Wir leben im Zeitalter der Sanktionen. „Noch nie wurden so viele Staaten, Personen und Firmen sanktioniert“, sagt der Experte Christian von Soest im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Im Augenblick stehen 70 Länder unter Sanktionen, ungefähr 200 Sanktionsprogramme sind in Kraft“, erläutert der Politikwissenschaftler, der in seinem neuesten Buch „Sanktionen. Mächtige Waffe oder hilfloses Manöver?“ die Wirkungsweise der Wirtschaftsstrafen intensiv erforscht hat.

Doch nur ungefähr ein Drittel aller Sanktionen seien erfolgreich und würden tatsächlich zu einem Kurswechsel der betroffenen Regierung beitragen, sagt von Soest. „Man muss klar sagen, dass die Mehrzahl der verhängten Sanktionen nicht erfolgreich ist, wenn es um die Erzwingung eines politischen Kurswechsels geht.“

Auch in Washington wird das zunehmende Scheitern der Sanktionspolitik zur Kenntnis genommen. „Zwei Jahre nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine leben mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung in Ländern, die sich der Sanktionskoalition nicht angeschlossen haben“, schreibt der frühere Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung Daleep Singh, in einer Analyse für die amerikanische Denkfabrik Atlantic Council. Der Bericht sollte hellhörig machen. Singh gilt als Architekt der Russland-Sanktionen. Nach einer Auszeit in der Privatwirtschaft kehrt er wieder in die amerikanische Regierung zurück. Die Analyse gilt quasi als Bewerbungsschreiben und lässt erahnen, dass die USA die Zügel anziehen werden.

Die Gefahr eines Scheiterns der Sanktionspolitik der USA sei vor allem im Zusammenhang mit dem sich verschärfenden globalen Wettbewerb mit China von Bedeutung, schreibt Singh. „Sich ausschließlich auf die Zwangsmittel der wirtschaftlichen Staatskunst zu verlassen, um Chinas geostrategische Position zu schwächen, ist keine erfolgreiche Strategie.“

•gestern

•gestern

04.03.2024

•gestern

•vor 10 Min.

Chinas ökonomische Verteidigungsmechanismen seien weitaus stärker als die Russlands. „Das soll nicht heißen, dass es keine Druckpunkte gibt, die in einer Wirtschaftskampagne gegen China vor oder während eines Konfliktszenarios ins Visier genommen werden könnten“, schreibt Singh weiter. „Kein Land ist zu groß, um sanktioniert zu werden. Aber es gibt keinen offensichtlichen K.o.-Schlag, den man mit staatlicher Zwangsgewalt allein ausführen könnte, ohne dass es in einer vollwertigen Konfrontation mit China zu schweren Kollateralschäden kommt.“

Eigentlich zielen die westlichen Sanktionen darauf ab, andere Länder wirtschaftlich und politisch zu schwächen. Doch es könnte sich herausstellen, dass es das Gegenteil bewirkt. „Die Welt spaltet sich in zwei Lager“, sagt der amerikanische Finanzanalyst Michael Hudson im Interview mit der Berliner Zeitung. „Es handelt sich um zwei Ideologien.“ In China werde der Ausbau der Infrastruktur vorangetrieben, um die Industrie zu unterstützen und öffentliches Eigentum bereitgestellt, sagt Hudson. „Im Westen hat sich hingegen ein finanzmarktgetriebener Kapitalismus durchgesetzt, der zu Deindustrialisierung und wirtschaftlicher Polarisierung führt.“

Sanktionsexperte: „Mehrzahl der verhängten Sanktionen nicht erfolgreich“

04.03.2024

Deutsche Wirtschaft unter Druck: „Die USA sind ein Profiteur des Ukraine-Krieges“

19.02.2024

Im Nahen Osten entladen sich derzeit die Widersprüche zwischen Ost und West. Die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen beschießen aus Protest gegen das militärische Vorgehen Israels in Gaza westliche Handels- und Marineschiffe. Auch die deutsche Fregatte Hessen ist im Roten Meer in die Auseinandersetzung involviert.

