Das Erste, was Erika Seebacher nach ihrer Impfung komisch vorkommt, ist dieser extreme metallische Geschmack. Zehn Minuten nach der Injektion setzt er ein, eine gute Stunde später ist er wieder verschwunden. So weit, so normal: Geschmacksveränderungen gehören zu den häufigsten Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe.

Zwei Wochen später spürt die 60-Jährige ein „inneres Vibrieren“. Nächtelang kann sie nicht schlafen, bemerkt lauter rote Punkte an ihrem Körper. Wenn sie aufsteht, wird ihr schwindelig.

Einige Tage geht das so, dann landet sie in der Notaufnahme. Zu viel Stress, lautet der Verdacht. Eine Blutuntersuchung bleibt ohne Erkenntnis. Und tatsächlich: Die Beschwerden lassen mit der Zeit nach.

Seebachers Zustand bessert sich so sehr, dass sie bald zum zweiten Mal ins Impfzentrum geht. Eine Entscheidung, nach der das Leben der Logopädin nicht mehr dasselbe war. Sie wurde zum Pflegefall – und kämpft inzwischen seit fast drei Jahren um die Anerkennung, dass das, was ihr widerfahren ist, mit der Impfung zusammenhängt. Sie ringt mit ihrer Krankenkasse, die Medikamente nicht weiterbezahlen will. Und sie wartet seit mehr als eineinhalb Jahren, dass ein Antrag, der ihr den Zugang zu Versorgungsleistungen ebnen würde, überhaupt beschieden wird.

Erika Seebachers Geschichte zeugt davon, wie schwer unserer Gesellschaft der Umgang mit Schwerkranken fällt, sobald der Verdacht im Raum steht, eine Impfung könnte etwas mit den Problemen zu tun haben. Vielleicht erklärt sie auch, warum so viele derzeit ihr Vertrauen in Staat und Politik verlieren und offene Ohren haben für so manche Verschwörungsthese. Erika Seebacher selbst formuliert ihre Erfahrungen so: „Ich hätte nie gedacht, dass man keine Hilfe bekommt und teilweise verleumdet wird. Bis heute ist da kein Sicherheitsnetz. Für Menschen mit einem Impfschaden war nichts vorbereitet – und das ist bis heute so.“

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Sie sei „eine absolute Impf-Anhängerin gewesen“, sagt Seebacher, „immer gegen alles geimpft.“ Als die Corona-Impfstoffe da sind, zögert sie nicht. Die erste Impfung erhält sie im März 2021. Die zweite acht Wochen danach, am 18. Mai. Und erst einmal deutet nichts auf ein Problem hin: Der leichte Schmerz, den sie an der Einstichstelle verspürt, vergeht schnell.

Der Tag, der das Leben der Logopädin radikal verändern sollte, lässt noch eineinhalb Wochen auf sich warten. Es trifft sie am 29. Mai 2021, elf Tage nach der Impfung, ohne Vorwarnung: „Da konnte ich plötzlich nicht mehr gehen.“ Der linke Fuß ist geschwollen und schmerzt unerträglich. In den nächsten Wochen breiten sich die Beschwerden schnell aus. Erst auf den anderen Fuß, die Beine, dann auf die Arme und Hände. Irgendwann ist auch das Gesicht gelähmt. Zeitweise versagt ihre Stimme den Dienst.

Gesund ist die mittlerweile 63-Jährige bis heute nicht. Wer sie in ihrem Haus am Rande von Stuttgart besucht, bemerkt: Sie hat sich längst darauf eingerichtet, dass die neuen Umstände jetzt der Dauerzustand sind. In zwei Stockwerken stehen Rollatoren bereit, ein Treppenlift wurde eingebaut, es gibt jetzt Haltegriffe an der Wand, einen Duschsitz und einen rollbaren Schreibtisch, den Seebacher über das Bett schieben kann, um von dort aus wenigstens ein bisschen am Laptop zu arbeiten – wenn ihr Zustand es zulässt. Seebacher leidet unter Fatigue, einer schweren, chronischen Erschöpfung, Ärzte haben die Multisystemerkrankung ME/CFS bei ihr diagnostiziert. MRTs zeigten Muskelschäden und Nervenentzündungen von den Füßen bis zum Kopf, die Schmerzen erträgt sie nur mit starken Schmerzmitteln. Nach dem Aufwachen überlegt sie, ob sie duschen kann oder die Energie sparen muss, weil später ein Arzttermin ansteht.

