Dennis Hehlgans zeichnet offenbar aus, dass er gut mit Menschen umgehen kann. Wenn er mit den Krankenschwestern spricht, die ihm seine Arme an den Behandlungsstuhl fixiert haben, damit das Blut ungestört aus seinem Körper in eine sehr laute Maschine fließen kann, die es von Autoantikörpern befreien und zurück in seinen Körper befördern soll, dann redet er mit ihnen auch über Sorgen, die sie gerade mit ihren Kindern haben. Denn die Behandlung dauert fünf Stunden und er will in dieser Zeit nicht Trübsal blasen. „Da wird viel gelacht, aber es fließen auch mal ein paar Tränen“, erzählt er.

Eigentlich ist das auch sein Job, gut mit Menschen umzugehen, die Sorgen von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen, denn ursprünglich ist der 40-Jährige aus Potsdam Erzieher. Jetzt kann er diesen Job nicht mehr machen, stattdessen ist er Teil einer Studie in der Charité-Dependance Havelhöhe – fast drei Jahre, nachdem er einen Impfschaden erlitten hat.

Ein Jugendheim in Brandenburg hat er geleitet, 2021 war das, als die Corona-Pandemie auf ihrem Höhepunkt war. Dazu gehörte auch, dass er mit seinen Schützlingen über die Impfung gegen Corona sprach, die damals im Laufe der Zeit alle erhalten sollten. Weltweit wurden geschätzt inzwischen 5,6 Milliarden Menschen mindestens einmal geimpft, in Deutschland waren es rund 65 Millionen.

Mit gutem Beispiel habe er damals vorangehen wollen, weil viele der Jugendlichen Angst gehabt hätten, teils vor Nebenwirkungen, aber teils auch wegen „richtigem Schwurbelzeugs“, erzählt er bei einer Tasse Tee auf dem Gelände der Havelhöhe im Westen von Berlin. „Na ja, und die haben dann später alle mitbekommen, wie ich immer öfter ausgefallen bin und welche schweren Nebenwirkungen bei mir aufgetreten sind“, sagt er und schüttelt den Kopf, als könne er selbst noch nicht glauben, was in den vergangenen drei Jahren alles passiert ist.

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Was seit 2021 allein mit ihm passiert ist, erzählt viel über die Pandemie und den Umgang mit Menschen, die dachten, sie würden sich solidarisch verhalten und Alte und Kranke schützen. So wie es Politik, Gesellschaft und Medizin von ihnen verlangt haben. Und wie sie von ebenjener Gesellschaft, Politik und Medizin fallengelassen wurden – genau in dem Moment, in dem sie selbst Schaden erlitten haben und krank wurden.

Bei Dennis Hehlgans wird besonders deutlich, wie schnell das ging. Dass er vom Vorbild für andere in der Pandemie zu jemandem wurde, für den in dieser Gesellschaft kein Platz mehr vorgesehen ist.

Im April 2021 wurde er zum ersten Mal mit BionTech geimpft. Er fühlte sich damals vor allem durch den „Volksverpetzer“, einen selbsternannten Online-Faktenchecker, „wissenschaftlich gut informiert“.

Etwa 30 Tage nach seiner ersten Impfung spürte er plötzlich Schmerzen im linken Fuß, Bein und Gesäß. Er dachte erst an einen Muskelkater und wartete ab, bis er zum ersten Mal zum Arzt ging, weil die Schmerzen dann doch nicht nachließen. Zwei Orthopäden meinten, da sei nichts. Also wartete er weiter ab, doch es ging nicht weg. Nach viel Rätselraten mit Familie und Freunden rief er vor seinem zweiten Impftermin bei der Impf-Hotline der Barmer-Krankenkasse an: Ob die Beschwerden vielleicht von der Impfung kommen könnten? Von zwei Ärzten ließ er sich beraten, beide hätten sehr überzeugend erklärt: Das sei absolut unmöglich.

Also ließ er sich zum zweiten Mal mit BionTech impfen. Noch am selben Tag schoss der Schmerz in beide Füße und Beine. Diesmal war es nicht mehr aushaltbar. In der Nacht hatte er das Gefühl, „als würden sie mir die Füße ab- und die Beine aufreißen“. Am nächsten Morgen rief seine Freundin den Krankenwagen, Hehlgans kam in die Notaufnahme.