Die Eskalation in der Region könnte der Auftakt zu einer neuen Weltordnung sein. Der amerikanische Thinktank Foreign Policy Research Institute (FPRI) schreibt in einer aktuellen Studie: „Die anhaltenden Angriffe der vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen auf die Handelsschifffahrt im Roten Meer seit November 2023 haben dem aufkeimenden zentralasiatischen Handelsnetzwerk namens Mittlerer Korridor neuen Auftrieb gegeben und damit eine Chance für China und Iran geschaffen, da Handelsschiffe gezwungen waren, alternative Routen in Betracht zu ziehen.“

Wegen der explosiven Lage im Roten Meer leiten Reedereien ihre Schiffe auf dem Umweg um das Kap der Guten Hoffnung statt durch den Suezkanal nach Europa. Sie müssen deshalb längere Fahrzeiten und höhere Kosten in Kauf nehmen. Der Handel über den Landweg entlang des Mittleren Korridors würde deutlich schneller gehen. Und da die beteiligten Nationen die amerikanischen Sanktionen nicht mittragen, würde sich ein schweres Gegengewicht zum Westen formieren.

Die Pläne nehmen Gestalt an. Der amerikanische Thinktank FPRI verweist auf ein Treffen im Oktober letzten Jahres, bei dem Vertreter aus dem Iran, Kasachstan, der Türkei, Turkmenistan und Usbekistan diskutierten, wie sie weitere Routen entlang des Mittleren Korridors bauen können. Die „Route Turkmenistan-Usbekistan“ könnte direkt mit dem Iran verbunden werden. Damit wäre ein enges Netzwerk zwischen den zwei bedeutendsten Rivalen Amerikas gesponnen. Iran, die Regionalmacht im Nahen Osten, die die sogenannte Achse des Widerstands gegen Israel und den westlich dominierten Welthandel anführt, und China, das den USA den ökonomischen und militärischen Rang der führenden Supermacht abzulaufen droht.

Die Sanktionen haben nicht dazu geführt, dass die iranische Führung einen politischen Kurswechsel vorgenommen habe, sagt Michael Tockuss, Vorstandsmitglied der deutsch-iranischen Handelskammer, im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Weder ist es so, dass der Iran im Bereich Atomforschung einknickt. Ganz im Gegenteil, er steigert sogar seine regionale Präsenz“, sagt Tockuss. Breite Bevölkerungsschichten wurden stark von den Strafmaßnahmen getroffen. „Wir haben erhebliche Preissteigerungen im Iran für Grundnahrungsmittel, für Dinge des täglichen Bedarfs. Die Oberschicht im Iran, für die ist das in gewisser Weise ein durchlaufender Posten. Für sie ist das nicht so entscheidend.“

Letztlich führten die Sanktionen dazu, dass sich die wirtschaftlichen Gewichte in der Region verschieben. „Es ist ganz einfach“, sagt Tockuss, „der Iran exportiert pro Tag ungefähr 1,3 Millionen Barrel Öl. Davon gehen über eine Million nach China. Und die chinesischen Exporte nach Iran lagen 2023 bei über zehn Milliarden Euro.“ Und auch das sei nur ein Teil des Gesamtbildes: „Mit der höheren wirtschaftlichen Macht von China steigt dort natürlich auch der politische Einfluss“, sagt Tockuss. Das werde in Europa nicht gesehen. Weniger Beziehung bedeutet weniger Einfluss.

Aufmarsch im Indopazifik: USA bereiten sich auf Krieg gegen China vor

15.02.2024

Schachmatt der Diplomatie: Warum wir auf der Schwelle zum Dritten Weltkrieg stehen

13.02.2024

Es ist insofern nicht verwunderlich, als sich der Iran nach Osten orientiert. „Die Kombination der beiden Transithandelsrouten entlang des Mittleren Korridors könnte dem Iran eine wirtschaftliche Lebensader und eine engere Verbindung zu China, seinem wichtigsten Verbündeten als Großmacht, bieten“, führt das FPRI weiter aus. Umgekehrt könnte die Kombination dieser Routen es China ermöglichen, seine Handelspräsenz und seinen Einfluss in Afrika und im Nahen Osten zu erweitern.