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Erika Seebacher empfängt in ihrem Esszimmer, die Füße hochgelegt auf einer Plastikkiste. „Der Tisch ist ein bisschen voll“, sagt sie entschuldigend. Fünf dicke Aktenordner liegen vor ihr, und wenigstens dort ist alles wohlsortiert: die Dokumente ihrer Krankengeschichte, ihres Ringens mit Behörden und Krankenkasse, sauber in Prospekthüllen abgeheftet. Der Berliner Zeitung gewährt sie Einblick in alle Unterlagen. „Ich möchte Gerechtigkeit. Ich möchte Würde“, sagt sie bestimmt. „Ich möchte gesund werden. Ich hatte ein wirklich gutes Leben vorher – das möchte ich zurück.“

Manchmal sucht sie beim Sprechen nach einem Wort. Dann beginnt ihr Mund zu zittern. Sichtbar bewegt diese Unpässlichkeit sie, die Logopädin, deren Beruf es ist, anderen bei Sprachschwierigkeiten zu helfen. „Ich habe Probleme, die richtigen Wörter zu finden“, erklärt sie, „so etwas ist mir früher nie passiert.“

Dass die Impfstoffe schwere Corona-Verläufe und Todesfälle infolge der Infektion verhindert haben, ist wissenschaftlich gut untersucht. Wahrscheinlich verringern sie auch das Risiko für Langzeitfolgen, Post-Covid. Wie alle Impfstoffe aber können auch die gegen Sars-CoV-2 Nebenwirkungen haben. Sehr selten schwere, doch dass es Impfschäden gibt, ist unbestritten.

Richtig ist auch: Nach Angaben des staatlichen Paul-Ehrlich-Instituts kamen aus Deutschland so viele Verdachtsmeldungen über Post-Covid-ähnliche Impffolgen wie aus dem gesamten Rest der Welt. Die Debatte ist aufgeheizt, der Nachweis kaum zu führen, und das medizinisch nicht definierte Post-Vac-Syndrom ist zu einer Projektionsfläche für viele unerklärliche Beschwerden geworden – und zu einem Kampfbegriff mancher Impfgegner, was es für die wirklich Betroffenen nicht einfacher macht. Studien legen nahe, dass bei weitem nicht alle Beschwerden, hinter denen Post-Vac vermutet wird, mit der Impfung zusammenhängen.

Der Fall von Erika Seebacher liegt anders.

Zum einen stellt die Stuttgarterin selbst monatelang alles Mögliche unter Verdacht – nur nicht die Impfung. Weil die Schmerzen im Fuß ihren Anfang nehmen, denkt sie zunächst an eine Folge des Sports. „Ich war dreimal die Woche im Fitnessstudio. Sport war mein absolutes Hobby“, sagt sie. Hatte sie es einfach beim Training übertrieben?

Als die Probleme beginnen, will Seebacher „so schnell wie möglich wieder fit werden“. Sie sammelt all ihre Energie, zieht von Arzt zu Arzt und von Klinik zu Klinik, um ihren Beschwerden auf den Grund zu gehen. Bis heute wird sie 60 Praxen besucht, sich 17 Mal in stationäre Behandlung begeben haben. Vor allem am Anfang ist das eine gewaltige Herausforderung. Ab September 2021 kann sie fast nur noch liegen – und an manchen Tagen muss Seebachers Mann ihr die Teetasse an den Mund halten, weil ihr selbst die Kraft dazu fehlt. Er ist es auch, der sie irgendwie ins Auto bringt und „mit ganz vielen Kissen gepolstert“ auf der Rückbank liegend zu den Praxen und Kliniken fährt.

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Nach und nach schließen Ärzte orthopädische, neurologische und genetische Erkrankungen aus. Erst dann keimt der Gedanke an eine Impffolge – bei der Patientin genauso wie bei einer ganzen Reihe von Ärzten. Dies ist das Zweite, was ihren Fall von vielen anderen unterscheidet.

