Johannes Brahms’ „Ein deutsches Requiem“ ist schon mehrfach mit historischen Instrumenten aufgeführt worden, etwa von John Eliot Gardiner oder Philippe Herreweghe und ihren jeweiligen Ensembles. Am Montag war in der Philharmonie die im Sinne der historischen Aufführungspraxis vielleicht am gründlichsten durchgreifende Interpretation des Werks durch Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble unter Leitung von Thomas Hengelbrock zu hören.

Die Einsätze des Chores waren von einer grandiosen Klarheit – kaum zu glauben, dass so viele Menschen so sauber und genau zusammen singen können. Mit dieser eindrucksvollen Leistung hielt das Orchester nicht ganz Schritt, aber auch hier beeindrucken Präzision und entschlossene Artikulation. Deutlich lässt Hengelbrock im Geisterzug des zweiten Satzes zwischen den gebundenen Auftakten der Bässe und den abgesetzten Vierteln der hohen Streicher unterscheiden. Das Klangbild wirkt insgesamt aufgehellt – und es scheint, als ob allein die größere Exaktheit des Ganzen das Stück zeitlich komprimiert; in den Tempi leistet Hengelbrock der Tradition keinen Widerstand.

Eine gewisse Grundmulmigkeit in Brahms’ Verbindung von Chor und Orchester lässt sich indes offenbar auch durch die größte Genauigkeit und Sorgfalt nicht aufhellen. Und man fragt sich, ob diese prinzipielle Unschärfe nicht auch schon jene „religiöse Scham“ bekundet, mit der Brahms auf die von Peter L. Berger beschriebene „repressive Säkularität der modernen Welt“ reagiert.

Heilsgeschichte möchte Brahms nicht erzählen, wodurch vollkommen unverständlich wird, worauf sich der von der Sopranistin Eleanor Lyons so bestrickend versprochene „Trost“ gründen oder wodurch die vom Bariton Domen Križaj eher skeptisch beschworene „Verwandlung“ zur „Zeit der letzten Posaune“ vollzogen werden soll – aber derlei unklar-ratlose Haltung den „letzten Fragen“ gegenüber ist, der allgemeine Erfolg von 1868 bis heute zeigt es, verallgemeinerungsfähig.

gestern

18.02.2024

18.02.2024

18.02.2024

18.02.2024

„Rusalka“ an der Staatsoper scheitert als unscharf durchgeführtes Sozialdrama – aber wieso?

05.02.2024

„Der goldene Hahn“ von Rimski-Korsakow an der Komischen Oper: Endspiel im Farbrausch

29.01.2024

Hengelbrocks „historisch informierte“ Aufführung schlägt das Werk in Distanz. Sie vollstreckt damit jene bereits angelegte Tendenz, die religiösen Funktionen – hier der Trost der Hinterbliebenen – aus dem sakralen in den säkularen Raum zu verlegen. Interessanterweise bleibt dabei aber auch das, was bei dieser Verlegung zu retten ist, der preußische Theologe Friedrich Schleiermacher nannte es „Gefühl“, weitgehend auf der Strecke. Nun beeindrucken nur noch Komposition und Aufführung, während Brahms’ Hinwendung zum Hörer kaum mehr zu spüren war.

Umgab die schlichte Zugabe, das „Verleih uns Frieden“ von Felix Mendelssohn da nicht plötzlich eine besondere Aura, die aus einer noch nicht völlig gekappten Verbindung zur Liturgie strahlt und zumindest daran erinnert, dass Musik mehr vermag als auf Erden zu trösten, dass sie über das ganze Elend hinausführen möchte?

QOSHE - Was soll das für ein Trost sein, Brahms? „Deutsches Requiem“ im Balthasar-Neumann-Gastspiel - Peter Uehling
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Was soll das für ein Trost sein, Brahms? „Deutsches Requiem“ im Balthasar-Neumann-Gastspiel

16 0
20.02.2024

Johannes Brahms’ „Ein deutsches Requiem“ ist schon mehrfach mit historischen Instrumenten aufgeführt worden, etwa von John Eliot Gardiner oder Philippe Herreweghe und ihren jeweiligen Ensembles. Am Montag war in der Philharmonie die im Sinne der historischen Aufführungspraxis vielleicht am gründlichsten durchgreifende Interpretation des Werks durch Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble unter Leitung von Thomas Hengelbrock zu hören.

Die Einsätze des Chores waren von einer grandiosen Klarheit – kaum zu glauben, dass so viele Menschen so sauber und genau zusammen singen können. Mit dieser eindrucksvollen Leistung hielt das Orchester nicht ganz Schritt, aber auch hier beeindrucken Präzision und entschlossene Artikulation. Deutlich lässt Hengelbrock im Geisterzug des........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play