Ein AfD-Politiker und vier politisch andersdenkende Gäste. Das schreit nach einer hitzigen Debatte. Nach Wortgefechten und einem Moderator, der immer wieder eingreifen muss.

Dass der AfD-Politiker aber selbst zum Moderator wird, den Ton angibt, damit hat an diesem Dienstagabend niemand gerechnet.

„Darf ich auch mal?“, fragt Markus Lanz und schaut den AfD-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla mit großen Augen an. Der ist gerade dabei, sich in Rage zu reden – und nimmt den Moderator kaum wahr. Aber Lanz ist nicht der Einzige, der an diesem Abend mehr Beiwerk und weniger Debattenstifter ist. Denn eigentlich wurden vier Gäste angekündigt. Aber wo sind sie? Warum bekommen sie kaum Redezeit?

Noch bevor die Sendung losgeht, entbrannt auf X, vormals Twitter, eine hitzige Diskussion. Die eine Hälfte der Nutzer prognostiziert eine „unfaire Diskussion“ und einen „Chrupulla, der Lanz hoffentlich zeigen wird, wo es lang geht“. Die andere Hälfte ruft zum „Boykott“ der Sendung auf, bezeichnet Chrupalla als „Nazi“, dem „im ÖRR auch noch der rote Teppich ausgerollt wird“.

Der Teppich bleibt im Schrank. Dennoch begrüßt Markus Lanz den AfD-Politiker mit für ihn ungewöhnlich milden Worten. Er stellt Chrupalla als „Chef einer ernstzunehmenden Kraft“ vor, „die die politische Landschaft im Herbst verändern könnte“. Wenn man den Umfragewerten für die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Glauben schenkt, dann liegt Lanz mit dieser Aussage goldrichtig. Dennoch lässt der Beginn der Sendung erahnen, wie die darauffolgenden 90-Minuten verlaufen werden.

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Der sonst so streitlustige Lanz stimmt an diesem Abend einen anderen Ton an. Um genauer zu sein, verstummt er immer wieder für mehrere Minuten. Seine Moderationskarten legt er zur Seite und zack – Chrupalla nimmt das Zepter in die Hand. In der Sendung rechtfertigt sich Chrupalla und die Politik der AfD. Er erwähnt, dass der Verfassungsschutz zu Unrecht Teile der AfD als rechtsextrem einstuft und nun auch beobachtet. Er moniert, dass Organe des Staates instrumentalisiert werden, um die AfD zu diffamieren. Als die Journalistin Franziska Klemenz Beispiele macht, an welcher Stelle Politiker der AfD sich menschenfeindlich äußerten (zitiert wird etwa Björn Höckes Bezeichnung „Denkmal der Schande“ über das Holocaust-Mahnmal und sein Spiel mit NS-Symbolen), sagt Chrupalla immer wieder, dass das alte Beispiele seien und sich die AfD professionalisiert und gemäßigt hätte. Höcke sei nicht rechtsextrem, er habe sich von vielen seiner Aussagen distanziert. Die AfD stellt Chrupalla als Opfer dar.

Lanz, der eigentlich dafür bekannt ist, seinem Diskussionspartner nach wenigen Sekunden ins Wort zu fallen, gibt sich nach einigen missglückten Versuchen geschlagen. Chrupalla wirkt jetzt ganz harmlos. Das liegt unter anderem auch daran, dass Chrupalla den Spieß umdreht. Sobald Lanz eine Frage stellt, antwortet der AfD-Politiker mit einer Gegenfrage oder redet einfach drauflos. Er stellt dar, dass Politiker der AfD von Linksextremen angegriffen würden, dass der Staat und die Öffentlich-Rechtlichen diese Angriffe akzeptieren würden. Dass auch eine angebliche Attacke auf Chrupalla bei einer Veranstaltung in Ingolstadt von etablierten Kreisen oder den Leitmedien, etwa vom ZDF, heruntergespielt wurde. Lanz weiß nicht, wie er diese Argumente entkräften kann. Der Moderator versucht, Chrupalla und die AfD als demokratiefeindlich zu demaskieren, doch es will ihm nicht richtig gelingen.

