Felicia Binger ist eine der bekanntesten Impfgeschädigten Deutschlands. Trotzdem ließ Karl Lauterbach (SPD) sie am Montag vor verschlossenen Türen stehen. Der Gesundheitsminister hatte zu einem Runden Tisch zu Long Covid geladen, an dem Binger und weitere Vertreter von sogenannten Post-Vac-Patienten gerne teilgenommen hätten, zumal sie beim ersten Runden Tisch auch dabei waren. Doch trotz Anreise wurde ihnen die Teilnahme verwehrt. Das ist nicht lustig.

Felicia Binger ist deshalb eine der lautesten und prominentesten Vertreterinnen der Impfgeschädigten, weil sie besonders gut für die anderen sprechen kann. Das liegt unter anderem daran, dass die 30-Jährige eigentlich Schauspielerin ist; sie weiß, wie man in eine Kamera spricht und wie man durch die sozialen Medien navigiert. Es liegt aber auch daran, dass die Frankfurterin nicht ganz so dramatisch geschädigt ist wie manche ihrer Leidensgenossen. Während es Impfgeschädigte gibt, die tage- oder wochenlang das Bett nicht verlassen können, die im Rollstuhl sitzen oder denen nach einem Schlaganfall die Schädeldecke entfernt wurde, sieht die Schauspielerin immer noch recht fit aus – trotz zahlreicher Diagnosen, von Hashimoto über Small-Fiber-Neuropathie bis zu ME/CFS. Deshalb reiste sie am Montag zum Runden Tisch nach Berlin, wo Lauterbach auch eine Pressekonferenz gab, nachdem er mit Wissenschaftlern und Long-Covid-Betroffenen getagt hatte.

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Diesen Runden Tisch gab es schon einmal im September, damals war auch der Verein Coverse dabei, der sich für Impfgeschädigte einsetzt. Lauterbach hatte noch im März im ZDF-Interview den Impfgeschädigten versprochen, er werde sich nun für sie persönlich einsetzen, weil es „absolut bestürzende Schicksale“ unter ihnen gebe, die ihm „sehr leid tun“ würden. Die Rate der schweren Impfschäden betrage „eins zu 10.000“. Er hatte dabei gar eine Beteiligung der Konzerne eingefordert, die durch das Impfen „exorbitante Gewinne“ eingefahren hätten. Es müsse nun zu einem schnelleren Verfahren der Anerkennung von Impfschäden kommen und die Versorgung sowohl für Long-Covid- als auch für Post-Vac-Geschädigte müsse dringend verbessert werden, so Lauterbach damals: „Das ist ein Programm, das ich so schnell wie möglich auflegen möchte. Ich bin quasi in den Haushaltsverhandlungen für dieses Geld.“

Beim ersten Long-Covid-Tisch mit Impfgeschädigten war noch von 100 Millionen Euro die Rede, die Lauterbach dafür in die Hand nehmen wolle, nun ist daraus eine Zusage über 150 Millionen geworden – doch offenbar ohne die Impfgeschädigten. Denn zumindest der Impfgeschädigten-Verein Coverse durfte diesmal nicht am Runden Tisch Platz nehmen.

Dazu hat Felicia Binger im Netz einen Tweet abgesetzt, der bereits jetzt etwa 150.000 Mal angesehen wurde, sie spricht in die Kamera: „Es wurde gesagt, es wäre keine explizite Ausladung, ich habe aber gesagt, dass ich das so verstehe.“ Denn gerade aufgrund des Themas, „wo es vielleicht um Medikamente geht, um Lösungen für Betroffene, dass dann niemand für Post-Vac vertreten ist“, könne sie das nicht nachvollziehen. Sowohl unter dem Tweet als auch unter einem Instagram-Post von Lauterbach selbst zum Runden Tisch finden sich zahlreiche – oft sehr wütende – Kommentare von Betroffenen und weiteren Usern.

Nachgefragt beim Bundesgesundheitsministerium, warum die bekannteste deutsche Impfgeschädigte am Runden Tisch nicht teilnehmen darf, heißt es: „Der 2. Runde Tisch Long Covid widmete sich inhaltlich den Schwerpunkten Forschung, Rehabilitation und Arzneimittel im Off-Label-Use. Die Befassung von länger andauernden Beschwerden im zeitlichen Zusammenhang mit einer COVID-19 Impfung“ sei „zu einem späteren Zeitpunkt geplant“.

Doch die Ungeduld der Post-Vac-Geschädigten ist nachvollziehbar, denn den warmen Worten des Ministers von März und September scheint seither wenig zu folgen, stattdessen ist aktuell nur noch von Long Covid und ME/CFS die Rede – und von der erneuten Impfung: Lauterbach betonte auf der gestrigen Pressekonferenz, wie bedauerlich es sei, dass sich mit den angepassten Impfstoffen erst drei Millionen Deutsche hätten impfen lassen. Und dass nun die Gelegenheit günstig sei, sich erneut zu impfen: „Wenn man sich jetzt impfen lässt“, so Lauterbach am Montag, „dann entwickelt die Impfung noch ihre volle Wirkung bis zum Weihnachtsfest“. Das sei wichtig, um sich selbst und „ihre Lieben“ zu schützen.

