Der Countdown läuft: In knapp vier Wochen, am 9. Juni, sind etwa 400 Millionen Menschen in der Europäischen Union dazu angehalten, ihre Stimme bei der Europawahl abzugeben. Der Wahlkampf ist auch in Berlin in vollem Gange. Parteien setzen vermehrt auf soziale Medien, um eine möglichst junge Zielgruppe zu erreichen. Kürzlich eröffneten gleich mehrere Politiker, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz, einen Account auf der Videoplattform TikTok.

Der Grund dafür liegt auf der Hand – das Wahlalter wurde heruntergesetzt. Jugendliche, die bis einschließlich des Wahltags das 16. Lebensjahr erreichen, dürfen ihre Stimme abgeben. Aber sind den Jugendlichen lustige Videos und bunte Plakate wirklich wichtig? Nutzen sie Online-Angebote wie den Wahl-O-Mat? Wie entscheiden sie, wem sie ihre Stimme geben? Die Berliner Zeitung hat mit vier Erstwählern gesprochen.

Für den 16-jährigen Tim ist die diesjährige Europawahl nicht nur eine Premiere, sondern auch ein Ereignis, das „wichtig“ ist. Eine wählbare Partei zu finden, ist für ihn „gerade aber ziemlich schwierig“. Man müsse sich in all diese „unterschiedlichen politischen Meinungen einfinden und vor allem das Richtige für einen selbst finden“. Sich einen Überblick zu verschaffen, die Parteiprogramme der Parteien zu studieren und Tools wie den Wahl-O-Mat zu nutzen, helfe ihm bei der Suche.

Die zuletzt genannte Anwendung – der Wahl-O-Mat – feierte heute im Europäischen Haus in Berlin ebenfalls seine Premiere. Zumindest mit Blick auf die Europawahl 2024. Denn „neu“ ist das erstmals 2002 veröffentlichte Online-Tool keinesfalls. Nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB), dem Betreiber der Wahlentscheidungshilfe, wurde das Tool seit Bestehen über 115 Millionen Mal benutzt.

Mit dem Werbespruch „Finde jetzt dein Match für Europa“, der eher an den Slogan einer bekannten Dating-App erinnert, wollen die Macher des Tools eine möglichst breite Zielgruppe erreichen. Das sagt zumindest Stefan Marshall, der bei der Konzeption der Wahlhilfe beteiligt war, gegenüber der Berliner Zeitung. Aber wie kommt die Anwendung bei den jungen Leuten wirklich an? Orientieren sie sich am Ergebnis, das nach Beantwortung der 38 Fragen ausgespuckt wird?

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Im Gespräch mit der Berliner Zeitung betont Tim immer wieder, dass ihm die Wahlentscheidung nicht leichtfällt. Das liegt vor allem daran, dass die potenzielle Partei seiner Wahl auch Ziele verfolgt, die nicht seinem Meinungsbild entsprechen: „Dann wird es irgendwann schwierig, abzuwägen, wie und welche Entscheidung man treffen sollte.“

Angesprochen auf die Wahl eines spezifischen Themas, das dem Erstwähler besonders wichtig ist, muss dieser nicht lange nachdenken: „Der Klimaschutz, denn dieser wird vor allem in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen.“ Aber es gibt noch einen zweiten Punkt, der für Tim von Bedeutung ist – „dass wir nicht zu rechts werden“.

Melanie, ebenfalls Erstwählerin und 17 Jahre alt, ist ähnlich eingestellt. Ihre Stimme wird die Partei bekommen, „die sich für Gerechtigkeit, Chancengleichheit und die Demokratie einsetzt“. Auch ihre gleichaltrige Mitschülerin Mia nennt „Gleichberechtigung und Klimapolitik“ als bedeutendste Themen unserer Zeit. In diesem Punkt, hinsichtlich der politischen Ausrichtung, sind sich die Jugendlichen also einig. Und noch etwas fällt im Gespräch auf – alle drei sind zum ersten Mal in der Schule mit dem Wahl-O-Mat in Kontakt gekommen.