Nach der Impfung habe sich Seebachers Leben „rapide verändert“, bescheinigt ihre Hausärztin im April 2022 noch zurückhaltend. Mit der Zeit werden die Arztbriefe deutlicher. „Autoimmunreaktion in zeitl. Zusammenhang nach einer Impfung“, steht da unter dem Briefkopf der einen Universitätsklinik, „Chronisches Fatigue-Syndrom nach Covid-Impfung“ heißt es im Entlassungsbrief einer zweiten. Ein niedergelassener Neurologe bescheinigt ihr „neuropathische Schmerzen nach Sars-CoV-2-Vakzination“ – und ein Universitätskollege stuft die Beschwerden „am ehesten im Sinne eines Post-Vac-Syndroms“ ein. In der Spezialambulanz der Uniklinik Marburg, bundesweit die zentrale Anlaufstelle für Menschen mit Verdacht auf Impfschäden, erhalten die meisten nach der Diagnostik nicht mal einen Folgetermin – Seebacher ist dort gleich fünfmal in stationärer Behandlung.

Viele Betroffene mit Verdacht auf einen Impfschaden beklagen, dass sie sich nicht ernstgenommen fühlten. Auch Erika Seebacher erlebt Ärzte, die über das Thema gar nicht erst sprechen, sie schnell aus der Tür herauskomplimentieren wollen. Doch weil sie nicht lockerlässt, Diagnostik um Diagnostik anstrengt, findet sie Mediziner, die sie begleiten. Wohl deshalb ist ihr Fall so gut dokumentiert wie kaum ein anderer – der Zusammenhang zur Impfung kein bloßer Verdacht, sondern von mehreren Ärzten untermauert.

Sollte es da nicht ein Leichtes sein, Hilfe zu bekommen? Von wegen.

Relativ problemlos bescheinigen Ämter Seebacher den Pflegegrad 3 und einen Behinderungsgrad von 80 Prozent. Doch das löst die Probleme nicht – auch nicht die finanziellen. Mehr als 50.000 Euro hat sie bereits aus eigener Tasche investiert: in Laboruntersuchungen und Medikamente, private Arzttermine und den Umbau ihres Hauses mit Treppenlift.

Im März 2022, als sie erstmals die Diagnose ME/CFS im Zusammenhang mit der Impfung erhält, beantragt sie bei ihrer Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) die Anerkennung der Impffolgen als Arbeitsunfall. 550 derartige Verdachtsfälle wurden der BGW bis heute gemeldet. Über 348 Anträge hat sie bisher entschieden, bei etwas mehr als der Hälfte (178) stimmte sie zu. Seebachers Antrag steckt fest, nachdem er die erste Hürde bereits genommen hat: Ihre Impfung gilt als Teil des betrieblichen Gesundheitsschutzes, den Arbeitskontext erkannte die BGW daher an. Nun geht es darum, ob sie die Impfung auch als Auslöser der Beschwerden sieht. Mitte Januar, als Seebacher der Berliner Zeitung ihre Unterlagen zeigt, hat sie bereits seit 14 Monaten keine Nachricht mehr von der Berufsgenossenschaft erhalten.

Noch wichtiger für sie ist ein zweites Verfahren, mit dem das Versorgungsamt die Anerkennung eines Impfschadens prüft. Es wäre die Voraussetzungen für jene Leistungen, die der Staat im Infektionsschutzgesetz für Impfgeschädigte vorsieht – von Rentenzahlungen bis zu der Möglichkeit, Kosten für Hilfsmittel wie den Treppenlift erstattet zu bekommen. Am 1. Oktober 2022 stellt Seebacher ihren Antrag beim Landratsamt Böblingen. Sie ist damit eine von gut 12.000 Menschen bundesweit, wie eine Recherche der Neuen Osnabrücker Zeitung ergab. Rund die Hälfte von ihnen erhielt bisher einen Bescheid, weniger als 500 einen positiven.

