Konservativ, religiös und der verlängerte Arm des türkischen Präsidenten Erdogan – mit diesen Worten wird die politische Vereinigung Dava, ausgeschrieben „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“, von Kritikern beschrieben.

Die Gruppierung will bald eine Partei werden. Manche sprechen sogar von einer „türkischen AfD“, die nicht nur bei der Europawahl in diesem Jahr, sondern auch bei den Bundestagswahlen 2025 antreten wolle.

Ist diese Sorge begründet? Und was ist wirklich dran an der Unterstellung, der Dava-Chef Teyfik Özcan agiere als Erdogans Handlanger? Eren Güvercin, Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und stellvertretender Bundesvorsitzender des FDP-nahen Vereins Liberale Vielfalt, gibt Entwarnung. Aber nur in einem Punkt. Denn die Verbindung der Partei in die Türkei sei nicht zu unterschätzen, wie Güvercin im Gespräch mit der Berliner Zeitung erklärt.

Nach eigenen Angaben will sich Dava für die Rechte von in Deutschland lebenden ethnischen und religiösen Minderheiten einsetzen. „Wir sind momentan eine politische Vereinigung, aber es ist längerfristig geplant, Dava in eine Partei umzuwandeln“, sagt der Bundesvorsitzende Özcan im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Dava wolle sich vorerst auf die Europawahl konzentrieren. Das sei aber nur der Anfang, betont der Bundesvorsitzende: „Wir gehen momentan davon aus, dass wir zur Bundestagswahl im kommenden Jahr antreten werden.“ Dieser Optimismus ergibt sich für Özcan aus dem seiner Ansicht nach großen Wählerpotenzial für seine Partei. „Da liegen wir bei fünf Millionen potenziellen Wählern, ohne autochthone Deutsche dazuzuzählen“, erklärt er.

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Eren Güvercin ist da anderer Meinung. Özcan unterschätze, wie heterogen die türkische Community in Deutschland sei: „Dava wird Probleme haben, die türkische Community als Ganzes anzusprechen“.

Laut Güvercin versucht Dava aber nicht nur türkischstämmige Wähler zu finden – Ziel sei die gesamte migrantische Community. Gleichzeitig gibt Güvercin zu bedenken: „Wenn wir uns allerdings die Kandidaten anschauen, die für die Europawahl angekündigt wurden, dann sind das alles türkischstämmige Menschen mit einem türkisch-nationalistischen und islamistischen Background.“ Denn nicht nur dem Bundesvorsitzenden Teyfik Özcan wird eine Nähe zu Erdogan nachgesagt.

Es sei nicht realistisch, so Güvercin weiter, das Wählerpotenzial von Dava „anhand der Zahl der in Deutschland lebenden Muslime oder Türken zu berechnen“. Die neue Gruppe werde „in erster Linie“ das islamistisch und türkisch-nationalistisch geprägte Milieu erreichen.

Auf der Liste, die Dava für die Europawahl in diesem Spätsommer eingereicht hat, ist auch der Name Ali Ihsan Ünlü zu finden. Ünlü ist der ehemalige Generalsekretär des türkischen Islamverbandes Ditib, welcher direkt der türkischen Religionsbehörde Diyanet untersteht. „Diese Männer sind alle keine unbeschriebenen Blätter“, sagt Güvercin im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Es gibt Einflussnahmeversuche aus der Türkei, und das nicht erst mit Dava. Auf religiöser Ebene ist Ditib ein Paradebeispiel dafür. Aber auch auf politischer Ebene findet das statt, mithilfe von Organisationen und Verbänden.“

Özcan weist alle Vorwürfe von sich und sagt gegenüber dem RND: „Wir haben keinen Kontakt zur Erdogan-Regierung oder zu anderen ausländischen Regierungen.“ Eine Aussage, die Güvercin nicht überrascht. Es sei nachvollziehbar, dass „Dava jeden Bezug zu Erdogan“ abstreite. Sobald man jedoch einen Blick auf den Bundesvorsitzenden der Partei werfe, sei das Bild klarer. „Er verteidigt seit Jahren bei jeder Gelegenheit Erdogans Politik, die die Demokratie und den Rechtsstaat in der Türkei ausgehöhlt hat. Er bezeichnet den Armenier-Genozid als ‚Mythos‘“, führt Güvercin aus.

