Die „Glitzerstation“ im Ballhaus ist hoch frequentiert. Erst die Kinder, dann die Eltern – es liegt nicht nur gute Laune, sondern auch eine ordentliche Portion Glitzer in der Luft. „Papa will auch“, sagt eines der Kinder und schiebt seinen Vater nach vorne. Dieser nimmt auf einem roten Barhocker Platz und lächelt verschmitzt. In den Händen hält er eine Regenbogenfahne.

Dann betritt der Star des Nachmittags die Räumlichkeiten: Dragqueen Freya von Kant. „Seid ihr alle für meine Lesung gekommen?“, fragt sie die Kinder, sie sind zwischen vier und neun Jahre alt. Die nicken. Dass die Veranstaltung bei der Polizei angemeldet wurde, wissen die kleinen Gäste nicht.

Das deutsch-türkisches LGBTQ+ Theaterfest findet zum ersten Mal in Berlin statt. Vor Beginn der Dragqueen-Lesung zieht Lukas, ein am Ballhaus angestellter Schauspieler, eine positive Bilanz. „Es gab keine Protestaktionen oder sonstige Vorkommnisse, das Festival war wirklich ein voller Erfolg.“

Dass Bedenken und Vorsichtsmaßnahmen keinesfalls übertrieben sind und die Anmeldung bei der Polizei nur der eigenen Sicherheit dient, weiß Freya von Kant, seit sie im vergangenen Jahr in Wien aufgetreten ist. Im April 2023 wurde eine Lesung der Dragqueen zum Politikum. Damals demonstrierten mehr als 100 Personen vor dem Vorlesungsgebäude, riefen rechtsextreme Parolen und versuchten Eltern mit Kindern davon abzuhalten, die Veranstaltung zu besuchen.

•gestern

•gestern

•vor 10 Min.

•gestern

•vor 8 Std.

„Es war unglaublich beklemmend“, erzählt Freya im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Im Alltag trägt sie keine pinken Kleider, pfirsichfarbenen Nagellack und pinken Lippenstift. Denn Freya ist keine Transperson, sondern eine Dragqueen. Angesichts der Vielzahl an Begriffen und Formen von Geschlechtsidentitäten kann man schon mal den Überblick verlieren.

Wenn von Kant eine Lesung gibt, dann „schlüpft sie in eine Rolle“, trägt Make-up und eine Perücke. Die meiste Zeit geht sie aber als Mann durch die Welt und arbeitet als Pädagoge. Und wieso macht sie das? „Es macht mir einfach unglaublich viel Spaß, und ich hätte mir als Kind gewünscht, dass es solche schrillen und bunten Persönlichkeiten wie mich gibt.“

Gegner solcher Lesungen kritisieren eine „Frühsexualisierung von Kleinkindern.“ Die Vermutung der Kritiker: Den Kindern würde vermittelt, dass es keine Geschlechter gibt. Mädchen würde beigebracht, dass sie nur noch Latzhosen tragen und Jungs sich die Fingernägel lackieren sollen. Und am Anfang würden alle Teilnehmer ihre Pronomen aufzählen, das versteht sich ja von selbst.

Auf Friedhofstour durch Berlin: Grüne Oasen der Ruhe im Hauptstadtlärm

heute

Tourismus: Neuer Besucherrekord in Brandenburg

vor 3 Std.

Diese klischeehafte Darstellung entspricht nicht der Realität. Zumindest dann nicht, wenn Freya von Kant die „Drag Story Time for Kids“ veranstaltet. Die Worte Gender, Sexualität oder Identität fallen kein einziges Mal. Auch die eigene Sexualität der Dragqueen oder einer anderen Person wird nicht thematisiert. Es scheint fast so, als würden die Kinder nicht mal bemerken, dass Freya eigentlich ein Mann ist. Oder anders gesagt, es ist ihnen schlichtweg egal.

Dem bayerischen AfD-Landesverband war das aber nicht egal. Nach der Lesung in Wien kochte das Thema so richtig hoch. Es wurden Plakate mit der Aufschrift „Hände weg von unseren Kindern! Genderpropaganda verbieten“ aufgehängt. Die AfD warnte davor, dass die kleinen Gäste während der Lesung „physischen Belastungen“ ausgesetzt sind.

Im Ballhaus kommt Bewegung in die zwölf Kinder, und Freya beginnt ihre Märchengeschichte zu erzählen. Eine Prinzessin hat ihren eigenen Kopf, will nicht länger im Schloss versauern und auf einen Prinzen warten, der sie rettet. Mit einem Müllsack bekleidet verlässt sie das Schloss und erlebt Abenteuer. Selbstliebe und Unabhängigkeit – diese Werte vermittelt Freya von Kant den Kindern. Was ist falsch daran?

Mit weit geöffnetem Mund hängen die Kinder an den Lippen der Dragqueen. Freya ist ganz in ihrem Element. Die Lesung gleicht einer Bühnenshow, einer Performance. Nach knapp einer Stunde schließt die Dragqueen ihr grünes Märchenbuch und verabschiedet sich. Die Bedenken der Kritiker kann Freya nicht nachvollziehen: „Ich habe Gesprächsanfragen an Politiker verschickt und deutlich gemacht, dass man darüber reden kann.“ Eine Antwort habe sie nie erhalten.

QOSHE - Dragqueen liest auf deutsch-türkischem Festival: Vorstellung und Realität liegen weit auseinander - Sophie-Marie Schulz
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Dragqueen liest auf deutsch-türkischem Festival: Vorstellung und Realität liegen weit auseinander

17 1
18.03.2024

Die „Glitzerstation“ im Ballhaus ist hoch frequentiert. Erst die Kinder, dann die Eltern – es liegt nicht nur gute Laune, sondern auch eine ordentliche Portion Glitzer in der Luft. „Papa will auch“, sagt eines der Kinder und schiebt seinen Vater nach vorne. Dieser nimmt auf einem roten Barhocker Platz und lächelt verschmitzt. In den Händen hält er eine Regenbogenfahne.

Dann betritt der Star des Nachmittags die Räumlichkeiten: Dragqueen Freya von Kant. „Seid ihr alle für meine Lesung gekommen?“, fragt sie die Kinder, sie sind zwischen vier und neun Jahre alt. Die nicken. Dass die Veranstaltung bei der Polizei angemeldet wurde, wissen die kleinen Gäste nicht.

Das deutsch-türkisches LGBTQ Theaterfest findet zum ersten Mal in Berlin statt. Vor Beginn der Dragqueen-Lesung zieht Lukas, ein am Ballhaus angestellter Schauspieler, eine positive Bilanz. „Es gab keine Protestaktionen oder sonstige Vorkommnisse, das Festival war wirklich ein voller Erfolg.“

Dass Bedenken und Vorsichtsmaßnahmen keinesfalls übertrieben sind und die Anmeldung bei der Polizei nur der eigenen Sicherheit........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play