Die Energiepolitik der Bundesregierung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war nicht alternativlos. Führende deutsche Ökonomen kritisieren in einer aktuellen Studie, dass die Gaspreisbremse so schlecht konstruiert war, dass sie zu enormen Produktions- und Lohneinbußen geführt und dadurch den Aufstieg der AfD massiv gefördert hat.

Bei den Studienautoren handelt es sich um etablierte Regierungsberater. Der an der Universität Mannheim lehrende Volkswirt Tom Krebs war Berater von Olaf Scholz, als der noch das Amt des Bundesfinanzministers bekleidete, ist Mitglied des Wirtschaftspolitischen Beirats der SPD und wissenschaftliches Mitglied der Mindestlohnkommission. Die Ökonomin Isabella M. Weber, die Volkswirtschaftslehre in den USA an der University of Massachusetts unterrichtet, war zuletzt Beraterin von Robert Habeck im wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums. Dort hatte sie gegen die Energiepolitik der Regierung opponiert und sich für eine frühzeitige Gaspreisbremse mit strikten Preiskontrollen eingesetzt.

Doch Habeck hatte nicht hören wollen. Die Autoren schreiben über die Studienergebnisse in einem Gastbeitrag für das Fachmagazin Makronom, dass die Energiekrise 2022 mit hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten verbunden war. Die kurzfristigen gesamtwirtschaftlichen Verluste durch die Energiekrise betrugen demnach mehr als vier Prozent, lagen damit über dem Produktionseinbruch während der Coronakrise und wurden nur von den Auswüchsen der Finanzkrise 2008 übertroffen.

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22.03.2024

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Die Regierung habe dadurch eine „starke Verringerung des Lebensstandards“ in Kauf genommen, „mit der Menschen weit in die Mitte der Gesellschaft hinein konfrontiert wurden“. So seien die kurzfristigen Reallohnverluste durch die Energiekrise 2022 wesentlich größer als in der Finanzkrise 2008 und der Corona-Krise 2020 gewesen. Im Jahr 2022 mussten Arbeiter und Angestellte die „höchsten Reallohnverluste in der deutschen Nachkriegsgeschichte“ verschmerzen.

Wegen der Folgen sind auch Sozialverbände alarmiert. Die Volkssolidarität, die in Berlin und Ostdeutschland über ein breites Netz von Pflege- und Beratungsstellen verfügt, sagte der Berliner Zeitung: „Wir können in unseren zahlreichen Einrichtungen wie Kleiderkammern und Suppenküchen und Beratungsstellen in Ostdeutschland beobachten, dass die Inflation als solche – auch unter Berücksichtigung der Energiekosten – Sorge bereitet.“ Die Menschen nähmen zunehmend Hilfeangebote, wie Tauschbörsen, Kleiderspenden und Lebensmittelspenden in Anspruch.

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Die Ökonomen Weber und Krebs analysieren die Fehlausrichtung der Energiepolitik im Detail. „Der erste politische Fehler war die verspätete Einführung der Energiepreisbremse“, schreiben sie. „Im Sommer 2022 hatten die Gas- und Strompreise schwindelerregende Höhen erreicht, und vielen Familien wurde bewusst, dass die Heizkosten im bevorstehenden Winter ins Unerschwingliche steigen könnten.“ Doch die Bundesregierung habe trotzdem eine „Politik des Abwartens“ verfolgt und zunächst sogar die Heizkosten durch eine Gasumlage noch verteuern wollen.

Im September 2022 sei die Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung schließlich so hoch gewesen, dass die Bundesregierung nicht mehr anders konnte. Neben der Einführung einer Energiepreisbremse zusammen mit einem Sondervermögen in Höhe von 200-Milliarden-Euro zur Bekämpfung der Folgen der Energiekrise angekündigt. „Doch der politische Schaden war bereits entstanden, denn die rechtspopulistische AfD hatte im Sommer mächtig von der Verunsicherung profitiert und in Umfragen stark zugelegt“, schreiben Weber und Krebs. Die Umfragewerte für die AfD stiegen im Zeitraum Juli bis Oktober 2022 um rund 50 Prozent.

Auch die Volkssolidarität beobachtet diese Entwicklung in den Beratungsstellen in Ostdeutschland: „Die Menschen, die sich an die Volkssolidarität wenden, diskutieren darüber, dass die Gesellschaft zunehmend verroht“, erklärt der Sozialverband auf Anfrage der Berliner Zeitung. „Die Menschen spiegeln zurück, dass sie hierum besorgt sind und wünschen sich konstruktive Lösungen und weniger Polemik.“

Doch nicht nur der kurzfristige Schaden bereitet den Studienautoren Sorgen. „Ein Blick auf die Daten verdeutlicht, wie bedenklich die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist“, schreiben Weber und Krebs. „Zu Beginn des Jahres 2024 gibt es immer noch keine Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung, und die gesamtwirtschaftliche Produktion liegt mittlerweile rund sieben Prozent und die Reallöhne rund zehn Prozent unter ihrem Vorkrisen-Trend.“

Das Endergebnis der Habeckschen Energiepolitik sei eine industrielle Gas- und Strompreisbremse gewesen, „die kaum jemand mehr wollte “ und auch kaum geholfen habe. Wenn die Bundesregierung nicht endlich das Ruder rumreißt, drohen demnach langfristige irreparable Schäden für die deutsche Wirtschaft. „Dieser Politikfehler, zusammen mit dem Fehlen einer kohärenten Industriepolitik, könnte der Anfang vom Ende der industriellen Stärke Deutschlands gewesen sein.“

QOSHE - Topökonomen: Habecks Energiepolitik hat Deutschland ärmer gemacht und die AfD gestärkt - Simon Zeise
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Topökonomen: Habecks Energiepolitik hat Deutschland ärmer gemacht und die AfD gestärkt

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26.03.2024

Die Energiepolitik der Bundesregierung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war nicht alternativlos. Führende deutsche Ökonomen kritisieren in einer aktuellen Studie, dass die Gaspreisbremse so schlecht konstruiert war, dass sie zu enormen Produktions- und Lohneinbußen geführt und dadurch den Aufstieg der AfD massiv gefördert hat.

Bei den Studienautoren handelt es sich um etablierte Regierungsberater. Der an der Universität Mannheim lehrende Volkswirt Tom Krebs war Berater von Olaf Scholz, als der noch das Amt des Bundesfinanzministers bekleidete, ist Mitglied des Wirtschaftspolitischen Beirats der SPD und wissenschaftliches Mitglied der Mindestlohnkommission. Die Ökonomin Isabella M. Weber, die Volkswirtschaftslehre in den USA an der University of Massachusetts unterrichtet, war zuletzt Beraterin von Robert Habeck im wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums. Dort hatte sie gegen die Energiepolitik der Regierung opponiert und sich für eine frühzeitige Gaspreisbremse mit strikten Preiskontrollen eingesetzt.

Doch Habeck hatte nicht hören wollen. Die Autoren schreiben über die Studienergebnisse in einem Gastbeitrag für das Fachmagazin Makronom, dass die Energiekrise 2022 mit hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten verbunden war. Die kurzfristigen........

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