Eigentlich wollte Finanzminister Christian Lindner mit Jugendlichen über Demokratie sprechen. Er wollte die Fragen der jungen Menschen beantworten und, wie es sich für einen Politiker gehört, den ein oder anderen Lösungsvorschlag unterbreiten. Doch einige von ihnen wollen davon nichts wissen. Sie wollen lieber das Patriarchat stürzen und den Kapitalismus gleich mit.

Und was ist mit Lindners Bestreben, mehr Kitaplätze zu schaffen und die Ganztagsbetreuung bundesweit auszubauen? Zumindest dieser Vorschlag sollte bei jungen Menschen, für die die Gleichstellung von Frau und Mann einer der wichtigsten Themen der Gegenwart ist, gut ankommen. Aber nein. Wer sein Kind in einer Kita unterbringt, der „schiebt es ab.“

Auf dem Demokratiefestival „Generation Germany“ im Estrel Berlin prallen zwei Welten aufeinander. Und zwei Generationen. Lindern und SPD-Chefin Saskia Esken sitzen an diesem Tag nicht auf einer hell erleuchteten Bühne und liefern sich einen politischen Schlagabtausch. Der kleine Raum, in dem die beiden Politiker Platz genommen haben, ist klein und ungemütlich.

Ihnen gegenüber sitzen 40 junge Menschen im Alter von 16 bis 24. Die Jugendlichen sind aber nicht gekommen, um Lindner und Esken Fragen zu stellen. Sie stellen Forderungen. Nicht eine, zwei oder drei. Die Wählerschaft von morgen hat klare Vorstellungen und davon ganz viele. Care-Arbeit, damit ist die Erziehung und Betreuung eines Kindes gemeint, soll in Zukunft bezahlt werden.

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Zumindest wenn es nach einer Gruppe von Jugendlichen geht, die zu Beginn der „Podiumsdiskussion“ ihre erarbeiteten Maßnahmen vorstellen. Bis heute „entscheiden herrschende Genderrollen“ darüber, ob eine Frau oder ein Mann in Elternzeit geht, erklärt ein Mädchen. Sie stört sich auch daran, dass Frauen weiterhin mit „Puppen und Jungs mit Autos spielen.“ Die Lösung? Das „Patriarchat und den Kapitalismus“ stürzen. Zudem soll endlich das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt werden, welches die Frauen finanziell unabhängig macht.

Eine andere Gruppe übernimmt das Mikro und lässt etwas Milde walten. „Wir möchten Kinderkriegen wieder bezahlbar machen“, sagt ein Junge und schlägt vor, Kitaplätze kostenlos zur Verfügung zu stellen. Was er nicht sagt – es fehlen bereits jetzt fast eine halbe Million Plätze. Tendenz steigend.

Christian Lindner hat den Gruppen aufmerksam zugehört und öffnet den Mund. Doch er darf nicht antworten. Saskia Esken ist als Erste an der Reihe. „Meine tiefe Bewunderung, dass ihr euch mit einem solchen Thema auseinandergesetzt habt“, sagt Esken. Ihrer Meinung nach muss der Arbeitsmarkt neu strukturiert werden, sodass Frauen schneller in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden und nicht für die nächsten Jahre in der Teilzeitschleife gefangen sind.

Für diese Antwort erntet Esken keinen Beifall, aber auch keine Buh-Rufe. „Da haben die Funken geschlagen“, sagt Lindner und durchbricht die Stille. Damit bezieht er sich nicht auf die Antwort seiner Vorrednerin, sondern auf die Antikapitalismus-Rede des Mädchens. „Es hat sich einiges getan, aber wir sind noch nicht so gut, wie wir sein sollten“, sagt er. Gleiche Arbeitschancen für Frauen und Männer gibt es laut Lindner erst, wenn genug Ganztagsstätten zur Verfügung stehen. Das Grundeinkommen könne die bestehenden Probleme nicht lösen.