„Als ich dort dem jungen Assistenzarzt erzählte, dass ich gerade geimpft worden bin, sollte ich gleich wieder gehen“, erzählt er. „Aber ich konnte nicht mehr gehen, meine Füße haben versagt und ich hatte so brutale Schmerzen, dass ich völlig hilflos war. Es durfte auch kein Angehöriger bei mir sein, wegen Corona.“ Er weigerte sich, das Krankenhaus zu verlassen, bis sich nach sieben Stunden eine Neurologin seiner annahm.

Die nächsten Tage verbrachte er auf der neurologischen Station der Klinik, wo alle möglichen Tests gemacht wurden. Nichts führte zu einem Ergebnis. Schließlich wurde er ratlos entlassen. Als er auf den Rat der Klinikärzte hin einen ambulanten Neurologen aufsuchte, habe dieser gefragt: Wenn im Krankenhaus schon alle Tests gemacht wurden, was wollen Sie dann bei mir? Er könne ihm nicht helfen.

Unter diesen Umständen konnte er nicht mehr regelmäßig arbeiten. Die Schmerzintensität änderte sich etwa alle zwei Wochen. Wenige Schmerzen bedeuten bei ihm seither: Sie liegen auf einer Schmerzskala von eins bis zehn mindestens bei drei oder vier, sind aber immer da. Viele Schmerzen bedeutet: Sie liegen auf der Skala bei acht oder neun, also kurz vor nicht mehr zu ertragen. Wenn es so weit ist, kann er das Bett nicht mehr verlassen. Erst recht nicht die Wohnung, manchmal wochenlang. Nicht mal zum Einkaufen.

In den Wochen mit weniger Schmerzen ging er weiter zur Arbeit. Bis Anfang 2022 zu den Muskel- und Nervenschmerzen auch noch rheumatische Beschwerden hinzukamen. Betroffen waren jetzt auch Oberkörper, Arme, Brustkorb.

Seine Hobbies, das Angeln, das Treffen mit Freunden, alles hatte er schon aufgeben müssen. Nun konnte er auch in den besseren Phasen nicht mehr arbeiten. In diesem Moment empfahl ihm eine Tante, es bei einem anderen Neurologen in Berlin zu versuchen. „Dieser Mann hat mir das Leben gerettet“, sagt Hehlgans. Zum ersten Mal nach Monaten unerträglicher Pein habe ein Arzt zu ihm gesagt: Er habe mehrere Patienten mit seinem Beschwerdebild. Es könne ein Impfschaden sein.

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„Im Nachhinein weiß ich, dass ich im Vergleich zu anderen totales Glück hatte und noch in einer privilegierten Situation bin, weil ich nahe Berlin wohne, wo es so viele Ärzte gibt. Und weil ich ein Mann bin“, sagt er. „Denn es sind viel mehr Frauen von Impfschäden betroffen und denen wird oft gar nicht geglaubt, sie werden ganz schnell in die Psycho-Ecke gestellt.“

Auch bei ihm war der Weg zur Erkenntnis allerdings sehr lang.

Etwa 20 Ärzte habe er insgesamt aufgesucht, um eine Ursache herauszufinden. Doch erst als die Verdachtsdiagnose stand, hätte ihm eine Krankenhaus-Ärztin, bei der er rheumatologisch in Behandlung war, anvertraut: „Gut, dass Ihnen das endlich jemand gesagt hat. Wir haben hier so viele Patienten wie Sie, die in einem Dreieck aus Neurologie, Rheumatologie und Orthopädie gefangen sind, weil sie immer nur von einem zum anderen geschickt werden.“ Sie sei dabei selbst deutlich berührt gewesen. Er werde diesen Augenblick nie vergessen.

Dass es oft anders läuft, erfuhr er einmal mehr in der Schmerz-Reha Anfang 2022: Ärzte seien kaum da gewesen, Therapien hätten den Schmerz eher verschlimmert – und in seinem Entlassbrief hätten Dinge gestanden, die gar nicht auf ihn gepasst hätten. Geschrieben von einer Ärztin, die er nie gesehen hat. Sie habe empfohlen, dass er weiter arbeiten kann.

