bestimmten Themen gar nicht erst führen, weil ich sofort angeeckt bin und mein Gegenüber einen Monolog gehalten hat. Das Buch kann als ein Versuch verstanden werden, mit meiner Generation ins Gespräch zu kommen. Ich möchte eine Diskussion anstiften.

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Die Woken sind also gut darin, ihre Argumente zu verteidigen, können aber nur bedingt andere Meinungen zulassen?

Früher war das anders. Im linken Spektrum wurde viel diskutiert, wurden unterschiedliche Meinungen akzeptiert, und dadurch ergab sich eine Vielfalt. Heutzutage wird Diversität anders definiert. Plötzlich geht es nur noch um Hautfarben und Identitäten. Die Meinungsdiversität wurde dadurch aufgegeben. Schnell gilt man als rechts, als Populist oder als fremdenfeindlich oder diskriminierend. Und wenn man als eine solche Person abgestempelt wird, dann meiden einen die Leute. In Diskussionen kommt man nicht mehr zu Wort.

Hat jemand schon mal eine Unterhaltung mit Ihnen abgebrochen mit der Begründung, dass Ihre Positionen rechts sind?

So etwas passiert in der Regel ohne direkte Kommunikation. Personen distanzieren sich, sie werden sehr vorsichtig, und man weiß genau, dass man nicht zu diesen Kreisen gehört.

Ihre Analyse fußt auf den Theorien des Soziologen Michel Foucault. Wieso gerade Foucault?

Mir ist aufgefallen, dass die Argumente der Generation Krokodilstränen oftmals widersprüchlich sind. Immer wieder beziehen sie sich in ihrer Argumentation auf Michel Foucault. Ich wollte herausfinden, ob Foucaults Theorien genauso gemeint sind, wie sie heutzutage gedeutet werden. Tatsächlich sagt er das komplette Gegenteil von dem, was heute reininterpretiert wird. Ich wollte die Woken mit ihren eigenen Waffen schlagen. Das ist immer der eleganteste Stich, den man jemandem versetzen kann.

Können Sie diese Umdeutung des Ursprünglichen einmal konkretisieren?

Heutzutage gibt es gefühlt 80 Unterkategorien des menschlichen Geschlechts; jeden Tag kommt eine neue Kategorie dazu. Foucault hätte das stark kritisiert. Sich in Kategorien pressen zu lassen, gleicht einer Machtunterwerfung. Die Woken verkaufen uns diese nicht enden wollende Einteilung als eine Art Befreiungsschlag. Exakt diese Widersprüche wollte ich aufdecken und in meinem Buch gegenüberstellen.

Wenn Sie über die Generation Krokodilstränen sprechen, beziehen Sie sich dann auf eine bestimmte Altersgruppe?

Nicht ganz, da das Alter keine übergeordnete Rolle spielt. Ich würde eher vom Machtkonzept Krokodilstränen sprechen. Es ist die Art und Weise, wie man sich am politischen Diskurs beteiligt.

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Wie denn?

In politischen Diskussionen ist immer wieder die Rede von Schmerz. Dieser Schmerz ist aber oft nicht echt, sondern simuliert: Man beklagt sich über sogenannte Mikroaggressionen. Zum Beispiel über die Frage „Wo kommst du her?“, über Komplimente, die als sexistisch gewertet werden, oder vermeintlich diskriminierende Wörter. Es werden Krokodilstränen geweint und Dinge beklagt, die kein wirkliches Problem darstellen. Es handelt sich hierbei um eine These. Letztlich geht es nur darum, Macht zu bekommen und diese Macht zu erhalten. Man hängt sich an kleinen Fragen auf.

Ist verärgert, wenn jemand das falsche Pronomen verwendet …

Genau. Zudem klagt man über das Patriarchat und darüber, dass Frauen nur hinter dem Herd stehen. Das entspricht aber gar nicht mehr der Realität. Dinge, die eigentlich schon längst überwunden sind, werden betrauert und als politisches Instrument genutzt, nur um andere mundtot zu machen.

Es geht also weniger um das Alter der Generation Krokodilstränen, sondern vielmehr um die Ideologie, die diese Menschen verinnerlicht haben?

Es sind vermehrt junge Menschen, die sich vor diesen ideologischen Karren spannen lassen. Von ihren Uni-Professoren oder ihren Lehrern. Sie stehen plötzlich für Dinge ein, die nicht wirklich in ihrem Interesse liegen. Aber sie glauben, dass sie es wollen.

Gibt es auch konservative Woke oder woke Konservative?