Das Landratsamt Böblingen ist zuständig für ein Gebiet mit zwei Millionen Einwohnern. Bis Anfang 2024 haben 138 von ihnen die Anerkennung eines Impfschadens beantragt. Zwei erkannte die Behörde an, doch nur 13 Verfahren sind bislang überhaupt abgeschlossen. Die allermeisten Antragsteller warten noch auf ihren Bescheid, so wie Erika Seebacher nun seit eineinhalb Jahren.

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In ihrem Fall kommt alles zusammen, was Diskussionen über die Impfung regelmäßig emotional zum Überkochen bringt. Da ist zum Beispiel die Sache mit den Verunreinigungen.

Seebacher erhielt den Astrazeneca-Impfstoff, bei der ersten Impfung ausgerechnet die Charge Nummer ABV 5811: Es ist eine von nur drei Chargen, die zufällig in einer Untersuchung der Uniklinik Ulm landeten – die Ergebnisse wurden just in den Tagen zwischen Seebachers zweiter Impfung und dem Beginn der Nebenwirkungen öffentlich. Im Labor hätten sich „deutliche Verunreinigungen“ des Impfstoffs mit Fremdproteinen gezeigt, sagt Stefan Kochanek, Leiter der Abteilung Gentherapie der Ulmer Universitätsmedizin.

Kochanek ist gewiss kein Impfgegner. Am Telefon betont er: „Der Vorteil der Impfung überwiegt die seltenen Nebenwirkungen sehr deutlich.“ Seine Untersuchung aus dem Frühjahr 2021 interpretiert er so: „Da stimmte etwas nicht mit der Qualität des Impfstoffs.“

Um sicherzugehen, dass das Qualitäts- nicht auch ein Sicherheitsproblem darstellt, wurde ein möglicher Zusammenhang zu bereits bekannten, schweren Nebenwirkungen – den Sinusvenenthrombosen – untersucht. Kochanek schließt nicht gänzlich aus, dass die Verunreinigungen das Auftreten der Thrombosen begünstigt hätten, zumal diese nach einer Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff häufiger berichtet wurden als bei dem ebenfalls vektorbasierten Vakzin von Johnson & Johnson, der den Ulmer Forschern zufolge sauber war. Auslöser der Thrombosen waren die Fremdproteine nach dem Stand der Dinge jedoch nicht.

Aber könnten die Verunreinigungen die Ursache für Post-Covid-artige Beschwerden sein? Der Professor geht – wie auch das Paul-Ehrlich-Institut – nicht davon aus: „Es gibt keinen Nachweis, dass dies für Nebenwirkungen verantwortlich ist.“

Dann ist da noch das Thema Spike-Protein. Es gibt die These, dass diese Eiweißstruktur aus der Coronavirushülle beim Entstehen von Post-Covid eine Rolle spielt – und dass jenes Spike-Protein, das der Körper nach dem Bauplan der Impfstoffe selbst produziert, vergleichbare Langzeitfolgen bewirken kann. Bei Erika Seebacher, so viel ist klar, wiesen zwei Labore per Nerven- und Muskelbiopsie Spike-Protein in den Füßen nach. Doch hat ein solcher Fund eine Bedeutung? Nach Einschätzung mancher Ärzte ist das möglich, wissenschaftlich belegt ist es nicht.

Weil die Krankheitsmechanismen unklar, eine mit klinischen Studien belegte Therapie für Seebachers Beschwerden fehlt, probieren ihre Ärzte auf Grundlage der Befunde mehrere Behandlungen aus. Einige scheitern. Seebacher versucht es mit Kortison-Stoßtherapie, mit Immunglobulinen, mit Physiotherapie, mit einem Blutwäscheverfahren – zunächst als Privatleistung, dann wiederholt in der Marburger Uniklinik. Vieles verpufft, anderes führt nur kurz zu einer Besserung, manches erweist sich als kontraproduktiv.

Rückschläge begleiten die Patientin ständig. Im August 2022 will sie aus dem Rollstuhl aufstehen, knickt mit den Füßen weg und bricht sich das Knie. Bis heute führen die Muskel- und Nervenschäden dazu, dass sie sich nur langsam und mit unsicheren Schritten in Spezialschuhen aus Kautschuk durch das Haus bewegt, sich dabei von der Stuhllehne über die Türklinke zum Türrahmen hangelt, bei jedem Schritt von ihrem Mann begleitet wird, um einen neuen Sturz zu vermeiden.

