Die Nachricht erreichte am Donnerstagnachmittag die Medien: SZ-Vize-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid war am Morgen verschwunden. Die Polizei mache sich Sorgen und suche nach einer Leiche rund um den Fluss Inn, doch zunächst sei die Suche abgebrochen worden, hieß es bald am Abend.

Das klang sehr beunruhigend, zumal auf der 53-jährigen Journalistin seit vielen Wochen Druck lastete, noch stärker seit vergangenem Montag: Da hatte es am Mittag plötzlich bei Süddeutsche.de geheißen, die Vize-Chefin ziehe sich aus dem Tagesgeschäft zurück und habe die Uni Salzburg um die Überprüfung ihrer 1996 eingereichten Doktorarbeit gebeten.

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Nicht nur diese stand nämlich seit kurzem infrage, seit der bei Bild geschasste Ex-Chef Julian Reichelt für sein News-Portal Nius einen Plagiatsjäger in der Causa beauftragt hatte. Sondern auch SZ-Texte von ihr seien teils Plagiate gewesen, hatte schon Ende vergangenen Jahres der Branchendienst Medieninsider berichtet.

Und nicht nur das: Das Branchenportal hatte des Weiteren aufgedeckt, dass bei der Süddeutschen Zeitung lange nicht der Umgang mit diesen womöglichen Fehlern im Fokus gestanden hatte, sondern stattdessen die Frage, wer diese Fehler aufgedeckt und an den Medieninsider weitergeleitet und dann auch noch aus Redaktionskonferenzen weitergetratscht hatte, wie die SZ intern mit dem Problem umgegangen sei. Nämlich: Dass sie Mitarbeiter offenbar bespitzeln ließ, um herauszubekommen, wer die Infos nach außen gestochen hatte. Die Chefredaktion schien ziemlich aufgebracht zu sein. Und auch dieser Umgang mit der Causa fand sich wieder im Medieninsider nachzulesen.

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gestern

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09.02.2024

Das Blatt wendete sich erst, als Nius und die Doktorarbeit ins Spiel kamen, bis dahin gab es offenbar einen Machtkampf um die Deutungshoheit dieser Causa innerhalb der SZ. Von Chefredakteurin Judith Wittwer war zu lesen, dass sie einen Angriff von rechts wittere.

Obwohl die Vorwürfe also schon länger bekannt waren und die Medienberichte sich häuften, hieß es erst zu Beginn der Woche, Föderl-Schmid ziehe sich vorübergehend aus dem Tagesgeschäft zurück. Wie es hieß, auf eigenen Wunsch. Die Süddeutsche Zeitung verkündete, es werde eine Kommission sich der Vorwürfe annehmen. Wie inzwischen bekannt ist, sollte diese Kommission aus dem Ex-Spiegel-Chefredakteur Steffen Klusmann, der schon dem Relotius-Fall im eigenen Hause nachgegangen war, sowie der Leiterin der Deutschen Journalistenschule, Henriette Löwisch, und dem Eichstätter Journalistikprofessor Klaus Meier bestehen.

So weit die Historie. Und dann ging alles ganz schnell. Zu schnell offenbar für viele, auch namhafte, User von X (Ex-Twitter), denn die meisten waren ganz offensichtlich ihrer Emotionen nicht Herr. Und pumpten in den Äther, was das überforderte Hirn gerade hergab: Julian Reichelt persönlich habe die Vize-Chefin der SZ in den Selbstmord getrieben, war die beliebteste Spielart des Umgangs mit der Ungewissheit, die zu diesem Zeitpunkt noch herrschte.

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Andere bezichtigten Föderl-Schmid persönlich, zuvor umgekehrt der AfD-Parteichefin Alice Weidel eine angeblich plagiierte Doktorarbeit untergejubelt und darüber hinaus schon Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger zu Unrecht wegen des Flugblatts seines Bruders angeprangert zu haben. Insofern geschehe ihr nur recht, was nun passiere, denn bei Weidel und Aiwanger habe sich die SZ auch keine Sorgen gemacht, ob sie wegen der Vorwürfe vielleicht ins Wasser gehen würden.

Wohlgemerkt: Von Donnerstagnachmittag bis Freitagvormittag wusste niemand, ob Alexandra Föderl-Schmid tot oder lebendig ist. Ein Twitter-User versuchte vorsichtig darauf hinzuweisen, indem er schrieb: „Ist Ihnen vielleicht mal in den Sinn gekommen, dass Frau Föderl-Schmid noch am Leben ist und eventuell den ganzen Scheiß, der hier ausgekübelt wird, mitliest?“ Doch er wurde von seinen eigenen Followern für verrückt erklärt. Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, ehemaliger Generalsekretär der Partei, schrieb: „Sei ein Mensch. Ich musste heute an diesen Satz denken, als ich die Nachricht vom Tod der stv. Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung, Alexandra Föderl-Schmid, las. Ob das jeder beim Umgang mit dem PlagiatsVERDACHT gegen sie beherzigt hat?“ Später berichtigte er seinen Tweet, doch entschuldigte sich nicht.