Um ehrlich zu sein: Die Woken sind sehr konservativ. Aber sie würden das niemals von sich selbst sagen. Ich habe den Eindruck, dass sie ihre konservativen Wünsche leugnen. Sie schaffen ständig neue Kategorien, eigentlich eine sehr konservative Vorgehensweise. Sie nehmen unsere Gegenwart als extrem repressiv wahr – geprägt von Rassismus, Diskriminierung, Patriarchat. Ich habe das Gefühl, dass sich in dieser verzerrten Beschreibung die unterdrückten konservativen Wünsche Bahn brechen. Es wird etwas zusammenfantasiert, eine Realität erschaffen, die durch und durch konservativ ist. Dagegen wollen und müssen sie dann rebellieren.

Die Generation Krokodilstränen strebt einen gesellschaftlichen Wandel an, will bestehende Strukturen und Rollenmuster aufbrechen. In ihrer Argumentation beziehen sich die Woken aber in der Regel auf historische Ereignisse. Sie blicken somit ständig in die Vergangenheit und wollen sich trotzdem davon lösen. Wie passt das zusammen?

Es passt nicht zusammen. Absolut nicht. Genau daran zeigt sich die ganze Paradoxie dieser Ideologie. Normalerweise erlangen Menschen Macht, wenn sie die Mehrheit von ihrer Idee überzeugen können. Diese – in Demokratien – herkömmliche Art der Machtlegitimation fußt auf einer gewissen Rationalität. Das Machtkonzept der Krokodilstränen beruht aber auf einer vorangegangenen Ohnmacht und entbehrt jeglicher Rationalität. Es geht nur darum, die bestehenden Verhältnisse komplett umzukehren.

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Apropos Umkehren: Auch Geschlechter werden heutzutage in gewisser Weise umgekehrt beziehungsweise verwässert. In Ihrem Buch kritisieren Sie, dass die Generation Krokodilstränen die eigene Geschlechtsidentität aufbläht und zu einem alltagsbestimmenden Thema macht. Aber auch Sie greifen die Thematik in mehreren Kapiteln auf. Wieso?

Hier wird die Wokeness am verrücktesten und irrationalsten. Biologische Fakten werden geleugnet, das aktuelle Wunschgeschlecht kann in den Pass eingetragen werden. Man entscheidet immer aufs Neue, wer oder was man sein will. Das ist eine Realitätsverleugnung, die ich einfach beeindruckend finde. Aus diesem Grund habe ich mich mit dem Thema Geschlecht so intensiv auseinandergesetzt.

In „Generation Krokodilstränen“ beschreiben Sie den „Well Respected Man“, der sich im Laufe der Zeit immer wieder aufs Neue an die brandaktuellen Konformitäten gesellschaftlicher Akzeptanz anpasst. Wie verhält es sich mit der „Well Respected Woman“?

Gute Frage. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich würde sagen, auch sie befolgt alle gesellschaftlichen Regeln, lebt umweltbewusst und spricht genderinklusiv. Im Gegensatz zum „Well Respected Man“, der sich ständig hinterfragt und deutlich zeigt, dass er sich seiner männlichen Privilegien bewusst ist, muss sie sich als Frau selbstbewusst und stark geben. Das ist natürlich ein Stereotyp, mit dem ich da spiele.

Würden Sie der These zustimmen, dass die Generation Krokodilstränen zu Verboten neigt? Kein Verbrenner, keine Flüge, kein Fleisch.

Absolut.

Konservative kritisieren diese Verbotsmentalität. Andererseits hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder erst kürzlich das Gendern in Bayern verboten. Ziemlich widersprüchlich.

Es kommt immer darauf an, in welchem Kontext etwas verboten wird. Den Beamten in der Verwaltung oder in Bildungseinrichtungen die ideologisch gefärbte Gendersprache zu verbieten, finde ich legitim. Grundsätzlich besteht aber die Gefahr, dass man als Reaktion auf die woke Ideologie selbst zu repressiven Methoden greift. Das sehe ich kritisch. In Deutschland sind wir davon noch entfernt. Wenn die AfD weiterhin an Stärke gewinnt, könnte es wieder anders aussehen.

Und dann?

Auf lange Sicht könnte die zunehmende Politisierung in eine Art Liberalisierung münden, auch wenn man es vielleicht jetzt noch nicht wahrnimmt.

Die Generation Krokodilstränen emanzipiert sich?