Doch plötzlich ist eine andere Stimme als die von Lanz zu hören. Ebenso eine Männerstimme. „Warten Sie nicht schon darauf, als rechtsextrem betitelt zu werden?“ Es gibt sie also doch, die anderen Gäste. Der ostdeutsche Autor Lukas Rietzschel hat das Wort ergriffen und wartet auf eine Antwort. Er deutet an, dass die Etikettierung „rechtsextrem“ dafür eingesetzt werde, um eine Debatte über den Erfolg der AfD zu ersetzen – und dass das gefährlich sei. Chrupalla lacht verschmitzt und setzt erneut zu einem Monolog an. „Das ist interessant“, ergänzt Lanz die Worte des Politikers, der jetzt plötzlich über die Verrohrung der Sprache in Deutschland spricht. Lanz gibt zu, dass auch die AfD Opfer wurde von sprachlichen Entgleisungen, etwa seitens Agnes Strack-Zimmermanns, die die AfD mit einem „Haufen Scheiße“ verglich. „So sollten wir nicht übereinander sprechen“, sagt Lanz. Aber auch nicht wie die AfD, die anderen Parteien und Politikern im Bundestag unterstellt, sie seien voller „Hass für Deutschland“. Franziska Klemenz erinnert daran, dass die AfD Gewalt gegen Flüchtlinge an den Grenzen begrüßt, ausgrenzende Sprache verwendet, aber diese Argumente fallen unter den Teppich. Chrupalla lenkt die Debatte geschickt auf Angriffe gegen die AfD.

In der Ankündigung zur Sendung hieß es, dass Tino Chrupalla an diesem Abend die wirtschaftliche und gesellschaftliche Agenda der AfD erklären wird. Nicht ohne Grund wurde ein weiterer Gast eingeladen, der die Debatte mit seiner Expertise anreichern sollte: CDU-Politiker Claus Ruhe Madsen, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus in Schleswig-Holstein. Er nennt ein Argument, das wirklich verfängt: Die ausländerfeindliche Haltung vieler AfD-Politiker würde das Image von Deutschland als Einwanderungsland beschädigen. Dabei müsse Deutschland um ausländische Facharbeiter werben, um voranzukommen. Doch darauf wird nicht ausreichend eingegangen. Markus Lanz scheint ganz vergessen zu haben, dass neben Chrupalla auch noch andere Gäste in ihren Ohrensesseln sitzen und nur darauf warten, endlich in das Vieraugengespräch einsteigen zu dürfen. Markus Lanz ist die Sendung nicht entglitten. Das ist untertrieben. Er hatte die „Debatte“ zu keinem Zeitpunkt im Griff.

Die Hälfte der Sendung ist vergangen. Markus Lanz stellt plötzlich CDU-Politiker Madsen eine Frage. Das Thema des Abends, die deutsche Wirtschaft, kommt tatsächlich zur Sprache. Zumindest für einige Minuten. Gegen Ende der Sendung gibt Lanz zu: „Heute geht es nur um Sie, Herr Chrupalla.“ Dann stellt sich aber die Frage, wieso auch ein Autor, ein weiterer Politiker und eine Journalistin – ihre Redeversuche wurden von Chrupalla übergangen – eingeladen wurden. Man weiß es nicht.

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Was am Ende bleibt, ist der Versuch von Madsen, eine Art Diskussion zu erzwingen. In diesen Momenten schlüpft der CDU-Politiker in die Rolle des Moderators und stellt Chrupalla kritische Fragen. Der AfD-Politiker gerät nun selbst ins Straucheln. Trotzdem sagt Markus Lanz in diesem Zusammenhang einen Satz, der hängen bleibt: „Sie haben recht, Herr Chrupalla.“ Und das, obwohl Chrupalla auf Nachfragen von Madsen keine Antwort zu haben scheint. Er verstrickt sich in Widersprüche, lenkt ab, redet sich um Kopf und Kragen. Gerade als Chrupalla den Brexit lobt und behauptet, dieser sei ökonomisch gut gewesen für die Briten, kommt er mit Argumenten für seine These nicht weiter.

Der „nette, sympathische Handwerker“, wie Lanz den Bundessprecher der Alternative für Deutschland nennt, wird aber erst viel zu spät mit seinen offensichtlichen Wissenslücken mit Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge konfrontiert. Die Zeit ist um. Und Lanz? Der schließt die Sendung mit den glorreichen Worten: „Hab viel gelernt heute. Es war der Versuch, differenziert zu sein.“

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Markus Lanz gibt sich geschlagen: „Heute geht es nur um Sie, Herr Chrupalla“

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Der sonst so streitlustige Lanz........

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