Es sind diese Doppelstandards, die sehr unangenehm auffallen – nicht erst in diesem Fall, aber hier besonders. Denn auch der Tod der Journalistin war ja nur ein Verdacht, wie sich später zeigte. Und in der Tat scheinen etwa Plagiate oder andere Ausfälle immer dann besonders schlimm zu sein, wenn sie beim politischen Gegner auszumachen sind.

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Die freie Journalistin Aya Velázquez aus Berlin hat auf X gesammelt, was „die Guten“ allerlei Boshaftes über den Fall getwittert haben, und ruft zur Mäßigung auf: „Da habt ihr euch mal wieder komplett vergaloppiert.“ Doch ungeachtet der nicht ganz unmaßgeblichen Tatsache, dass die SZ-Vizechefin am Freitagvormittag glücklicherweise unter einer Brücke in ihrem Heimatdorf lebend aufgefunden und unterkühlt in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, wie österreichische Medien als erste berichtet hatten, ging die Instrumentalisierung heiter weiter:

„Wie schön, dass Alexandra Föderl-Schmid die dringend notwendige Debatte, wie wir Hetzjagden dieser Art bekämpfen, als starke Stimme mitführen wird! Beste Nachricht meines journalistischen Lebens“, schrieb die österreichische Journalistin Barbara Tóth, die zuvor eine Gegenrede zu den Plagiatsvorwürfen veröffentlicht hatte. Föderl-Schmid stammt selbst aus Österreich, sie hatte fast 30 Jahre lang für die Tagszeitung Der Standard gearbeitet, die letzten zehn Jahre als Chefredakteurin, bevor sie 2017 zur SZ wechselte. Seit Mitte 2020 gehört sie dort zur Chefredaktion – neben Judith Wittwer, Wolfgang Krach und Ulrich Schäfer. Dass nun aber eine Kollegin aus Österreich nur wenige Stunden nach ihrem Wiederauffinden davon ausgeht und auch öffentlich verkündet, dass die Totgeglaubte nun möglichst bald wieder in irgendeinen „Kampf“ eintrete, darf wohl als maximal vereinnahmend aufgefasst werden.

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Angesichts all dieser Entgleisungen stellt sich die Frage, warum bei X so viele Leute, auch mit Klarnamen, offensichtlich Krieg gegeneinander führen wollen. Und ob das Ausdruck einer maßlos aufgeheizten Stimmung ist, die sich im Alltag schon hier und da, schier unbegrenzt aber in den sozialen Medien Bahn bricht. Und ob die Bundesregierung wirklich gut daran tut, diese Spaltung auch noch über Demonstrationen „gegen rechts“ zu befeuern.

Alexandra Föderl-Schmid jedenfalls liest, wenn sie klug ist, in diesen Tagen nicht bei Social Media mit. Denn dort geht es auch nach der guten Botschaft ihres Auffindens munter weiter mit den Spekulationen rund um ihren Fall.

Es sei doch sehr komisch, was der Öffentlichkeit hier präsentiert werde, übertrumpfen sich schon wieder User mit Verschwörungstheorien. Für nicht wenige steht nun fest: Die Journalistin habe sich absichtlich einen Tag und eine Nacht lang unter einer Brücke versteckt, um die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen, von ihren Fehlern abzulenken und sich als Opfer gerieren zu können, das Ganze sei eine Inszenierung. Doch damit komme sie nicht durch, ist man sich bei X sicher.

Wer das mitliest, kann sich nur darüber wundern, wo die Empathie dieser Menschen geblieben ist, ob sie selbst nie welche erfahren haben, oder ob sie sie in ihrem Leben einfach noch nie benutzt haben. Das Treten auf jemanden, der schon am Boden liegt, wird vor Gericht als straffördernd aufgefasst. Im Netz dagegen sorgt es für besonders viel Aufmerksamkeit.

Und wie limitiert muss man sein, wenn man nicht versteht, dass das Auffinden bei lebendigem Leib nicht bedeutet, dass es keinen Suizidversuch gegeben hat?

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Abgesehen davon, sollte sich wohl auch die SZ nun lieber etwas Ruhe in der Causa gönnen. Auf ihrer Homepage ist seit dem Wochenende zu lesen, dass sie sich mit Rücksicht auf die Familie ihrer Vizechefin aktuell nicht weiter zu der Sache äußern wolle, außer darüber, wie froh sie sei, dass Alexandra Föderl-Schmid noch lebt. Auch das kann man als Hinweis darauf verstehen, wie ernst und knapp die Sache wohl war.

