Wenn man an Potsdam denkt, dann hat man die historische Altstadt vor Augen. Glamour und Geld. Wo lässt es sich besser flanieren? So hip und cool wie Berlin ist es vielleicht nicht, war es aber mal. Denn die Landeshauptstadt hat sich nach der Wende ganz schön verändert. Die Hausbesetzer sind verschwunden und DDR-Funktionsbauten ebenfalls. Zumindest größtenteils. Das Vergangene wäre längst vergessen, wäre da nicht eine Ausstellung in der Nikolaikirche, die ein Stück von gestern wieder ins Bewusstsein ruft.

Der Namen der Ausstellung – „Potsdam früher und heute“ – lässt schon darauf schließen, was die Besucher der kleinen Ausstellung im Inneren der Nikolaikirche erwartet. In mehreren Serien hat der Fotograf Rüdiger Frigge seine Wahlheimat „systemisch“ festgehalten. Über mehrere Jahre hinweg.

Erst mit einer Analogkamera, dann mit einem modernen Exemplar, zog und zieht Frigge durch die Straßen. Die Idee, seine Fotografien aus den 90ern mit aktuellen Pendants zu kombinieren, kam spontan. Erst als er die analogen Bilder entwickeln ließ, dachte er sich: „Die Stadt hat sich unglaublich verändert.“ Also schnappte er sich erneut seine Kamera und kehrte an die Orte zurück, die ihn nach der Wende besonders fasziniert haben.

Einer dieser Orte ist die Pfingstkirche. Das rote Backsteingebäude hatte viele Jahre keinen Eingang, da es direkt an das Hochsicherheitsgebiet grenzte. Von der Straße aus konnte man nur die roten Spitzen der Kirche erkennen. Der Blick auf die Frontseite des Gebäudes war durch eine etwa vier Meter hohe Betonmauer versperrt. „Ganz in der Nähe wohnte ein Freund von mir“, erzählt Frigge und so fuhr er immer wieder an der Kirche ohne Eingang vorbei.

gestern

gestern

•vor 3 Std.

Der Fotograf hielt diesen Zustand im Jahr 1995 fest. Das zweite Foto – es wurde an der identischen Stelle aufgenommen – zeigt ein auf den ersten Blick ganz anderes Gebäude. Die graue Mauer ist verschwunden. Die Sonne scheint durch die schmalen Metallgitter in den Vorgarten der Pfingstkirche. „Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie das hier war“, sagt Frigge.

Preise für das Weltpressefoto 2024 vergeben

18.04.2024

Caspar David Friedrich und die deutsche Begeisterung

17.04.2024

Heute kommt Potsdam prunkvoll daher, der edle Bruder zur heruntergekommenen Schwester Berlin. Doch vor einigen Jahren war es genau andersherum. Da war Potsdam grau. Die Altstadt unsaniert. In der Gutenbergstraße hausten Hausbesetzer, die 1993 gewaltsam von der Polizei vertrieben wurden. Damals brannte das Gebäude fast vollständig ab, heute steht es unversehrt an der Straßenecke und passt perfekt in das Stadtbild. Nichts erinnert mehr an den Häuserkampf.

Von der DDR-Architektur hat sich Potsdam ebenfalls fast vollständig gelöst. Manche Gebäude blieben länger stehen, andere wurden schnellstmöglich entfernt, beispielsweise das Theater am Alten Markt. Am 1. September 1989 wurde der Grundstein gelegt und mehr als 17 Millionen Mark investiert. Doch im Herbst 1991 entschied man sich dazu, das riesige Stahlbetongebäude dem Erdboden gleichzumachen. Frigge hat diesen Prozess festgehalten. Wie ein graues Ungetüm ragte der Bau, der sich in unmittelbarer Nähe zur Nikolaikirche befand, in die Höhe.