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Immerhin hat er in dieser ansonsten für ihn nutzlosen Rehabilitationsmaßnahme zum ersten Mal eine Patientin kennengelernt, die exakt dieselben Symptome hatte wie er: eine Intensivkrankenschwester, die sich auf ihrer Station mit Corona angesteckt hatte. Sie war dort, um gegen Long Covid behandelt zu werden. „Wir sind uns in die Arme gefallen, als wir erkannt haben, dass wir fast dasselbe haben“, erzählt Hehlgans. „Es tat so gut, endlich mit jemandem darüber sprechen zu können, dem es genauso geht.“

Inzwischen macht Dennis Hehlgans das viermal die Woche: Mit Leuten sprechen, denen es ähnlich geht – und zwar bei TikTok. Immer montags bis donnerstags ab 9.30 Uhr geht er „live“, unter dem Namen Dennis@MRNA. Daraus entwickeln sich teils stundenlange Gespräche und Diskussionen.

Auch hier wieder: Es ist erstaunlich, wie gut Dennis Hehlgans mit Menschen umgehen kann, auch wenn er selbst gerade große Schmerzen auszustehen scheint. Zuletzt meldete sich ein User, um live mit ihm per Video zu telefonieren. Nach ein paar Fragen zu seinem Zustand ging dieser direkt dazu über, ihn über seine Ernährungsgewohnheiten belehren zu wollen. Hehlgans hat seit der Impfung und den Therapieversuchen, unter anderem mit Kortison, rund 30 Kilo zugenommen. Darüber spricht er auch offen. Trotzdem wollte ihm der User Allgemeinplätze wie Obst und Gemüse und einen „gesunden Lebenswandel“ als Lösung für seine Probleme aufschwatzen und war entgeistert darüber, wie man sich überhaupt jemals impfen lassen könne.

Hehlgans blieb ruhig, obwohl man ihm ansah, dass ihn gerade nicht nur seine Beine, sondern auch die Fragen schmerzten. In aller Ruhe erklärte er dem Fremden, dass in seiner Situation, arbeitslos, in völligem Unwissen über die Zukunft, unter starken Schmerzen und ebenso starken Medikamenten, ständig nur zwischen seinem Bett und Arztterminen pendelnd, durchaus auch mal ein Schokoriegel drin sein müsse. Für die Nerven.

Inzwischen hat sich bei TikTok „meine Community“ entwickelt, wie er es nennt. Hehlgans muss lachen: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Deutschlands bekanntester Impfgeschädigter bei TikTok werden würde!“ Zu dem freundlichen Dennis in den Lives gesellen sich Videos, in denen er sehr deutlich wird: „Hallo auf TikTok, Herr Lauterbach. Sie sehen hier einen Impfschaden. Geht auf Ihren Nacken“, betitelt er ein aktuelles Bild von sich bei der Blutwäsche. „Die SPD stößt Impfgeschädigte ins Elend“ heißt ein Video, in dem er von Betroffenen spricht, die „teils wirklich heftig zugrunde gehen, auch in meinem Umfeld, bis hin zu Suiziden“.

Seit fast drei Jahren lebe er „24/7 mit heftigen Schmerzen im Körper“ und habe „jetzt gelernt, durch viele Methodiken und Medikation, mit diesen Schmerzen besser umzugehen, und habe nur deshalb die Kraft, mich hier so zu äußern. Viele andere haben das nicht.“

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Hehlgans hatte selbst schwer daran zu beißen, dass die Ärzte ihm im ersten Jahr nicht helfen konnten und ihn ständig wegschickten. Bis er an den Neurologen geriet, der herausfand, dass auch Hehlgans die für Post-Vac-Patienten typischen Autoantikörper im Blut hatte – und bis heute hat. Weil sein Blut gleich drei verschiedene davon aufweist, konnte er in jene Studie der Charité aufgenommen werden, die Auswirkungen der Apherese (Blutwäsche) auf Post-Vac- und Long-Covid-Patienten untersucht.

Deshalb ist er nun in der Havelhöhe, wo er fünf Blutwäschen binnen 14 Tagen bekommt. Die ersten beiden hat er gut vertragen, nach der dritten wurde es – wie von den Ärzten dort angekündigt – wesentlich schlimmer. „Letzten Samstag hatte ich so extreme Schmerzen am ganzen Körper, dazu Schweißattacken und sogar Harninkontinenz, dass ich dachte: Ich muss sofort weg, ich breche ab.“

„Aber ich muss die Klinik hier auch mal loben: Schon rein menschlich und empathisch ist das hier das beste, was ich in der ganzen Zeit erlebt habe.“ Nur deshalb führe er die Behandlung fort. Er hat wieder – vorsichtiges – Vertrauen geschöpft in die Medizin und die Wissenschaft. Wenn die Behandlung nächste Woche abgeschlossen ist, könnte es sein, dass er schmerzfrei ist, weil die Autoantikörper im Blut, die sich gegen seinen eigenen Körper richten, herausgewaschen sind.

