Ist Long Covid nur eingebildet, wie manch lautstarke Kritiker in Deutschland behaupten? Oder leiden auch hierzulande bis zu zehn Prozent der Bevölkerung unter den Nachwirkungen der Corona-Infektion, wie unterschiedliche Studien nahelegen?

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat am Freitagnachmittag vor dem Bundestag am „Long Covid Awareness Day“ noch hoch und heilig Hilfe für Betroffene von Long Covid, Post Vac und ME/CFS versprochen, unter anderem mittels der Bereitstellung von 150 Millionen Forschungsgeldern.

Mitten in diese Stimmung platzt nun ein Bericht aus Australien: Von einer „schockierenden Behauptung“ schreibt die New York Post. „Wir glauben, dass es an der Zeit ist, Begriffe wie Long Covid nicht mehr zu verwenden“, sagte der Chief Health Officer von Queensland, John Gerrard, der Zeitung zufolge.

Denn die Symptome würden sich nicht von denen anderer postviraler Erkrankungen wie etwa der Grippe unterscheiden, die unter normalen Umständen mehr oder weniger unbemerkt geblieben wären. Queensland ist ein Bundesstaat in Australien. Der Bericht stützt sich auf eine Veröffentlichung des South West News Service.

13.03.2024

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Der Begriff Long Covid impliziere fälschlicherweise, dass es außergewöhnliche längerfristige Symptome gebe, die mit dem Corona-Virus verbunden seien. „Diese Terminologie kann zu unnötiger Angst und in einigen Fällen zu übertriebener Wachsamkeit bei längeren Symptomen führen, die die Genesung behindern können“, so Gerrard.

Von der australischen Regierungsbehörde wurde offenbar eine Studie in Auftrag gegeben beziehungsweise begleitet, die zu diesen Schlüssen komme. Befragt wurden 5.112 Long-Covid-Patienten ab 18 Jahren.

Zu den berichteten Symptomen gehörten Müdigkeit, Gehirnnebel, Husten, Kurzatmigkeit, Veränderung des Geruchs- und Geschmackssinns, Schwindel und schneller oder unregelmäßiger Herzschlag. Die Forscher wählten ihre Probanden dabei aus einem Pool erkrankter Australier, die im späten Frühjahr 2022 COVID-19-Tests gemacht hatten – sowohl positiv als auch negativ – und sie ein Jahr später zu ihren Symptomen und ihrer Lebensqualität befragt.

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Das Ergebnis: 16 Prozent der Befragten hätten angegeben, im Frühjahr 2023 unter Symptomen zu leiden, wovon 3,6 Prozent von „mittelschweren bis schweren Funktionsbeeinträchtigungen“ in ihrem täglichen Leben berichteten. Es seien somit keine Hinweise darauf gefunden worden, dass Erwachsene, die im Jahr 2022 positiv getestet wurden, dieses erhöhte Maß an Beeinträchtigung häufiger aufwiesen als diejenigen, die negativ getestet wurden oder einfach nur die Grippe hatten.

Die Studienautoren schrieben außerdem, dass die Raten der diagnostizierten Long-Covid-Patienten aufgrund der strengen Beschränkungen, die die australische Regierung während der Pandemie verhängt hat, niedriger gewesen seien als in anderen Ländern.

„In Gesundheitssystemen mit einer hochgradig geimpften Bevölkerung könnte Long Covid aufgrund der hohen Anzahl von Covid-19-Fällen während der Pandemie als eigenständige und schwere Krankheit erschienen sein“, sagte Gerrard. „Wir haben jedoch festgestellt, dass sich die Häufigkeit anhaltender Symptome und funktioneller Beeinträchtigungen nicht von anderen postviralen Erkrankungen unterscheidet.“

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Die Ergebnisse würden unterstreichen, wie wichtig es sei, die Ergebnisse nach Covid-19 mit denen nach anderen Atemwegsinfektionen zu vergleichen und die sogenannten postviralen Syndrome weiterzuerforschen. Die Studie soll nächsten Monat auf dem Europäischen Kongress für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten 2024 in Barcelona vorgestellt werden, so der Bericht.

