Spätestens seit der russischen Invasion in der Ukraine sind Sanktionen zum zentralen Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Interessen geworden. Der Politikwissenschaftler Christian von Soest hat die Wirkungsweise von Sanktionen erforscht. Warum diese nur in den wenigsten Fällen politische Änderungen bewirken und für die Sanktionsmächte große Risiken entstehen können, erläutert er im Gespräch mit der Berliner Zeitung.

Herr von Soest, Sie schreiben in Ihrem Buch von einem Zeitalter der Sanktionen. Warum greifen Staaten in internationalen Auseinandersetzungen immer häufiger auf wirtschaftliche Strafmaßnahmen zurück?

Noch nie wurden so viele Staaten, Personen und Firmen sanktioniert. Im Augenblick stehen 70 Länder unter Sanktionen, ungefähr 200 Sanktionsprogramme sind in Kraft. Das hat mehrere Gründe. Vor allen Dingen ist die Wirtschaft global viel stärker verflochten als früher. Außerdem sind Staaten vorsichtiger geworden, kriegerische Konflikte einzugehen. Oftmals werden Sanktionen als Ersatz für militärische Auseinandersetzungen gewählt. In Untersuchungen haben ich und andere Forschende jedoch herausgearbeitet, dass wirtschaftliche Sanktionen – die Unterbrechung von Handels- oder Finanzströmen – oftmals kein Ersatz sind, sondern mit militärischen Auseinandersetzungen Hand in Hand gehen. Wir müssen also die Wirkung von Sanktionen verstehen, um die internationale Politik zu verstehen.

Sanktionen ist ein weit gefasster Begriff. Wie unterscheiden sich die Maßnahmen?

Nur die vom UN-Sicherheitsrat mandatierten Sanktionen sind völkerrechtlich bindend – für alle 193 UN-Mitgliedstaaten. Daneben gibt es die sogenannten unilateralen, also einseitigen, Sanktionen, die vor allem von den USA, aber auch von der EU und Mächten wie China und Russland auferlegt werden. Einzelne Staaten oder Bündnisse verhängen hierbei Sanktionen gegen Staaten und nichtstaatliche Akteure wie Terrorgruppen. Zu guter Letzt gibt es auch noch sogenannte Sekundärsanktionen, bei denen Sanktionsmächte andere Parteien zwingen, die eigenen Sanktionen zu übernehmen, obwohl sie nicht unmittelbar an einem Konflikt beteiligt sind. Ein Beispiel hierfür sind die US-Sanktionen gegen den Iran. Besonders unter Präsident Donald Trump haben die USA harte Zwangsmittel verhängt und durch Druck Unternehmen aus anderen Staaten gezwungen, die Sanktionen zu übernehmen.

Sanktionen sind seit Jahrhunderten ein Mittel der internationalen Politik. Dennoch haben sie sich in ihrer Form stark verändert. Welche einschneidenden Ereignisse sind mit der Ausgestaltung von Sanktionen verbunden?

Schon in der Antike wurden Wirtschaftssanktionen angewendet. Athen blockierte Häfen verfeindeter Stadtstaaten. Es ist also keine Idee der Moderne, wirtschaftlichen Zwang auszuüben. Jedoch hat sich die Anwendung im Laufe der Jahrhunderte sehr stark verändert, weil die wirtschaftliche, politische und soziale Verflechtung enorm zugenommen hat. Die Sanktionen der Neuzeit haben mit dem Ersten Weltkrieg an Fahrt aufgenommen. Und dann noch mal nach dem Ende des Kalten Krieges, in den 90er-Jahren, als sich die Blockade des UN-Sicherheitsrats auflöste. Die Terroranschläge auf die USA am 11. September 2001 waren der jüngste Wendepunkt. Daraufhin setzten die Vereinigten Staaten, aber auch die Vereinten Nationen, erheblich häufiger Sanktionen ein, um die Finanzierung von Terrororganisationen auszutrocknen. Einige sprachen sogar von einem Finanzkrieg.

02.03.2024

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Führen Sanktionen dazu, dass die betroffenen Regierungen tatsächlich in ihrem Handeln eingeschränkt werden, oder trifft es meistens die Bevölkerung?

Früher verfolgten Regierungen das Ziel, starken wirtschaftlichen Druck zu erzeugen, um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen. Sie riegelten ganze Volkswirtschaften ab, um den Handel komplett zu unterbrechen. Die napoleonische Kontinentalsperre gegen Großbritannien zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist ein bekanntes Beispiel. Dieses Vorgehen gilt allgemein als gescheitert. Johan Galtung hat es schon Ende der 1960er-Jahre als die naive Theorie der Sanktionen beschrieben: die Vorstellung, dass ein möglichst heftiger wirtschaftlicher Schaden das Sanktionsziel automatisch zum Einlenken zwingen würde.

Drei Viertel aller sanktionierten Staaten sind Diktaturen. Regelmäßig versuchen die sanktionierten Regierungen den Druck von außen für den eigenen Machterhalt zu nutzen und unterdrücken die Bevölkerung noch stärker als zuvor, außerdem haben umfassende Zwangsmittel oft hohe humanitären Kosten. In den 1990er-Jahren bis Anfang der 2000er konnte man das bei dem UN-Embargo gegen den Irak feststellen. Die Regierung von Saddam Hussein saß fest im Sattel, obwohl die wirtschaftlichen Kontakte fast vollständig unterbrochen waren. Ein Beispiel, wo Sanktionen einen politischen Kurswechsel unterstützt haben, ist das Ende der Apartheid in Südafrika. Da hat Druck von außen sicherlich eine wichtige Rolle gespielt.

