Fahrräder sind die wichtigsten privaten Verkehrsmittel in Berlin: Statistiken zeigen, dass mehr als 70 Prozent aller Haushalte in der Hauptstadt ein Fahrrad besitzen, aber nicht mal 45 Prozent ein eigenes Auto. Wie elementar Fahrräder sind, wird am Sonntag auf dem Weg zur Velo klar, zur größten Fahrradmesse der Stadt, die am Wochenende an den Hangars auf dem Tempelhofer Feld stattfand. Gleich daneben befindet sich eine große Flüchtlingsunterkunft. In dem Containerdorf wohnen vor allem Ukrainer – und vor jedem zweiten Eingang steht mindestens ein Fahrrad.

Fahrräder können billig sein, und das Fahren ist leicht zu lernen, das macht sie so praktisch und beliebt. Und die Velo zeigt die ganze große Vielfalt der Fahrräder: Da gibt es billige Gebrauchträder für 250 Euro und stylische Hightech-Lastenräder für fast 10.000 Euro. Doch bei der Velo geht es gar nicht so sehr um den direkten Verkauf, sondern um das Ausprobieren und schauen, welche Trends denn nach der Messe auch in Berlin eine Rolle spielen werden. Wie bei allen Messen ist es nur eine Initialzündung für die Zukunft, was die 200 Aussteller hier auf 50.000 Quadratmetern den knapp 20.000 Gästen zeigen.

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Über die Trends weiß Gunnar Fehlau bestens Bescheid, der 50-Jährige ist Sprecher des Pressedienstes Fahrrad, für den sich 50 Firmen, Vereine und Organisationen zusammengeschlossen haben, um für die Belange der Radfahrer zu werben. „Grundsätzlich gibt es inzwischen für jeden das passende Rad, egal, welches Alter oder welche Bedürfnisse erfüllt werden sollen.“ Allein in Deutschland gibt es bis zu 500 Firmen, die Räder bauen.

Dass alle Bedürfnisse inzwischen erfüllt werden können, liegt an der „Zellteilung“, wie er es nennt. „Beim Fahrrad wiederholt sich eigentlich nur das, was es auch sonst in der Gesellschaft gibt: eine immer breitere Ausdifferenzierung.“ Er sagt, vor 50 Jahren dominierten zwei große Parteien, heute ist der Wettbewerb viel breiter, vor 20 Jahren habe es in der Kneipe auch nur zwei Biersorten gegeben, heute oft eine Vielzahl. „Und auch beim Fahrrad war es so: Ganz früher gab es quasi nur Räder für Herren, Damen und Kinder. Heute findet auch dort eine ewige Zellteilung statt.“ Er zählt auf: Citybike, Rennrad, Mountainbike, Hollandrad, Liegerad, Lastenrad, Klapprad, Elektrorad und so weiter. Und auch die jeweiligen Gruppen differenzieren sich noch einmal aus.

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Fehlau wirbt für mehr Toleranz. „Ich bin großer Fan des Fahrrades, aber kein Fundamentalist, ich habe auch noch ein Auto.“ Aber gerade in Berlin werde ja gern der alltägliche Kleinkrieg zwischen Autofahrern und Radlern thematisiert und auch politisch eingesetzt. Er erinnert an den letzten Wahlkampf, als Lastenradfahrer von manchen Autofans abgestempelt wurden als Inbegriff der „links-woken Besserwisser“. „Warum freuen sich diese Leute nicht einfach, dass die anderen nicht mehr Autofahren. Das ist nur von Vorteil für sie selbst. Wer ein Lastenrad fährt, steht nicht mehr vor dir im Stau oder parkt in der zweiten Spur und blockiert dich.“

Er geht davon aus, dass der Trend zum Rad weitergeht und die Autos immer weniger werden. Er sagt, dies sei keine Frage der Ideologie, sondern der Physik. „Wo ein Körper ist, kann kein anderer sein.“ Und das Modell: eine Person sitzt allein in einem großen Auto, dass mindestens 23 Stunden am Tag ungenutzt rumsteht, sei nicht zukunftsfähig. Auch deshalb geht der Trend in die Richtung. „Die Mehrheit hat auch in Berlin kein Auto“, sagt er. „Weil sie es sich nicht leisten können oder inzwischen auch nicht mehr wollen.“