Auch in Deutschland wird die Debatte um Long Covid aufgeregt geführt. So erschien etwa im Ärzteblatt vor knapp einem Jahr der Aufsatz unter anderem des Essener Neurologen Christoph Kleinschnitz, der sich darüber beschwerte, dass bei Long Covid eine psychische Komponente nicht nur von Betroffenen, sondern auch von Ärzten und Wissenschaftlern im Wutbürger-Modus weit von sich gewiesen werde. Kleinschnitz meldet regelmäßig Zweifel an Studien zu Long Covid an.

„Mich irritiert, dass einige Ärzte Long Covid diskreditieren, auf eine psychische Erkrankung reduzieren und sämtliche Studien negieren“, sagte hingegen die Immunologin Carmen Scheibenbogen noch vor zwei Wochen auf einer Pressekonferenz in Berlin. Die Charité-Professorin gilt als eine der führenden Long-Covid-Forscherinnen weltweit.

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Laut Einschätzungen diverser Wissenschaftler und Betroffener entscheidet sich Long Covid von den Spätfolgen anderer Viruserkrankungen. Die Initiative Long Covid Deutschland erklärt etwa auf ihrer Homepage: „Neben den drei Hauptsymptomen – postvirale Fatigue (unter anderem krankhafte Erschöpfung), Atemnot und neurokognitive Störungen (Konzentrations-, Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen) – handelt es sich der WHO-Definition nach bei Long Covid vor allem auch um einen Krankheitszustand, der von ausgeprägter physischer und kognitiver Belastungsintoleranz (sogenannte Post-exertionelle Malaise) gekennzeichnet ist.“

Menschen, die unter Long Covid leiden, seien oft nicht mehr in der Lage, in gewohntem Umfang ihren Berufs- und Alltagstätigkeiten nachzugehen, ohne dass sich ihr Gesundheitszustand dadurch langfristig verschlechtere. „Laut einer ersten Studie sind 45 Prozent der Long Covid-Erkrankten nach über sechs Monaten nicht in der Lage, Vollzeit zu arbeiten, 20 Prozent sind arbeitsunfähig. 80 Prozent der Betroffenen, die nach sechs Monaten noch Beschwerden haben, leiden auch nach mehr als einem Jahr an Symptomen“, so die Betroffeneninitiative.

Und auch das RKI kommt zu anderen Ergebnissen als die Kollegen aus Australien. Zwar tut es sich aufgrund fehlender Erhebungen sehr schwer mit einer genaueren Einschätzung der Betroffenenzahlen.

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Doch das Robert-Koch-Institut schreibt auch, aktuelle Studien ließen „vermuten, dass gesundheitliche Langzeitfolgen nach einer SARS-CoV-2-Infektion (wie z.B. Long-Covid-Symptome und neu diagnostizierte Erkrankungen) insgesamt häufiger auftreten und länger anhalten als beispielsweise in Zusammenhang mit einer Influenza-Infektion“. Darüber hinaus zeigten „Menschen, die aufgrund von Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden mussten, im Vergleich zu Hospitalisierten wegen einer saisonalen Influenza im Zeitraum von sechs Monaten nach der Infektion ein höheres Sterberisiko und eine höhere Inanspruchnahme ambulanter diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen“.

Es könnte also sein, dass sich die australische Behörde zu früh gefreut beziehungsweise zu vorschnell, aufgrund einer einzigen neuen Studie, Entwarnung für Long Covid gegeben hat.

QOSHE - Australische Gesundheitsbehörde: Es gibt kein Long Covid - Ruth Schneeberger
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Australische Gesundheitsbehörde: Es gibt kein Long Covid

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16.03.2024

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Von der australischen Regierungsbehörde wurde offenbar eine Studie in Auftrag gegeben beziehungsweise begleitet, die zu diesen Schlüssen komme. Befragt wurden 5.112 Long-Covid-Patienten ab 18 Jahren.

Zu den berichteten Symptomen gehörten........

© Berliner Zeitung


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