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Trotz umfassender Maßnahmen ist die Macht der Regierungen zum Beispiel in Nordkorea, Iran und Russland nahezu unangetastet. Sind Sanktionen überhaupt das geeignete Mittel, um politische Ziele durchzusetzen?

Eine bekannte Studie von Gary Hufbauer und seinem Team geht davon aus, dass nur ungefähr ein Drittel aller Sanktionen erfolgreich ist und die Zwangsmittel zu einem Kurswechsel der Regierung beigetragen haben. Das Scheitern von Sanktionen ist für die Sanktionsmacht mit hohen politischen Kosten verbunden. Meistens halten die Regierungen ihre Zwangsmittel deshalb über lange Zeiträume aufrecht, obwohl ihre Wirkung verpufft. Ein Beispiel sind die US-Sanktionen gegen Kuba, von denen einige seit 1960 in Kraft sind. Bei einem Rückzug riskieren die Sanktionsmächte einen Gesichtsverlust. Man muss klar sagen, dass die Mehrzahl der verhängten Sanktionen nicht erfolgreich ist, wenn es um die Erzwingung eines politischen Kurswechsels geht.

Welche Ziele können durch Sanktionen noch verfolgt werden?

Sanktionen sollen auch die Handlungsmöglichkeiten von Staaten einschränken. Ein klassisches Mittel in Gewaltkonflikten ist, den militärischen Nachschub durch ein Waffenembargo einzuschränken. Bei Russland wollen die westlichen Sanktionsmächte zudem die Lieferung von Elektrobauteilen und anderen kriegswichtigen Gütern verhindern. Auch sehr wichtig ist die Signalfunktion von Sanktionen. Dem sanktionierten Staat soll klargemacht werden, dass zentrale Normen wie die territoriale Integrität nicht verletzt werden dürfen und ein Bruch des Völkerrechts mit hohen Kosten verbunden ist. Zudem sollen die Maßnahmen mögliche Nachahmer abschrecken und der eigenen Bevölkerung zeigen, dass man gegen gravierendes Unrecht vorgeht.

Unternehmen klagen darüber, dass ihnen wegen verhängter Sanktionen wichtige Absatzmärkte wegbrechen. In Deutschland sind die Energiepreise auch wegen der Russland-Sanktionen exorbitant gestiegen. Können Sanktionen auch nach hinten losgehen, gibt es eine Art Bumerangeffekt?

Wichtig ist, im Fall Russlands festzuhalten, dass Moskau die Erdgaslieferung im September 2022 gestoppt hat und nicht die westlichen Sanktionen. Die Sanktionsziele versuchen, die Kosten für Länder, die Sanktionen verhängen, in die Höhe zu treiben. Aber in der Regel sind die Kosten für die Sanktionsmächte geringer als für das Sanktionsziel. Das sehe ich trotz der Nebenwirkungen auch für Russland so. Die Sanktionen machen Russland langfristig ärmer und erhöhen den Druck auf den Kreml.

QOSHE - Sanktionsexperte: „Mehrzahl der verhängten Sanktionen nicht erfolgreich“ - Simon Zeise
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Sanktionsexperte: „Mehrzahl der verhängten Sanktionen nicht erfolgreich“

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04.03.2024

Spätestens seit der russischen Invasion in der Ukraine sind Sanktionen zum zentralen Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Interessen geworden. Der Politikwissenschaftler Christian von Soest hat die Wirkungsweise von Sanktionen erforscht. Warum diese nur in den wenigsten Fällen politische Änderungen bewirken und für die Sanktionsmächte große Risiken entstehen können, erläutert er im Gespräch mit der Berliner Zeitung.

Herr von Soest, Sie schreiben in Ihrem Buch von einem Zeitalter der Sanktionen. Warum greifen Staaten in internationalen Auseinandersetzungen immer häufiger auf wirtschaftliche Strafmaßnahmen zurück?

Noch nie wurden so viele Staaten, Personen und Firmen sanktioniert. Im Augenblick stehen 70 Länder unter Sanktionen, ungefähr 200 Sanktionsprogramme sind in Kraft. Das hat mehrere Gründe. Vor allen Dingen ist die Wirtschaft global viel stärker verflochten als früher. Außerdem sind Staaten vorsichtiger geworden, kriegerische Konflikte einzugehen. Oftmals werden Sanktionen als Ersatz für militärische Auseinandersetzungen gewählt. In Untersuchungen haben ich und andere Forschende jedoch herausgearbeitet, dass wirtschaftliche Sanktionen – die Unterbrechung von Handels- oder Finanzströmen – oftmals kein Ersatz sind, sondern mit militärischen Auseinandersetzungen Hand in Hand gehen. Wir müssen also die Wirkung von Sanktionen verstehen, um die internationale Politik zu verstehen.

Sanktionen ist ein weit gefasster Begriff. Wie unterscheiden sich die Maßnahmen?

Nur die vom UN-Sicherheitsrat mandatierten Sanktionen sind völkerrechtlich bindend – für alle 193 UN-Mitgliedstaaten. Daneben gibt es die sogenannten unilateralen, also einseitigen, Sanktionen, die vor allem von den USA, aber auch von der EU und Mächten wie China und Russland auferlegt werden. Einzelne Staaten oder Bündnisse verhängen hierbei Sanktionen........

© Berliner Zeitung


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