So zumindest die Hoffnung. Wie lange dieser Zustand aber andauert, falls er überhaupt eintritt, kann niemand sagen. Einige Patienten würden von ein, zwei Monaten Beschwerdefreiheit nach der Blutwäsche berichten, andere von einem ganzen Jahr, hat Hehlgans sich schlau gemacht. Wieder andere Patienten vertragen die Blutwäsche gar nicht oder bemerken keine Veränderung. Die Prozedur kostet pro Patient rund 15 000 Euro und wird von den Krankenkassen für Post-Vac noch nicht gezahlt. Für Hehlgans ist sie kostenlos, weil er Proband in der Studie ist von Stiftungsprofessor Harald Matthes.

Auch jener Professor ist kein Unbekannter, weil er schon zu Beginn der Impfungen eine Studie aufgesetzt hatte, um Impfnebenwirkungen zu beobachten. Darüber berichtete er im Juni 2022 im MDR: Er gehe von einer Untererfassung durch das Paul-Ehrlich-Institut aus. Anstelle der dort vermuteten 0,02 Prozent schweren Impfnebenwirkungen seien es nach seinen Schätzungen eher 0,8 Prozent – also 40-mal so viel. Das führte zu einem Aufschrei, vom „Schwurbel-Professor“ war die Rede. Die Charité nahm daraufhin die Studie vom Netz. Matthes hat sich seither nicht mehr öffentlich geäußert, doch offenbar arbeitet er weiterhin an und mit Impfgeschädigten – und versucht zumindest, ihnen zu helfen.

Das kann man von vielen Teilen der Gesellschaft, aus Medizin und Politik, nicht behaupten. Besonders schlecht zu sprechen ist Dennis Hehlgans aber auf Karl Lauterbach, den amtierenden Gesundheitsminister (SPD). Dieser hatte noch im August 2021 die Impfung bei Twitter als „nebenwirkungsfrei“ bezeichnet und im Februar 2022 bei Anne Will nochmal bekräftigt: „mehr oder weniger nebenwirkungsfrei“. Dabei hatte er nach Recherchen der Berliner Zeitung schon gleich nach Amtsantritt im Dezember 2021 Warnungen von Kollegen aus Tübingen erhalten, einer Impfärztin sowie dem grünen Oberbürgermeister Boris Palmer, die ihm beide von Impfnebenwirkungen aus dem eigenen Umfeld berichten wollten.

Hehlgans ist noch aus einem anderen Grund „extrem wütend“ auf Lauterbach: Der hatte im März 2023 plötzlich und unerwartet im ZDF angekündigt, sich verstärkt um Impfgeschädigte zu kümmern. Es seien nun weniger Patienten als bei Long Covid, doch sie täten ihm „unendlich leid“ und er wolle ein Programm auflegen, das ihnen helfen solle, schneller an Versorgung zu kommen. Das ist genau ein Jahr her und die Impfgeschädigten merken davon bis heute wenig. Sogar die Anzahl der bundesweit von Versorgungsämtern anerkannten Impfschäden hat sich seitdem kaum erhöht, sie liegt nach wie vor bei unter 500 Fällen. Fast so, als hätten die Ämter Lauterbachs Versprechen gar nicht umsetzen wollen. Dabei haben bisher rund 12 000 Menschen deutschlandweit einen Antrag wegen Impfschaden gestellt.

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Lauterbach sagte damals außerdem im TV, er plädiere dafür, dass die Impfhersteller, die unter seinem Vorgänger Jens Spahn (CDU) von der Haftung befreit wurden, einen Teil ihrer „exorbitanten Gewinne“ für die Impfgeschädigten einsetzen sollten.

Doch danach sieht es ebenfalls nicht aus: Die Klagen, die deutschlandweit gegen Impfhersteller laufen, wurden von Gerichten bisher meist abgewiesen oder eingestellt – oft ohne auf die Beschwerden der Impfgeschädigten einzugehen, wie Anwälte von den Prozessen berichten. Zudem muss der Staat die Kosten für teure Anwälte aus den USA für die Hersteller tragen, falls diese vor Gericht verlieren sollten.