Auf der anderen Seite gibt es nun schon wieder Berichte darüber, dass SZ-Kollegen sich weiter in den Fall vertiefen und bei Alternativmedien wie etwa Alexander Wallasch anfragen, wie er darauf komme zu behaupten, Föderl-Schmid habe die Plagiatsvorwürfe gegen Weidel zu verantworten. Dieser verweist nun genüsslich darauf, dass sie ja wohl mal Vizechefin war, als solche nach wie vor im Impressum steht, und was überhaupt bei der SZ für Zustände herrschten, wenn sie insinuiere, dass Föderl-Schmid davon nichts mitbekommen habe oder nicht beteiligt gewesen sei.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die SZ tut sich und wohl auch ihrer Vizechefin keinen Gefallen, wenn sie bei ihrer Strategie bleibt, die Vorwürfe gegen Föderl-Schmid möglichst anderen in die Schuhe zu schieben. Sie muss sich der Sache stellen, die bei einer sachlichen Aufarbeitung ja auch zugunsten von Föderl-Schmid ausgehen kann, und zugleich ihrer offenbar stark angegriffenen Mitarbeiterin die Schulter stärken.

Der Kampf zwischen rechts und links, ob in der Politik, bei Twitter, in den Medien oder auf der Straße, darf nicht zu Todesopfern führen. Diesen Warnschuss sollten jetzt aber auch wirklich alle gehört haben.

Ob rechts, ob links, ob Mitte oder außerhalb: Eine zunehmende Anzahl von Menschen scheint sich so stark in dieses Gedankenkonstrukt verliebt zu haben, man könne mit dem Bekämpfen eines politischen Feindes alle möglichen grundsätzlichen Probleme lösen, dass sie die Realität nicht mehr wahrnehmen. Das ist gefährlich. Für uns alle.

QOSHE - Als Twitter (X) sich einen Tag lang die Vize-Chefin der SZ einverleibte - Ruth Schneeberger
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Als Twitter (X) sich einen Tag lang die Vize-Chefin der SZ einverleibte

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11.02.2024

Die Nachricht erreichte am Donnerstagnachmittag die Medien: SZ-Vize-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid war am Morgen verschwunden. Die Polizei mache sich Sorgen und suche nach einer Leiche rund um den Fluss Inn, doch zunächst sei die Suche abgebrochen worden, hieß es bald am Abend.

Das klang sehr beunruhigend, zumal auf der 53-jährigen Journalistin seit vielen Wochen Druck lastete, noch stärker seit vergangenem Montag: Da hatte es am Mittag plötzlich bei Süddeutsche.de geheißen, die Vize-Chefin ziehe sich aus dem Tagesgeschäft zurück und habe die Uni Salzburg um die Überprüfung ihrer 1996 eingereichten Doktorarbeit gebeten.

SZ-Vize-Chefredakteurin Föderl-Schmid wird wohl vermisst

08.02.2024

Pannen-Bezirk Pankow wählt ohne Warteschlangen: Aber in einem Wahllokal fehlten die Schlüssel

vor 50 Min.

Nicht nur diese stand nämlich seit kurzem infrage, seit der bei Bild geschasste Ex-Chef Julian Reichelt für sein News-Portal Nius einen Plagiatsjäger in der Causa beauftragt hatte. Sondern auch SZ-Texte von ihr seien teils Plagiate gewesen, hatte schon Ende vergangenen Jahres der Branchendienst Medieninsider berichtet.

Und nicht nur das: Das Branchenportal hatte des Weiteren aufgedeckt, dass bei der Süddeutschen Zeitung lange nicht der Umgang mit diesen womöglichen Fehlern im Fokus gestanden hatte, sondern stattdessen die Frage, wer diese Fehler aufgedeckt und an den Medieninsider weitergeleitet und dann auch noch aus Redaktionskonferenzen weitergetratscht hatte, wie die SZ intern mit dem Problem umgegangen sei. Nämlich: Dass sie Mitarbeiter offenbar bespitzeln ließ, um herauszubekommen, wer die Infos nach außen gestochen hatte. Die Chefredaktion schien ziemlich aufgebracht zu sein. Und auch dieser Umgang mit der Causa fand sich wieder im Medieninsider nachzulesen.

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09.02.2024

Das Blatt wendete sich erst, als Nius und die Doktorarbeit ins Spiel kamen, bis dahin gab es offenbar einen Machtkampf um die Deutungshoheit dieser Causa innerhalb der SZ. Von Chefredakteurin Judith Wittwer war zu lesen, dass sie einen Angriff von rechts wittere.

Obwohl die Vorwürfe also schon länger bekannt waren und die Medienberichte sich häuften, hieß es erst zu Beginn der Woche, Föderl-Schmid ziehe sich vorübergehend aus dem Tagesgeschäft zurück. Wie es hieß, auf eigenen Wunsch. Die Süddeutsche Zeitung verkündete, es werde eine Kommission sich der Vorwürfe annehmen. Wie inzwischen bekannt ist, sollte diese Kommission aus dem Ex-Spiegel-Chefredakteur Steffen Klusmann, der schon dem Relotius-Fall im eigenen Hause nachgegangen war, sowie der Leiterin der........

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