Der Trend zu einer besseren Fahrradpolitik zeige sich nicht nur in Holland, sondern auch in anderen Ländern, vor allem in Großstädten wie London, Paris, Barcelona oder Oslo, die vor einigen Jahren mit einer neuen Radpolitik begonnen haben und viel weiter seien als Berlin oder Deutschland. „Wir sind zwar weltweit bei der Technik führend, aber bei der Fahrradpolitik oft etwas hinterwäldlerisch.“

Dann geht er zu einem Stand mit Lastenrädern: Dieses Moca-Rad ist klein und kompakt wie ein Klapprad, der Verkäufer klappt den Lenker mit drei Handgriffen ein und auch die Pedalen. „Schon ist es nur noch 24 Zentimeter breit und passt gerade in Berlin in jedem Haus in irgendeine Ecke“, sagt Verkäufer Martin Buchta. Das Rad hat vorn einen wirklich stabilen Gepäckträger und hinten auch: Da können 70 Kilo zugeladen werden. Am Vorführmodell ist vorn eine Kiste Limo drauf. „Aber ein Kasten Bier passt auch“, sagt Buchta. Kostenpunkt für diese Moca-Rad: 4700 Euro.

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Fahrräder sind inzwischen Hightech und auch Luxus. Das andere Ende des Lastenradangebots gibt es eine Ecke weiter: Ein „Ca Go“, ein großes Lastenrad, lang, und 52 Kilo schwer, aber leicht zu fahren, vorn eine „Sicherheitszelle“ für zwei Kinder, die ringsum so geschützt ist, dass im Falle eines Unfalls die Person am Lenker sicher mehr Schaden nimmt als die Kinder. „Das wichtigste für Eltern sind ihre Kinder, deshalb haben wir das sicherste Lastenrad gebaut, das möglich ist“, sagt Verkäufer Philipp Laufer. Kostenpunkt für diesen „Familienbomber“, wie Laufer ihn scherzhaft nennt: 9350 Euro.

Das klingt teuer, aber Gunnar Fehlau sagt: „Es gibt eben Leute, die gar kein Auto mehr haben wollen und warum sollen die nicht ordentlich in eine perfekte Technik für ihre Bedürfnisse investieren.“ Auf der Messe gibt es neben den vielen E-Bikes weiterhin viele Lastenräder. Fehlau sagt: Auch wenn von einigen viel gelästert werde, sei der Trend nicht etwa vorbei. „Lastenräder sind gekommen, um zu bleiben.“

QOSHE - Velo 2024: Wie sieht die Zukunft des Fahrrads in Berlin aus? - Jens Blankennagel
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Velo 2024: Wie sieht die Zukunft des Fahrrads in Berlin aus?

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14.04.2024

Fahrräder sind die wichtigsten privaten Verkehrsmittel in Berlin: Statistiken zeigen, dass mehr als 70 Prozent aller Haushalte in der Hauptstadt ein Fahrrad besitzen, aber nicht mal 45 Prozent ein eigenes Auto. Wie elementar Fahrräder sind, wird am Sonntag auf dem Weg zur Velo klar, zur größten Fahrradmesse der Stadt, die am Wochenende an den Hangars auf dem Tempelhofer Feld stattfand. Gleich daneben befindet sich eine große Flüchtlingsunterkunft. In dem Containerdorf wohnen vor allem Ukrainer – und vor jedem zweiten Eingang steht mindestens ein Fahrrad.

Fahrräder können billig sein, und das Fahren ist leicht zu lernen, das macht sie so praktisch und beliebt. Und die Velo zeigt die ganze große Vielfalt der Fahrräder: Da gibt es billige Gebrauchträder für 250 Euro und stylische Hightech-Lastenräder für fast 10.000 Euro. Doch bei der Velo geht es gar nicht so sehr um den direkten Verkauf, sondern um das Ausprobieren und schauen, welche Trends denn nach der Messe auch in Berlin eine Rolle spielen werden. Wie bei allen Messen ist es nur eine Initialzündung für die Zukunft, was die 200 Aussteller hier auf 50.000 Quadratmetern den knapp 20.000 Gästen zeigen.

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