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Mia erzählt, dass sie im Politikunterricht gemeinsam mit ihren Lehrern das Online-Tool ausprobiert haben. Schon damals, obwohl sie nicht wählen durfte, hat ihr der Wahl-O-Mat dabei geholfen, „sich über verschiedene Wahlprogramme zu informieren und einen Überblick zu verschaffen“. Für die Wahl ausschlaggebend ist das Ergebnis aber nicht. Vielmehr gibt es den Jugendlichen laut eigener Aussage eine Orientierung. „Eine einzelne Quelle reicht auf jeden Fall nicht aus“, so Tim.

Deutlich skeptischer als die anderen ist der 18 Jahre alte Matthias. Er hat den Wahl-O-Mat „schon öfters ausprobiert“. Dabei ist ihm aufgefallen, dass am Ende „irgendwie immer eine unterschiedliche Partei“ angezeigt wird. Dementsprechend wird er sich auch nicht am jeweiligen Ergebnis orientieren. Zudem sei ihm die Teilnahme an der Europawahl sowieso „nicht so wichtig“, sagt er. Eine Haltung, die Tim nicht nachvollziehen kann.

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„Natürlich akzeptiere ich es, wenn jemand nicht wählt oder sich nicht dafür interessiert; ich kann aber nicht sagen, dass ich es richtig finde“, sagt Tim. Wer seine Stimme einer „scheiß Partei“ gibt oder gar nicht wählen geht, der wird am Ende „vielleicht den Parteien noch mehr Macht geben, die man persönlich nicht richtig findet“. Zumindest für drei der vier befragten Jugendlichen steht fest, dass sie am 9. Juni im Wahllokal ihre Stimme abgeben werden.

Ebenfalls interessant – alle Jugendlichen sagten im Gespräch, dass sie keinen großen Wert auf die Plakatierung und die Social-Media-Kampagnen der Parteien legen. Familie, Freunde und Diskussionen im Politikunterricht werden von allen vier Erstwählern als ausschlaggebende und meinungsbildende Quellen genannt.

QOSHE - 16-jähriger Erstwähler: „Es ist gerade schwer, eine wählbare Partei zu finden“ - Sophie-Marie Schulz
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16-jähriger Erstwähler: „Es ist gerade schwer, eine wählbare Partei zu finden“

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07.05.2024

Der Countdown läuft: In knapp vier Wochen, am 9. Juni, sind etwa 400 Millionen Menschen in der Europäischen Union dazu angehalten, ihre Stimme bei der Europawahl abzugeben. Der Wahlkampf ist auch in Berlin in vollem Gange. Parteien setzen vermehrt auf soziale Medien, um eine möglichst junge Zielgruppe zu erreichen. Kürzlich eröffneten gleich mehrere Politiker, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz, einen Account auf der Videoplattform TikTok.

Der Grund dafür liegt auf der Hand – das Wahlalter wurde heruntergesetzt. Jugendliche, die bis einschließlich des Wahltags das 16. Lebensjahr erreichen, dürfen ihre Stimme abgeben. Aber sind den Jugendlichen lustige Videos und bunte Plakate wirklich wichtig? Nutzen sie Online-Angebote wie den Wahl-O-Mat? Wie entscheiden sie, wem sie ihre Stimme geben? Die Berliner Zeitung hat mit vier Erstwählern gesprochen.

Für den 16-jährigen Tim ist die diesjährige Europawahl nicht nur eine Premiere, sondern auch ein Ereignis, das „wichtig“ ist. Eine wählbare Partei zu finden, ist für ihn „gerade aber ziemlich schwierig“. Man müsse sich in all diese „unterschiedlichen politischen Meinungen einfinden und vor allem das Richtige für einen selbst finden“. Sich einen Überblick zu verschaffen, die Parteiprogramme der Parteien zu studieren und Tools wie den Wahl-O-Mat zu nutzen, helfe ihm bei der........

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