Hehlgans hat noch nicht geklagt, doch er hat in Potsdam einen Antrag auf Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz gestellt. Auch bei ihm wurde nach vielen Monaten eine Kostenübernahme abgelehnt, Begründung: Ein Impfschaden könne nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, unter anderem habe er angegeben, als Kind schon mal unter „warmen Füßen“ gelitten zu haben. Der Neurologe, der ihm den Impfschaden kausal bestätigt hatte, sei darüber erschüttert gewesen, berichtet Hehlgans. Jetzt ärgert er sich darüber, überhaupt alles angegeben zu haben: „Ich dachte, ich würde helfen, und man würde auch mir helfen.“

Seine finanzielle Lage sieht nun gar nicht rosig aus. Da er nicht mehr arbeiten kann, sollte er eigentlich EU-Rente erhalten, doch die wurde nicht anerkannt. Nun hat er ein Jahr lang ALG1 bekommen und müsste bald in ALG2 rutschen, doch damit gibt es auch schon wieder bürokratische Probleme.

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Immerhin zieht er aus psychischer Sicht ein positives Fazit: „Ich bin sehr stolz auf mich, wie ich das alles hinbekommen habe, dass es mir heute wieder so gut geht, dass ich vor der Kamera trotz Schmerzen mit Leuten sprechen und ihnen auch helfen kann.“ Eine Psychologin habe ihn dabei unterstützt, mit der anfangs aussichtslos erscheinenden Situation umzugehen und wieder Hoffnung auf ein Weiterleben zu schöpfen. Insgesamt wirkt Dennis Hehlgans heute sehr aufgeräumt. Auch wenn ihn zwischendurch immer wieder Schmerzen zu quälen scheinen und er ein Bein oder den Arm ein paar mal hin- und herbewegen oder kurz die Luft anhalten muss.

Das war bei einem Besuch in der Redaktion im November noch anders: Damals hatte er schon einmal seine Geschichte erzählt, war extra aus Potsdam angereist – und hatte danach einen tagelangen Crash. So nennen Betroffene das wenn, auch etwa bei Long Covid oder ME/CFS, erst mal gar nichts mehr geht außer im Bett zu liegen. Der Körper verweigert quasi den Alltag. Damals, in der Redaktion, hatte Hehlgans sich während des Gesprächs immer schlechter konzentrieren können – bis er aufstand, aus seiner Tasche spezielles Equipment herausholte und sein „Brokkoli“ nahm, wie er es nennt. Mediziner nennen es „den medizinischen Gebrauch von Cannabis“. Minuten später wirkte Hehlgans wie er ein neuer Mensch: Optimistisch, befreit, auch optisch – sein Gesicht war nicht mehr vom Schmerz geprägt.

Natürlich ist er deshalb für die Freigabe von Cannabis. Es ist das einzige, wofür er Lauterbach gerade dankbar ist.

Weil Dennis Hehlgans ein politischer Mensch ist, und weil er an das Gute glaubte, hatte er auch versucht, in der Community des Volksverpetzers „sachlich und ruhig“ über Impfgeschädigte aufzuklären. Doch da wurde er schwer enttäuscht – und sogleich als Nazi und Querdenker abgestempelt. „Ein normaler Austausch war nicht mehr möglich“, berichtet er, „ich war sofort der Feind. Und das obwohl ich selber ein Linker bin. Ich bin früher selbst gegen Nazis auf die Straße gegangen.“

Bei Twitter hat er sich inzwischen auch abgemeldet, weil der Umgang so unterirdisch sei. Er spricht von „Gewalt“, und zwar von rechts wie links, einer psychischen Art von Gewalt, die ihm auch über seine eigene bisherige Bubble die Augen geöffnet habe. Die eine Seite wünschte ihm den Tod, weil er sich hat impfen lassen, die andere Seite glaubte ihm den Impfschaden nicht.

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Und so versucht er nun weiterhin politisch zu bleiben und aufzuklären, aber in seiner eigenen Community. Er wird kurz still, als er daran denkt, dass er mit vielen Menschen spricht, vor allem außerhalb der Städte, „vor allem aus dem Emsland“, die bis heute kaum Chancen auf Behandlung hätten. Weil es offenbar Ärzte gibt, die nach wie vor noch nicht von ernsthaft Impfgeschädigten wüssten. Es brauche dringend eine deutschlandweite Aufklärungskampagne, auch für Mediziner. „Einer von diesen Betroffenen, ein dreifacher Familienvater, hat mir mal gesagt: Du bist der Grund, Dennis, warum ich mich nicht umgebracht habe. Weil ich zum ersten Mal jemanden gesehen habe, der öffentlich über seinen Impfschaden spricht.“