Eine ähnliche ideologische Ausrichtung erkennt Güvercin auch bei den Europa-Kandidaten von Dava: Sie seien „ausnahmslos Propagandisten von Erdogans Politik“, sagt er. „Wie klar müssen sich die Führungspersönlichkeiten denn noch positionieren? Sie werden es abstreiten, und trotzdem ist klar, dass eine Verbindung zur AKP und zu Erdogan besteht“, so Güvercin.

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Ist die Aussage des Grünen-Politikers und Vorsitzenden der Türkisch-Deutschen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag, Max Lucks, der Dava als eine „türkische Version der AfD“ bezeichnete, also begründet?

„Ich würde Dava nicht als türkische AfD bezeichnen. Es gibt Punkte, die von der ideologischen Ausrichtung ähnlich sind“, sagt Güvercin. Auch wenn Parallelen zu erkennen seien, sei der „Vergleich etwas unglücklich.“ Er fügt hinzu, dass er „das Thema nicht kleinreden“, aber auch nicht das Gefühl vermitteln wolle, dass Dava im nächsten Jahr in den Bundestag einziehen könnte. „Das ist eher utopisch“, sagt er.

Seiner Meinung nach wird Dava nicht in der Lage sein, derart professionelle Parteistrukturen aufzubauen, um auf Landes- und Bundesebene eine Rolle spielen zu können. Auf kommunaler Ebene, vor allem in Ballungsräumen, könnte sie jedoch eine Anhängerschaft finden. Diese Entwicklung, dass eine türkische Partei sich möglicherweise in Deutschland etablieren wird – wenn auch nur im Kleinen – sollte man trotzdem nicht aus den Augen verlieren, so Güvercin.

Eren Güvercin appelliert an „alle demokratischen Parteien“ und ruft diese dazu auf, sich zwei Fragen zu stellen: „Warum kann Erdogan emotional diese Menschen erreichen, die zum großen Teil in dritter oder vierter Generation in Deutschland leben? Und warum schaffen wir es nicht, diese Menschen dazu zu motivieren, sich in demokratischen Parteien in Deutschland zu engagieren, sie von den Werten unserer liberalen Demokratie zu überzeugen?“

Die Gesellschaft und die Parteien müssten die neue Entwicklung ernst nehmen, so Güvercin weiter. „Ob uns das gefällt oder nicht, das hat Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben hier in Deutschland. Wir haben lange die Einflussnahme aus Russland ignoriert und dann ein böses Erwachen erlebt. Das sollte und darf nicht noch mal passieren.“

QOSHE - Kandidaten mit islamistischem Hintergrund: Steckt Erdogan hinter der neuen Dava-Partei? - Sophie-Marie Schulz
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Kandidaten mit islamistischem Hintergrund: Steckt Erdogan hinter der neuen Dava-Partei?

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03.02.2024

Konservativ, religiös und der verlängerte Arm des türkischen Präsidenten Erdogan – mit diesen Worten wird die politische Vereinigung Dava, ausgeschrieben „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“, von Kritikern beschrieben.

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Ist diese Sorge begründet? Und was ist wirklich dran an der Unterstellung, der Dava-Chef Teyfik Özcan agiere als Erdogans Handlanger? Eren Güvercin, Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und stellvertretender Bundesvorsitzender des FDP-nahen Vereins Liberale Vielfalt, gibt Entwarnung. Aber nur in einem Punkt. Denn die Verbindung der Partei in die Türkei sei nicht zu unterschätzen, wie Güvercin im Gespräch mit der Berliner Zeitung erklärt.

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