Weil für Post-Covid und Post-Vac gut erforschte Therapien fehlen, setzen Ärzte auch auf Medikamente und Verfahren, die nur für andere Krankheitsbilder zugelassen sind. Die Not der Patienten ist derart groß, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach diese Zweckentfremdung – „Off-Label-Use“ genannt – künftig erleichtern möchte: Der SPD-Politiker lässt eine Liste mit Therapien erstellen, die die Krankenkassen künftig trotz fehlender Zulassung bezahlen sollen, womit Ärzten eine Verordnung wesentlich leichter fiele. Als die Berliner Zeitung nachfragte, erklärte sein Ministerium jedoch, dass die Liste nur für Post-Covid geplant sei, nicht für andere postvirale Erkrankungen oder vergleichbare Symptome nach der Impfung. Betroffene wären weiterhin darauf angewiesen, Ärzte und Kassen zu finden, die sich auf die Heilversuche einlassen – wie bisher Erika Seebacher.

Bei der Stuttgarterin sind es drei Ansätze, die ihre Lebensqualität zumindest verbessert haben. Mestinon, ein Medikament gegen autoimmunologische Muskelschwäche, das ihr ein wenig Kraft zurückgibt. Ein starkes Schmerzmittel, das die Nervenschmerzen erträglich macht. Und regelmäßige Plasmapheresen, bei denen das Blutplasma ausgetauscht und Auto-Antikörper, die das eigene Gewebe bekämpfen, entfernt werden. Seit einigen Monaten geht Seebacher dazu immer wieder für bis zu zwei Wochen in die Klinik. Die Behandlung bedeutet für sie, die Sportbegeisterte, kein Zurück in ihr altes Leben, doch sie erlaubt es ihr, immerhin wieder 50 Meter am Rollator zu gehen. Ein Fortschritt für sechs Wochen – dann lässt der Effekt nach und es folgt die nächste Plasmapherese. „Das ist das, was mir bisher wirklich geholfen hat“, sagt Seebacher.

Doch ausgerechnet dies steht nun in Frage. Seebacher zieht ein Schreiben der Techniker Krankenkasse (TK) hervor, datiert auf den 30. November 2023. „Leider“, heißt es darin, könne die Kasse Mestinon und das Schmerzmittel „nicht bezahlen“, steht darin. Eine weitere Kostenübernahme lehnt sie ab, weil es „keine“ oder „keine ausreichenden Indizien“ dafür gebe, dass die Mittel „den Krankheitsverlauf bei neuropathischen Schmerzen im konkret vorliegenden Fall spürbar positiv beeinflussen“ können, wie es in dem von der TK beauftragten Gutachten des Medizinischen Dienstes (MD) heißt. Dabei sahen Seebachers Ärzte den positiven Einfluss durchaus, weshalb sie eindringlich für eine Fortsetzung der Therapie warben. Der MD aber empfahl stattdessen nach Aktenlage unter anderem eine Reha – während ihre Hausärztin Seebacher als nicht rehafähig einstuft.

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Eine Woche nach diesem Brief erhielt Seebacher ein weiteres Mal Post von der TK. „An den Kosten dieser Behandlung können wir uns leider nicht beteiligen“, heißt es darin erneut. Weil die Plasmapherese Erfolge, aber auch Risiken mit sich bringt, wollen Seebachers Ärzte sie auf das Medikament Rituximab umstellen, zugelassen für Autoimmunerkrankungen. Aus ihrer Sicht wäre dies der logische nächste Schritt: Die Plasmapherese filtert alle paar Wochen Autoantikörper aus dem Blut – Rituximab würde die B-Zellen im Blut blockieren und so dafür sorgen, dass sich die Autoantikörper gar nicht erst bilden. Doch wieder ist der Medizinische Dienst nicht überzeugt. Er vermisst nicht nur klinische Studien zu dem Medikament, sondern zweifelt auch grundsätzlich die Diagnose von Seebachers Ärzten an, weil das Paul-Ehrlich-Institut Post-Covid-ähnliche Symptome nicht als Impfnebenwirkung anerkennt. Dieses Mal bringt der MD Antidepressiva, Psychotherapie und erneut eine Reha ins Gespräch.