Und dann war da noch die Sache mit Ruanda. Im Dezember 2023 reiste die grüne Außenministerin Annalena Baerbock in den ostafrikanischen Staat, um der Eröffnung einer Impstofffabrik von BionTech beizuwohnen – und ihre Unterstützung zu bekräftigen: „Die Pandemie hat die Kraft globaler Innovation deutlich gemacht“, sagte sie dort am 20. Dezember, und weiter: „Durch Global Gateway haben sich die EU und ihre Mitgliedstaaten, angeregt durch ein Projekt der Afrikanischen Union, verpflichtet, mehr als 1,2 Milliarden Euro – mehr als die Hälfte aus meinem Land Deutschland – zu investieren, um die Impfstoffproduktion in Ruanda, Senegal, Ghana, Südafrika und Nigeria anzukurbeln. Und wir halten uns an diese Verpflichtung. Bundeskanzler Olaf Scholz lässt seine herzlichen Glückwünsche ausrichten.“ Schöne Fotos wurden gemacht.

Dennis Hehlgans ist entsetzt, wenn er darüber spricht: „Für eine deutsche Firma in Afrika wird ein Vielfaches an Geld in die Hand genommen von dem, was in Deutschland für die Forschung für alle Impfgeschädigten, dazu Long-Covid-Patienten und ME/CFS-Geschädigten zusammen ausgegeben wird?“

Lauterbach hatte vor zwei Wochen vor Geschädigten in Berlin noch einmal betont, dass er bald 100 Millionen Euro für die Versorgungsforschung bereit stellen würde - allerdings für alle drei Patientengruppen zusammen. Und nochmal 50 Millionen für betroffene Kinder. Für Wissenschaft und Forschung seien das viel zu niedrige Summen, findet Hehlgans.

Also schrieb er einen höflichen Brief – an den Gesundheitsminister von Ruanda:

„Sehr geehrter … Herr Dr. Sanin Nsanzimana, ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich die Zeit nehmen, um meinen Brief zu lesen. Leider wende ich mich mit einem beunruhigenden Anliegen an Sie. Die deutsche Firma BionTech baut, mit einem Zuschuss der deutschen Regierung, ein kommerzielles Impfzentrum in ihrem Land. Ich freue mich mit Ihnen über jede Zukunftsinvestition in Ruanda. Doch leider ist hier, meiner Meinung nach, 'Made in Germany' nicht mit der Qualität behaftet, wie Sie es sich vielleicht wünschen würden. (…)

Wir betroffenen Impfgeschädigten … sind erschrocken über die Tabuisierung von Impfschäden in der Bundesrepublik Deutschland. Passiert vielleicht genau dies, um 'Made in Germany' international besser verkaufen zu können? Ich stehe Ihnen sehr gern für ein Gespräch zur Verfügung.“

Eine Antwort bekam er nicht. Das Video dazu wurde von TikTok gelöscht.

QOSHE - Impfgeschädigter aus Potsdam: „Ich bin extrem wütend auf Herrn Lauterbach“ - Ruth Schneeberger
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Also ließ er sich zum zweiten Mal mit BionTech impfen. Noch am selben Tag schoss der Schmerz in beide Füße und Beine. Diesmal war es nicht mehr aushaltbar. In der Nacht hatte er das Gefühl, „als würden sie mir die Füße ab- und die Beine aufreißen“. Am nächsten Morgen rief seine Freundin den Krankenwagen, Hehlgans kam in die Notaufnahme.

„Als ich dort dem jungen Assistenzarzt erzählte, dass ich gerade geimpft worden bin, sollte ich gleich wieder gehen“, erzählt er. „Aber ich konnte nicht mehr gehen, meine Füße haben versagt und ich hatte so brutale Schmerzen, dass ich völlig hilflos war. Es durfte auch kein Angehöriger bei mir sein, wegen Corona.“ Er weigerte sich, das Krankenhaus zu verlassen, bis sich nach sieben Stunden eine Neurologin seiner annahm.

Die nächsten Tage verbrachte er auf der neurologischen Station der Klinik, wo alle möglichen Tests gemacht wurden. Nichts führte zu einem Ergebnis. Schließlich wurde er ratlos entlassen. Als er auf den Rat der Klinikärzte hin einen ambulanten Neurologen aufsuchte, habe dieser gefragt: Wenn im Krankenhaus schon alle Tests gemacht wurden, was wollen Sie dann bei mir? Er könne ihm nicht helfen.

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© Berliner Zeitung


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