Neben der Neuausrichtung des Handels spielen für China aber auch Sicherheitsinteressen eine bedeutende Rolle: „Für Peking vielleicht noch wichtiger: Es könnte China helfen, sein ‚Malakka-Dilemma‘ zu überwinden und sich so in seiner Rivalität mit den Vereinigten Staaten besser zu positionieren“, heißt es in der FPRI-Analyse. China muss einen Großteil seines Handels auf dem Seeweg durch die Straße von Malakka, eine Meerenge zwischen Indonesien und Malaysia, abwickeln. Bei einer weiteren Zuspitzung im Indopazifik wäre es für die USA ein leichtes, eine Blockade aufzuziehen.

China bekräftigt seine territorialen Ansprüche im Indopazifik. Vor der Eröffnung des 14. Nationalen Volkskongresses am Dienstag forderte die chinesische Regierung, die Vereinigten Staaten sollten ihre Verpflichtungen einhalten und mit China zusammenarbeiten. Peking werde auch weiterhin seine territoriale Souveränität im Südchinesischen Meer sowie seine maritimen Rechte und Interessen fest verteidigen.

QOSHE - Experten warnen vor Scheitern der Sanktionspolitik: „Die Welt spaltet sich in zwei Lager“ - Simon Zeise
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Experten warnen vor Scheitern der Sanktionspolitik: „Die Welt spaltet sich in zwei Lager“

8 1
06.03.2024

Wir leben im Zeitalter der Sanktionen. „Noch nie wurden so viele Staaten, Personen und Firmen sanktioniert“, sagt der Experte Christian von Soest im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Im Augenblick stehen 70 Länder unter Sanktionen, ungefähr 200 Sanktionsprogramme sind in Kraft“, erläutert der Politikwissenschaftler, der in seinem neuesten Buch „Sanktionen. Mächtige Waffe oder hilfloses Manöver?“ die Wirkungsweise der Wirtschaftsstrafen intensiv erforscht hat.

Doch nur ungefähr ein Drittel aller Sanktionen seien erfolgreich und würden tatsächlich zu einem Kurswechsel der betroffenen Regierung beitragen, sagt von Soest. „Man muss klar sagen, dass die Mehrzahl der verhängten Sanktionen nicht erfolgreich ist, wenn es um die Erzwingung eines politischen Kurswechsels geht.“

Auch in Washington wird das zunehmende Scheitern der Sanktionspolitik zur Kenntnis genommen. „Zwei Jahre nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine leben mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung in Ländern, die sich der Sanktionskoalition nicht angeschlossen haben“, schreibt der frühere Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung Daleep Singh, in einer Analyse für die amerikanische Denkfabrik Atlantic Council. Der Bericht sollte hellhörig machen. Singh gilt als Architekt der Russland-Sanktionen. Nach einer Auszeit in der Privatwirtschaft kehrt er wieder in die amerikanische Regierung zurück. Die Analyse gilt quasi als Bewerbungsschreiben und lässt erahnen, dass die USA die Zügel anziehen werden.

Die Gefahr eines Scheiterns der Sanktionspolitik der USA sei vor allem im Zusammenhang mit dem sich verschärfenden globalen Wettbewerb mit China von Bedeutung, schreibt Singh. „Sich ausschließlich auf die Zwangsmittel der wirtschaftlichen Staatskunst zu verlassen, um Chinas geostrategische Position zu schwächen, ist keine erfolgreiche Strategie.“

•gestern

•gestern

04.03.2024

•gestern

•vor 10 Min.

Chinas ökonomische Verteidigungsmechanismen seien weitaus stärker als die Russlands. „Das soll nicht heißen, dass........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play