Die Bauern protestieren weiter gegen die Kürzungspläne der Ampel-Regierung. Traktoren sollen auch zur Grünen Woche rollen. Außerdem demonstriert am Samstag das Bündnis „Wir haben es statt“ zum Kanzleramt. Ein Gespräch mit Sprecherin Inka Lange darüber, ob sie die Bauern versteht, wie die Landwirtschaft in 20 Jahren aussehen sollte und was nötig ist, damit sich auch ärmere Leute gutes und gesundes Essen leisten können.

Frau Lange, eine Frage drängt sich in den Tagen der Bauernproteste auf. Ihr Bündnis fordert: „umweltschädliche Subventionen stoppen“. Die Bauern aber wollen ihre Befreiung von der Kfz-Steuer für Traktoren und die Subventionen für Agrardiesel behalten. Ist das nicht umweltschädlich?

Natürlich sind die Subventionen nicht zukunftsfähig. Sie müssen planvoll und langfristig abgebaut und durch Subventionen in den Klima-, Umwelt- und Tierschutz ersetzt werden. Aber eines ist auch klar: Die Subventionen einfach auf einen Schlag abschaffen, geht nicht. Das sorgt nicht nur für großen Unmut, die Landwirtschaft braucht Planungssicherheit und eine schrittweise Veränderung. Denn die Landwirte sind nun mal abhängig von Subventionen, sie wurden abhängig gemacht.

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16.01.2024

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Heißt das, dass Ihr Bündnis sich mit den Protesten der Bauern solidarisiert?

Wir rufen nicht zu Demos zum Agrardiesel auf. Wir haben am Sonnabend in Berlin unsere eigene Demonstration. Die gibt es seit 2011, immer am Tag nach der Eröffnung der Grünen Woche.

Kommen wegen der Bauernproteste mehr oder weniger Teilnehmer?

Vergangenes Jahr kamen 10.000. Wir erwarten ähnlich viele. Einige sind vielleicht von den Protesten abgeschreckt, andere finden es gut, dass endlich über Agrarpolitik geredet wird. Essen ist nun mal politisch. Aber nur Debatten über Agrardiesel zu führen, ist zu kurz gegriffen, es muss endlich über die gesamte Agrarpolitik gesprochen werden. Der Änderungsbedarf ist enorm.

Um was geht es?

Etwa um faire Preise für die Höfe, wir wollen keine Massentierhaltung, keine Gentechnik auf dem Feld und in Lebensmitteln, es geht um die Förderung des Klima-, Umwelt- und Tierschutzes. Wir haben ein agrarpolitisches System, in dem Landwirte ums Überleben kämpfen müssen und sich viele Leute keine gesunden Lebensmittel leisten können. Diese Fragen sind drängender als die Einzelfrage des Diesels. Es geht um eine echte Agrar- und Ernährungswende.

Wie sieht Ihr Idealbild der Landwirtschaft in 20 Jahren aus?

Unsere Demo steht nicht umsonst unter dem Motto: „Wir haben es satt“, gemeint ist die Agrarindustrie. Die Landwirtschaft muss ein umweltverträgliches und krisenfestes Ernährungssystem schaffen, und das geht nicht mit einer rein profitorientierten Agrarindustrie, sondern mit bäuerlichen Höfen. Wir wünschen uns noch früher als in 20 Jahren eine große Vielfalt an Höfen bis hinauf zum Mittelstand, aber keine großen Konzerne. Das Ziel ist: viele kleine statt wenige große. Und dort ist der Klima-, Umwelt- und Tierschutz fest etabliert. Das Höfesterben muss ein Ende haben.

Wie ist da das Ausmaß?

Jeden Tag schließen zehn Höfe in Deutschland oder werden geschluckt. Da läuft seit Jahrzehnten eine gigantische Konzentration, weg von den kleinen familiengeführten Höfen hin zu immer größeren Einheiten: 1971 gab es etwas mehr als eine Million landwirtschaftliche Betriebe. 2001 waren es fast 450.000, derzeit 255.000. Auslöser ist das Wachse-oder-Weiche-Prinzip der EU-Agrarpolitik – übrigens maßgeblich etabliert durch CDU-CSU-geführte Bundesregierungen und besonders Agrarministerin Julia Klöckner. Das Problem dabei: Die Subventionen werden pauschal nach der Hektar-Zahl ausgeschüttet. Das heißt: je größer, desto mehr Geld. Da spielt gar keine Rolle, was dort angebaut wird und wie. So bekommen kleine Familienbetriebe wenig bis gar nichts mehr.

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Was wäre besser?