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Wenn der Minister die Gelegenheit nutzt, um wieder für Impfstoffe zu werben, dann kann er auf einer solchen Veranstaltung natürlich keine Impfgeschädigten gebrauchen, das ist schon klar. Sie stören das Bild der „nebenwirkungsfreien“ Impfung, wie er sie noch bis Ende 2021/Anfang 2022 bewarb. Obwohl er damals schon gewusst haben muss, wie die Berliner Zeitung berichtete, dass es Impfgeschädigte gibt.

Spricht man mit Impfgeschädigten, so wird auch das Gegenteil davon berichtet, wie man sich Hilfe vom Staat vorstellt: Die Post-Vac-Ambulanz in Marburg ist weiterhin so überfüllt, dass es monatelange Wartezeiten gibt. Der dortige Leiter Bernhard Schieffer hat in einem TV-Interview der Impfgeschädigten Tamara Retzlaff empfohlen, sich als Long-Covid-Geschädigte auszugeben, um Hilfe zu erhalten.

Zahlreiche Ärzte, vor allem in ländlichen Gebieten, weisen offenbar weiterhin Impfgeschädigte ab: entweder weil sie sich mit dem Thema nicht auskennen oder weil sie immer noch meinen, die mRNA-Impfungen könnten diese langfristigen Nebenwirkungen nicht auslösen. Und wenn ein Betroffener den langen Weg durch Praxen und Behörden trotz und mit seinen oft zahlreichen Beschwerden dann doch geschafft hat, wird er meist von den Versorgungsämtern abgewiesen – weil trotz zahlreicher Atteste von Ärzten nicht abschließend nachgewiesen werden könne, woher die Beschwerden stammen. Ohnehin gibt es von den Versorgungsämtern nur etwa 100 bis im schwersten Fall 800 Euro monatlich. Das ist kein Ersatz für ein zerstörtes Leben. Viele der Impfgeschädigten können nicht mehr arbeiten.

Hinzu kommt, dass die Impfgeschädigten nicht nur die Zuzahlungen für oft teure Off-Label-Medikamente selber zahlen und zusehen müssen, wie sie bei Arbeitsunfähigkeit ihren Lebensunterhalt finanziert bekommen. Sie müssen sogar ihre Anwälte für den Ritt durch die Institutionen selbst finanzieren – während etwa im Falle einer Klage gegen die Hersteller der Impfstoffe der Staat die Anwälte zahlen muss, und zwar für die Gegenseite, den Impfstoffhersteller. So sehen es die Verträge vor, die damals während der Pandemie eilig zusammengeschustert wurden.

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Bei so viel Ungerechtigkeit bezüglich der Impfgeschädigten war es für viele von ihnen eine überraschende Wohltat, als Lauterbach im März plötzlich verkündete, er wolle ihnen helfen. Doch sie haben den – begründeten – Eindruck, dass das nun doch wieder im Sande zu verlaufen scheint.

Denn auf weitere Nachfrage der Berliner Zeitung im Bundesgesundheitsministerium, was konkret aus den im März versprochenen Hilfen wurde, kommt keine Antwort. Auch die Frage nach der aktuell im BMG bekannten Anzahl der Impfgeschädigten verhallt ungehört. Geantwortet wird stattdessen auf die Frage, warum die Impfgeschädigten diesmal offenbar sogar vom Runden Tisch ausgeladen wurden: Es seien auch beim 2. Runden Tisch „Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Betroffenenverbänden“ vertreten, die sich auch mit „Post-Vac“ beschäftigen, so etwa die Aktionsgruppe Nicht genesen.

Doch dazu hatte schon am Montag der Verein Coverse geschrieben, auch der Verein Nicht Genesen sei erst auf eigene Nachfrage am Freitag kurzfristig zum Runden Tisch geladen worden. Außerdem, so Coverse-Organisatorin Nadine Ton: „‚Nicht genesen‘ nennt zwar Post Vac mit, um keine Gruppen zu diskriminieren, sie können aber nicht zusätzlich zu dem Bereich Long Covid auch noch die Interessen der Post-Vac-Betroffenen vertreten.“

Coverse sei der einzige Selbsthilfe-Bundesverband für Post-Vac-Betroffene, und beim letzten Runden Tisch habe es eine feste Zusage gegeben für den Folgetermin. Stattdessen habe es schriftlich vom BMG diesmal eine Absage gegeben. „Wir finden“, so Nadine Ton, „dass es sich dabei um explizite Diskriminierung und um den Ausschluss Impfgeschädigter handelt“.

Es wird sich nun zeigen, ob Lauterbach sein Wort hält und sich um die dringend benötigten Hilfen für Impfgeschädigte auch mal wirklich kümmert. Womöglich dann im Frühling, wenn die Impfsaison vorbei ist? Währenddessen läuft für viele Impfgeschädigte die Zeit ab. Es ist ihre Lebenszeit.

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Das ist dreist: Lauterbach lädt Impfgeschädigte vom Runden Tisch aus?

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05.12.2023

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