„Man kann mit Sicherheit auch über Sinn und Unsinn dieser Architektur streiten“, sagt Frigge und deutet auf ein Foto, auf dem ein weiterer DDR-Funktionsbau zu sehen ist: die ehemalige Fachhochschule. Er hätte sich gewünscht, dass man nicht so rigoros vorgegangen wäre, dem ein oder anderem Gebäude ein zweites Leben geschenkt und nicht gleich abgerissen hätte. „Diese Zeit ist auch ein Teil der architektonischen Geschichte Potsdams, oder nicht?“, fügt er hinzu.

Lindau: Ausstellung mit Werken von Christo und Jeanne-Claude

13.04.2024

Erst im hohen Alter gefeiert: Zum Tod der Künstlerin Faith Ringgold

15.04.2024

Neben den Vergleichsbildern sind aber auch Fotos zu sehen, die Postkarten-Charakter aufweisen. Schloss Sanssouci, Bellevue oder die Alte Mühle. Auch zu diesen Bildern hat der Fotograf etwas zu erzählen, schwärmt von der Vielseitigkeit der Stadt. Doch sobald er sich wieder den historischen Aufnahmen zuwendet, sprudelt es aus ihm heraus. Man merkt, dass Frigge sich vor seinen inneren Augen an die Orte begibt, die er vor vielen Jahren aufgenommen hat und die heute ganz anders aussehen.

Einige Fotografien haben noch kein Gegenstück. Bisher hängen sie alleine an der Wand des Ausstellungssaals in der Nikolaikirche. „Sobald diese Häuserzeile fertiggestellt ist, mache ich ein aktuelles Bild“, sagt der Fotograf und deutet auf eines seiner Bilder.

Wenn man die Ausstellung und damit die herrschaftliche Nikolaikirche verlässt und auf die noch herrschaftlicheren Gebäude gegenüber blickt, dann denkt man an das, was man gerade auf den Fotografien von Rüdiger Frigge gesehen hat. An das Potsdam von früher, mit seinem heruntergekommenen Charme. Wo früher besetzt wurde, wird heute flaniert.

Potsdam früher und heute. Nikolaikirche Potsdam, Am Alten Markt, 14467 Potsdam, Mo 9.30–13 Uhr, Di–Sa 9.30–17 Uhr, So 11–17 Uhr, freier Eintritt. Bis 11. Mai.

QOSHE - Diese Ausstellung bietet eine fotografische Zeitreise: Potsdam, wie es einmal war - Sophie-Marie Schulz
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Diese Ausstellung bietet eine fotografische Zeitreise: Potsdam, wie es einmal war

9 1
22.04.2024

Wenn man an Potsdam denkt, dann hat man die historische Altstadt vor Augen. Glamour und Geld. Wo lässt es sich besser flanieren? So hip und cool wie Berlin ist es vielleicht nicht, war es aber mal. Denn die Landeshauptstadt hat sich nach der Wende ganz schön verändert. Die Hausbesetzer sind verschwunden und DDR-Funktionsbauten ebenfalls. Zumindest größtenteils. Das Vergangene wäre längst vergessen, wäre da nicht eine Ausstellung in der Nikolaikirche, die ein Stück von gestern wieder ins Bewusstsein ruft.

Der Namen der Ausstellung – „Potsdam früher und heute“ – lässt schon darauf schließen, was die Besucher der kleinen Ausstellung im Inneren der Nikolaikirche erwartet. In mehreren Serien hat der Fotograf Rüdiger Frigge seine Wahlheimat „systemisch“ festgehalten. Über mehrere Jahre hinweg.

Erst mit einer Analogkamera, dann mit einem modernen Exemplar, zog und zieht Frigge durch die Straßen. Die Idee, seine Fotografien aus den 90ern mit aktuellen Pendants zu kombinieren, kam spontan. Erst als er die analogen Bilder entwickeln ließ, dachte er sich: „Die Stadt hat sich unglaublich verändert.“ Also schnappte er sich erneut seine Kamera und kehrte an die Orte zurück, die ihn nach der Wende besonders fasziniert haben.

Einer dieser Orte ist die........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play