Auch auf seine Rede folgen vorerst keine Reaktionen. „Ist es nicht möglich, dass wir noch Feedback bekommen?“, erkundigt er sich. Doch der Moderator winkt ab. Esken hat noch einen Termin und keine Zeit für ausschweifende Diskussionen. „Dann reden wir einfach später nochmal darüber“, sagt Lindner und blickt in Richtung der Grundrechtsverfechter.

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Anschließend folgen zwei weitere Themenblöcke – Klimaschutz und Religion. Die Jugendlichen sprechen sich für eine Besteuerung von Luxusartikeln, Flugreisen und Genussmitteln aus. Klimaschädliches Handeln soll sanktioniert werden. Die Frage, ob christliche Feiertage durch türkische ersetzt werden, beantworten beide Gruppen mit Nein. In Zukunft sollte man an Feiertagen aber nicht mehr „eine Religion feiern, sondern die Menschheit.“

Nach einer kurzen Rückmeldung beider Politiker muss Esken auch schon los. Christian Lindner lässt die Debatte rund um die Gleichberechtigung und Kitaplätze aber nicht los. Umringt von Jugendlichen, steht er in der Mitte des Raums und diskutiert angeregt mit ihnen. „Wenn man Kinder nach der Geburt in einer Kita unterbringt, dann gleicht das einer Abschiebung“, sagt ein blondes Mädchen.

Der Finanzminister ringt sichtlich nach Worten und entgegnet: „Das ist keine Abschiebung, sondern eine Bereicherung.“ Tageseinrichtungen helfen bei der Entwicklung sozialer Kompetenzen, so Lindner. Zudem sehe er in der Bezahlung von Care-Arbeit ein großes Problem und außerdem gibt es ja bereits finanzielle Unterstützung in Form von Kindergeld. Ob Christian Lindner die junge Wählerschaft für seine Partei gewinnen konnte, wird sich zeigen. Spätestens bei der Europawahl.

QOSHE - Lindner auf Demokratiefestival: „Das ist keine Abschiebung, sondern eine Bereicherung“ - Sophie-Marie Schulz
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Lindner auf Demokratiefestival: „Das ist keine Abschiebung, sondern eine Bereicherung“

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16.03.2024

Eigentlich wollte Finanzminister Christian Lindner mit Jugendlichen über Demokratie sprechen. Er wollte die Fragen der jungen Menschen beantworten und, wie es sich für einen Politiker gehört, den ein oder anderen Lösungsvorschlag unterbreiten. Doch einige von ihnen wollen davon nichts wissen. Sie wollen lieber das Patriarchat stürzen und den Kapitalismus gleich mit.

Und was ist mit Lindners Bestreben, mehr Kitaplätze zu schaffen und die Ganztagsbetreuung bundesweit auszubauen? Zumindest dieser Vorschlag sollte bei jungen Menschen, für die die Gleichstellung von Frau und Mann einer der wichtigsten Themen der Gegenwart ist, gut ankommen. Aber nein. Wer sein Kind in einer Kita unterbringt, der „schiebt es ab.“

Auf dem Demokratiefestival „Generation Germany“ im Estrel Berlin prallen zwei Welten aufeinander. Und zwei Generationen. Lindern und SPD-Chefin Saskia Esken sitzen an diesem Tag nicht auf einer hell erleuchteten Bühne und liefern sich einen politischen Schlagabtausch. Der kleine Raum, in dem die beiden Politiker Platz genommen haben, ist klein und ungemütlich.

Ihnen gegenüber sitzen 40 junge Menschen im Alter von 16 bis 24. Die Jugendlichen sind aber nicht gekommen, um Lindner und Esken Fragen zu stellen. Sie stellen Forderungen. Nicht eine, zwei oder drei. Die Wählerschaft von morgen hat klare Vorstellungen und davon........

© Berliner Zeitung


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