All jene, die das Feiertagswochenende genutzt haben, um einmal nicht auf die Schrecknisse dieser Welt in den Nachrichten zu schauen, waren am Ende dann doch etwas überrascht: Joe Biden, immerhin der Präsident des wichtigsten Unterstützerlandes von Israel, fordert im Gaza-Krieg einen Waffenstillstand und bezeichnet die vielen vom israelischen Militär getöteten Zivilisten als „großen Fehler“. Vor dem Wochenende passten solche Sätze nach bisheriger bundesdeutscher Lesart eher zu linksradikalen Antisemiten.

In den Nachrichten ging es gleich danach um Papst Franziskus und eine Kapitulation der Ukraine. Er sagte in einem Interview: „Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln.“ Er sagte auch: „Ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln.“ Noch vor dem Wochenende waren das eher Sätze, die Sahra Wagenknecht zugeordnet worden wären oder Tino Chrupalla von der AfD. Nun wird dem obersten Katholiken vorgeworfen, nicht mehr nur ein naiver Pazifist zu sein, sondern ins Putin-Lager gewechselt zu sein.

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18.01.2024

Verrückte Welt oder Welt der Verrückten? Das ist die Frage. Aber die Frage ist nicht ganz richtig. Denn die einfachen Sichtweisen von links und rechts, von gut und böse, von moralisch und verwerflich wanken, verschwimmen oder verwirren oft mehr als dass sie Klarheit bringen. Lange galt die Solidarität mit Israel in Deutschland als Staatsräson, nun aber werfen nicht nur die radikalen Linken an deutschen Unis dem Staat Israel einen gezielten Völkermord vor. Die AfD hingegen solidarisiert sich lieber mit Israel, weil sie sich so gegen die Anhänger des Islam positionieren kann.

Die Welt vollzieht einen rasanten Wandel im Großen und im Kleinen, und so sind in Deutschland die Grünen längst nicht mehr die Partei der Pazifisten. Sie argumentieren jetzt gern, dass sie, gerade weil sie so sehr für den Frieden sind, erst mal den Verteidigungskrieg der Ukraine unterstützen wollen. Die Welt wird unübersichtlicher, und die Grenzlinien alter Gewissheiten verschieben sich mitunter täglich. Eigentlich ist nur noch auf Claus Weselsky wirklich Verlass, diesen Lokführer und sturen Gewerkschaftschef, der seine Leute auch diese Woche wieder in den Streik schickt. Für viele Bundesbürger ist er derzeit quasi das personifizierte Böse ihres Alltags, aber für seine Bahner gehört er zu den letzten aufrechten Kämpfern.

09.03.2024

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08.03.2024

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Die Einteilung in Gut und Böse ist deshalb so beliebt und vor allem so erfolgreich in Märchen, in der Politik, in der Welt von James Bond und all den Hau-drauf-wir-retten-die-Welt-Filmen des globalen Kinos, weil dieses Erklärungsmuster so einfach ist. Und Einfachheit ist immer sehr verführerisch. Das wissen nicht nur Populisten aller Lager, sondern es ist ein Grundbaustein unserer Denkweise.

Der Verstand ist in letzter Konsequenz recht erwartbar eingerichtet: Wegen all der Fakten, Ereignisse und Reize, die ständig auf das Gehirn einstürmen, versucht der Verstand ständig, das zu bestätigen, was er schon zu wissen glaubt. Der Verstand will von Natur aus immer recht haben. Auch deshalb neigen die Menschen zu Klischees, Vorurteilen und zu dem schlichten Freund-Feind-Schema.

Und bei diesem Gegensatzpaar ist es auch gar nicht immer wichtig, ob es stimmt. Es ist letztendlich wie bei einem Fußballspiel: Selbst Leute, die gar keine Ahnung haben, können sich einfach vor dem Anpfiff für eine Seite entscheiden und dann automatisch mitfiebern: Wir gegen die oder die gegen uns.

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Das ist im Fußball in Ordnung, denn da geht es um Unterhaltung und Spaß, in der Politik aber ist das gefährlich. In der Politik wird die Freund-Feind-Dichotomie gern von Populisten, Diktatoren und Denkfaulen benutzt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Das macht die Sache so gefährlich, denn in der Politik kann es ganz schnell um Menschenleben gehen. Wie aktuell zu sehen, zündelt es an allen Ecken, es geht um Krieg und Frieden, um alte und neue Weltordnungen, um handfeste Interessen, um Religionen, um Macht und um ganz viel Geld.

Deshalb ist es ärgerlich, wenn alles auf Gut und Böse reduziert wird. In Zeiten der Hysterie und der internetbeschleunigten Meinungsbildung wird meist ganz schnell entschieden, wer gut oder böse ist. Doch die Realität ist komplizierter als Märchen, Kinofilme oder Fußballspiele. Deshalb ist es gut, wenn eingespielte Denkmuster immer mal wieder infrage gestellt werden, wenn die Leute verwirrt sind und debattieren, etwa wegen Joe Biden oder Papst Franziskus.

Denn egal wie lange die Waffen noch sprechen und wer wem wie lange noch Raketen liefert oder Lebensmittel, bislang musste fast jeder Krieg am Verhandlungstisch beendet werden. Und da hilft die Idee von Gut und Böse oft wenig weiter.

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QOSHE - Alle gegen den Papst? Unser schlichtes Freund-Feind-Denken hilft oft nicht weiter - Jens Blankennagel
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Alle gegen den Papst? Unser schlichtes Freund-Feind-Denken hilft oft nicht weiter

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11.03.2024

All jene, die das Feiertagswochenende genutzt haben, um einmal nicht auf die Schrecknisse dieser Welt in den Nachrichten zu schauen, waren am Ende dann doch etwas überrascht: Joe Biden, immerhin der Präsident des wichtigsten Unterstützerlandes von Israel, fordert im Gaza-Krieg einen Waffenstillstand und bezeichnet die vielen vom israelischen Militär getöteten Zivilisten als „großen Fehler“. Vor dem Wochenende passten solche Sätze nach bisheriger bundesdeutscher Lesart eher zu linksradikalen Antisemiten.

In den Nachrichten ging es gleich danach um Papst Franziskus und eine Kapitulation der Ukraine. Er sagte in einem Interview: „Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln.“ Er sagte auch: „Ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln.“ Noch vor dem Wochenende waren das eher Sätze, die Sahra Wagenknecht zugeordnet worden wären oder Tino Chrupalla von der AfD. Nun wird dem obersten Katholiken vorgeworfen, nicht mehr nur ein naiver Pazifist zu sein, sondern ins Putin-Lager gewechselt zu sein.

„Wutwoche der Bauern“: So berichten internationale Medien über die Bauernproteste in Berlin

18.01.2024

Verrückte Welt oder Welt........

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