Wir kämpfen nicht nur für Bio-Höfe, in unserem Bündnis sind auch konventionelle Betriebe. Wir alle fordern, dass vor allem die Investitionen in den Klima-, Tier- und Umweltschutz subventioniert werden.

Beklagen die Bauern zu Recht die Dominanz der vier großen Lebensmittelketten?

Ja, natürlich. Es geht darum, dass auch die kleinen Höfe in der Lage sein müssen, sich selbst zu finanzieren. Die Bauern bieten ihre Waren quasi gar nicht auf einem Markt an, sie stehen vier großen Konzernen gegenüber: Edeka, Rewe, Schwarz-Gruppe, Aldi. Die vereinen knapp 85 Prozent des Marktes auf sich und bestimmen die Preise, die in hohem Maße intransparent und spekulativ sind. Im Schnitt landen nur 14 Cent von einem Euro eines Lebensmittels bei den Bäuer:innen. Es kann doch nicht sein, dass die Ketten Produkte wie Milch unter den Produktionskosten einkaufen können. So etwas muss verboten werden.

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Die Lebensmittelindustrie behauptet: Viele Leute sagen in Umfragen, dass sie gern mehr von all dem Guten wollen: vegan, bio, regional. Aber die Abstimmung an der Supermarktkasse sieht anders aus: Dort wird das nicht so stark nachgefragt, die Bauern können damit nicht überleben. Richtig oder falsch?

Das kann ich so nicht bestätigen, weil damit die Verantwortung an die Verbraucherinnen und Verbraucher abgegeben wird. Aber die haben doch oft keine Wahl. Nicht nur in Krisenzeiten wie diesen können sich viele kein gutes Essen leisten. Deshalb unsere Forderung, dass gesundes Essen gefördert wird, etwa über die Mehrwertsteuer. Billigfleisch voller Antibiotika aus schlechter Tierhaltung sollte einfach mit 19 Prozent besteuert werden. Mit einer guten Begründung: Die zusätzlichen Einnahmen sollten dann genutzt werden, um die Ställe tiergerecht umzubauen. Wenn parallel dazu zum Beispiel für Obst und Gemüse 0 Prozent Mehrwertsteuer verlangt werden, ist das ein guter Kaufanreiz auch für sozial benachteiligte Familien.

Interview: Jens Blankennagel

Die Demo beginnt am Sonnabend um 12 Uhr am Willy-Brandt-Haus mit einer Auftaktkundgebung. Sie führt zum Kanzleramt und endet gegen 15 Uhr. Danach ist das Fest der Agrarwende in der Heinrich-Böll-Stiftung.

QOSHE - Die Gegner der Massentierhaltung rufen zum Protest: Essen ist politisch - Jens Blankennagel
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Die Gegner der Massentierhaltung rufen zum Protest: Essen ist politisch

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18.01.2024

Die Bauern protestieren weiter gegen die Kürzungspläne der Ampel-Regierung. Traktoren sollen auch zur Grünen Woche rollen. Außerdem demonstriert am Samstag das Bündnis „Wir haben es statt“ zum Kanzleramt. Ein Gespräch mit Sprecherin Inka Lange darüber, ob sie die Bauern versteht, wie die Landwirtschaft in 20 Jahren aussehen sollte und was nötig ist, damit sich auch ärmere Leute gutes und gesundes Essen leisten können.

Frau Lange, eine Frage drängt sich in den Tagen der Bauernproteste auf. Ihr Bündnis fordert: „umweltschädliche Subventionen stoppen“. Die Bauern aber wollen ihre Befreiung von der Kfz-Steuer für Traktoren und die Subventionen für Agrardiesel behalten. Ist das nicht umweltschädlich?

Natürlich sind die Subventionen nicht zukunftsfähig. Sie müssen planvoll und langfristig abgebaut und durch Subventionen in den Klima-, Umwelt- und Tierschutz ersetzt werden. Aber eines ist auch klar: Die Subventionen einfach auf einen Schlag abschaffen, geht nicht. Das sorgt nicht nur für großen Unmut, die Landwirtschaft braucht Planungssicherheit und eine schrittweise Veränderung. Denn die Landwirte sind nun mal abhängig von Subventionen, sie wurden abhängig gemacht.

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Heißt das, dass Ihr Bündnis sich mit den Protesten der Bauern solidarisiert?

Wir rufen nicht zu Demos zum Agrardiesel auf. Wir haben am Sonnabend in Berlin unsere eigene Demonstration. Die gibt es seit 2011, immer am Tag nach der Eröffnung der Grünen Woche.

Kommen wegen der Bauernproteste mehr oder........

© Berliner Zeitung


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