Es wird eine Gegenbewegung geben, im Ansatz kann man das schon jetzt beobachten. Ich treffe auf immer mehr Menschen, die anders denken und den Zeitgeist hinterfragen. Ich denke, dass diese Gruppe wirkmächtiger wird. Repression führt zu Gegenwehr.

Dann haben wir wieder zwei politische Lager, die jeweils den Diskurs bestimmen wollen. Ein niemals endendes Dilemma ...

Damit sich die Fronten nicht noch weiter verhärten, müssen Diskussionen angestoßen werden. Mein Buch ist der Versuch. Wenn man bei der anderen Seite auf Ablehnung stößt, dann darf man sich nicht in eine Ecke drängen lassen. Je mehr Leute sich diesen Diskussionen stellen, desto besser.

Interview: Sophie-Marie Schulz

QOSHE - Pauline Voss: Viele Journalisten „zu wenig machtkritisch und sehr regierungsunterstützend“ - Sophie-Marie Schulz
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Pauline Voss: Viele Journalisten „zu wenig machtkritisch und sehr regierungsunterstützend“

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09.04.2024

Generationenkonflikte sind keine neue Erfindung. Die Babyboomer verstehen die Gen Z nicht und umgekehrt. Diese Vorstellung mag in Teilen zutreffen, doch sie lässt einen entscheidenden Fakt aus – innerhalb der jeweiligen Generation bestehen ebenfalls Konflikte. Nicht alle jungen Menschen sprechen genderinklusiv, fordern die Vier-Tage-Woche und freuen sich über die Cannabis-Legalisierung.

Wird diese Meinungsdiversität nicht mehr akzeptiert, werden Positionen als populistisch und rechts abgetan, dann wird ein Teil der Gesellschaft ausgeschlossen. In ihrem Buch „Generation Krokodilstränen: Über die Machttechniken der Wokeness“ analysiert Pauline Voss diese Entwicklung aus einer kritischen Perspektive. Welches Ziel sie damit verfolgt und wieso sie sich selbst nicht als konservativ bezeichnet, erklärt die Autorin im Gespräch mit der Berliner Zeitung.

Frau Voss, in Ihrem Buch „Generation Krokodilstränen“ beleuchten Sie kulturelle, politische und gesellschaftliche Strukturen. Gibt es einen Bereich, den Sie als besonders relevant erachten?

Am meisten interessieren mich Debatten. Wie sie geführt werden und wie die Machtverhältnisse gestaltet sind. Meiner Meinung nach sind viele Journalisten zu wenig machtkritisch und sehr regierungsunterstützend. Wenn jemand die Regierung kritisiert, wird ihm unterstellt, dass er damit dann auch gleich den Staat kritisiert und am liebsten die Demokratie abschaffen möchte. Alles wird in einen Topf geworfen.

In Ihrem Buch verteidigen Sie konservative Positionen, üben Kritik am Gendern und am Selbstbestimmungsgesetz. Wie fallen die Reaktionen Ihrer Altersgruppe aus?

Positiv. Es gibt viele Leute in meinem Alter, die mir schreiben und sich freuen, dass jemand auch mal Kritik an woken Positionen übt und diese hinterfragt. Das freut mich ehrlich gesagt besonders, weil in unserer Generation Debatten aufgrund einer Einförmigkeit und eines Konformitätszwangs häufig abgeschnitten werden. Und zu dem Begriff konservativ – ich habe lange über diesen Begriff nachgedacht und würde sagen, dass ich zwar konservativ, aber vor allem auch liberal bin. Ich will mir vor allem unterschiedliche Meinungen anhören und überprüfen, welche Ansichten konsistent sind und welche nicht. Ich würde mich selbst nicht als stockkonservativ bezeichnen, aber bin davon überzeugt, dass konservative Positionen wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind.

•gestern

06.04.2024

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Wie meinen Sie das?

Wenn man heutzutage sagt, es gibt Männer und Frauen – also zwei und nicht zwanzig Geschlechter –, dann gilt eine solche Äußerung schon als konservativ. Dabei erkennt man bloß die Biologie an. Früher war diese Haltung gewöhnlich, mittlerweile fällt man damit auf. Das konservative Denken ist abhandengekommen. Andererseits, wenn wir eine gänzlich konservativ ausgerichtete Politik hätten, dann würde ich wahrscheinlich auch Punkte finden, die mir zu weit gehen.

Würden Sie sich nun als konservativ bezeichnen oder nicht?

Als Journalistin ist es nicht am wichtigsten, zu sagen, wer man ist, sondern........

© Berliner Zeitung


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