Beim Besuch der Berliner Zeitung ist Seebacher merklich aufgewühlt: Die einzigen Mittel, die ihr nach eigener Auskunft bisher geholfen haben, stehen plötzlich zur Disposition. Trägt die Diagnose Post-Vac dazu bei, dass die Krankenkasse eine Kostenübernahme ablehnt?

Gegenüber der Berliner Zeitung erklärt die TK, unabhängig von gestellten Diagnosen zu entscheiden. Bei Post-Vac, so eine Sprecherin, sei die Lage schwierig, weil es „diverse Therapieansätze“ gebe, „deren Nutzen noch nicht eindeutig gesichert ist“. Doch zeitgleich mit der Anfrage der Berliner Zeitung Mitte Januar tut sich plötzlich etwas: Ein zweites MD-Gutachten im Auftrag der TK kommt zwar erneut zu dem Schluss, dass die medizinischen Voraussetzungen für den Einsatz von Mestinon und Schmerzmitteln nicht erfüllt seien. Es erkennt aber an, dass alle zugelassenen therapeutischen Mittel bei Seebacher erfolglos ausgeschöpft wurden – weshalb die TK einer Kostenübernahme schließlich doch zustimmt. Zu Rituximab will sie ebenfalls ein zweites Gutachten beauftragen, nachdem Seebacher Widerspruch eingelegt hatte.

Bei ihren anderen Verfahren hängt sie weiter in der Luft. Das Landratsamt Böblingen forderte zuletzt neue ärztliche Dokumente an, um zu prüfen, ob ein „wissenschaftlich anerkannter Zusammenhang zwischen der geltend gemachten Gesundheitsstörung und der Impfung“ bestehe. Dass alles so lange dauert, begründet die Behörde vor allem damit, dass sie erst das vorrangige Anerkennungsverfahren bei der Berufsgenossenschaft abwarte. Diese habe sie bereits mehrfach „an die Erledigung“ erinnert.

Die BGW wiederum entschuldigt sich nach einer Anfrage der Berliner Zeitung in einem Brief bei Seebacher für die lange Verfahrensdauer. Die hohe Zahl der gemeldeten Covid-bezogenen Arbeitsunfälle in der Hochphase der Pandemie habe die Prüfer überlastet, erklärt eine Sprecherin. Zudem sei auch noch eine interne Stellungnahme „zwischen Kopien verloren“ gegangen. Jetzt soll ein Gutachter klären, ob eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ für die Impfung als Grund für Seebachers Beschwerden spricht. Denn aus Sicht der Berufsgenossenschaft ist die „Diagnostik bis heute nicht abgeschlossen“.

Was die Frage aufwirft, was eine Schwerkranke eigentlich noch unternehmen soll, wenn der Kontakt zu 60 Ärzten nicht ausreicht, um die Diagnostik abzuschließen?

Im Erdgeschoss ihres Hauses haben Erika Seebacher und ihr Mann an nahezu alle Wände großformatige Schwarz-Weiß-Fotografien gehängt. Sie zeigen wilde Tiere – Löwen, Tiger, Antilopen. „Unser Traum war immer eine Safari“, erzählt Seebacher. Derartige Pläne für eine hoffentlich bessere Zukunft will sie derzeit nicht machen. „Das wäre zu schmerzhaft“, sagt sie.

Erst einmal kämpft sie selbst wie eine Löwin um ihre Gesundheit – und um Akzeptanz ihrer Beschwerden. Fest vorgenommen hat sie sich, es nicht hinzunehmen, sollte das Versorgungsamt einen Impfschaden abweisen. „Dann werde ich klagen“, sagt sie mit fester Stimme: „Da geht es mir um Gerechtigkeit.“

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QOSHE - Von „absoluter Impf-Anhängerin“ zum Impf-Pflegefall – nun kämpft sie für Gerechtigkeit - Martin Rücker
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Von „absoluter Impf-Anhängerin“ zum Impf-Pflegefall – nun kämpft sie für Gerechtigkeit

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03.03.2024

Das Erste, was Erika Seebacher nach ihrer Impfung komisch vorkommt, ist dieser extreme metallische Geschmack. Zehn Minuten nach der Injektion setzt er ein, eine gute Stunde später ist er wieder verschwunden. So weit, so normal: Geschmacksveränderungen gehören zu den häufigsten Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe.

Zwei Wochen später spürt die 60-Jährige ein „inneres Vibrieren“. Nächtelang kann sie nicht schlafen, bemerkt lauter rote Punkte an ihrem Körper. Wenn sie aufsteht, wird ihr schwindelig.

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Erika Seebachers Geschichte zeugt davon, wie schwer unserer Gesellschaft der Umgang mit Schwerkranken fällt, sobald der Verdacht im Raum steht, eine Impfung könnte etwas mit den Problemen zu tun haben. Vielleicht erklärt sie auch, warum so viele derzeit ihr Vertrauen in Staat und Politik verlieren und offene Ohren haben für so manche Verschwörungsthese. Erika Seebacher selbst formuliert ihre Erfahrungen so: „Ich hätte nie gedacht, dass man keine Hilfe bekommt und teilweise verleumdet wird. Bis heute ist da kein Sicherheitsnetz. Für Menschen mit einem Impfschaden war nichts vorbereitet – und das ist bis heute so.“

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01.03.2024

28.02.2024

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Der Tag, der das Leben der Logopädin radikal verändern sollte, lässt noch eineinhalb Wochen auf sich warten. Es trifft sie am 29. Mai 2021, elf Tage nach der Impfung, ohne Vorwarnung: „Da konnte ich plötzlich nicht mehr gehen.“ Der linke Fuß ist geschwollen und schmerzt unerträglich. In den nächsten Wochen breiten sich die Beschwerden schnell aus. Erst auf den anderen Fuß, die Beine, dann auf die Arme und Hände. Irgendwann ist auch das Gesicht gelähmt. Zeitweise versagt ihre Stimme den Dienst.

Gesund ist die mittlerweile 63-Jährige bis heute nicht. Wer sie in ihrem Haus am Rande von Stuttgart besucht, bemerkt: Sie hat sich längst darauf eingerichtet, dass die neuen Umstände jetzt der Dauerzustand sind. In zwei Stockwerken stehen Rollatoren bereit, ein Treppenlift wurde eingebaut, es gibt jetzt Haltegriffe an der Wand, einen Duschsitz und einen rollbaren Schreibtisch, den Seebacher über das Bett schieben kann, um von dort aus wenigstens ein bisschen am Laptop zu arbeiten – wenn ihr Zustand es zulässt. Seebacher leidet unter Fatigue, einer schweren, chronischen Erschöpfung, Ärzte haben die Multisystemerkrankung ME/CFS bei ihr diagnostiziert. MRTs zeigten Muskelschäden und Nervenentzündungen von den Füßen bis zum Kopf, die Schmerzen erträgt sie nur mit starken Schmerzmitteln. Nach dem Aufwachen überlegt sie, ob sie duschen kann oder die Energie sparen muss, weil später ein Arzttermin ansteht.

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Manchmal sucht sie beim Sprechen nach einem Wort. Dann beginnt ihr Mund zu zittern. Sichtbar bewegt diese Unpässlichkeit sie, die Logopädin, deren Beruf es ist, anderen bei Sprachschwierigkeiten zu helfen. „Ich habe Probleme, die richtigen Wörter zu finden“, erklärt sie, „so etwas ist mir früher nie passiert.“

Dass die Impfstoffe schwere Corona-Verläufe und Todesfälle infolge der Infektion verhindert haben, ist wissenschaftlich gut untersucht. Wahrscheinlich verringern sie auch das Risiko für Langzeitfolgen, Post-Covid. Wie alle Impfstoffe aber können auch die gegen Sars-CoV-2 Nebenwirkungen haben. Sehr selten schwere, doch dass es Impfschäden gibt, ist unbestritten.

Richtig ist auch: Nach........

© Berliner Zeitung


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